„Institutioneller Rassismus ist das kollektive Versagen einer Organisation, für Menschen bezüglich ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft geeignete und professionelle Leistungen zu erbringen. Er lässt sich in Prozessen, Einstellungen und Verhaltensweisen festmachen, welche auf eine Diskriminierung hinauslaufen und durch unbewusste Vorurteile, Ignoranz, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotypen, ethnische Minderheiten benachteiligen.“[1]
›Racial profiling‹
Ein junger Schwarzer deutscher Student fährt Ende 2010 in einem Regionalexpress auf der Strecke Kassel-Frankfurt a.M. zu seiner Universität und wird von der Bundespolizei einer Personenkontrolle unterzogen. Der junge Mann wird als Einziger aufgefordert, seine Papiere zu zeigen. Er ist bereits zuvor mehrere Male – auch da als einzige Person im Waggon – kontrolliert worden. Er reicht Klage gegen die Bundespolizei ein. Im Verlauf der erstinstanzlichen Verhandlung wird deutlich, dass der Beamte den Betroffenen einzig aufgrund seiner dunklen Hautfarbe kontrollierte. Erst beim Oberverwaltungsgericht stellen die Richter*innen klar, dass für die Befragung und die Aufforderung, Ausweispapiere vorzulegen, der Anknüpfungspunkt der Hautfarbe nicht zulässig ist. Eine derart durchgeführte Personenkontrolle verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG.
Dunkelhäutige Menschen und Personen mit realem oder vermeintlichem Migrationshintergrund erleben solche Situation häufig. Vermuteter Drogenhandel, der vermutete irreguläre Aufenthalt oder der angenommene Waffenbesitz werden von der Polizei als Rechtfertigungsgründe für eine Personenkontrolle angeführt, wo häufig kein Anfangsverdacht besteht. Ein solches Vorgehen konstruiert Menschen mit dunklerem Erscheinungsbild (egal welcher Herkunft oder Nationalität) zum „Ausländer“ oder zur „Ausländerin“, der oder die nicht dazugehört und der oder dem man nicht trauen kann.
Polizeiermittlungen
Bei den polizeilichen Ermittlungen der NSU-Morde zeigt sich ein anderes Bild, das jedoch zu einem vergleichbaren Ergebnis führt.
Die Polizeiarbeit war weitgehend davon geleitet, dass Opfer und ihre Familienangehörigen durch kriminelle Machenschaften selbst die Tötung provoziert hätten. Ermittlungen wurden überwiegend im Milieu der Ausländerkriminalität geführt, Zeugenaussagen in eine andere Richtung nicht ernst genommen, Täterprofile aufgrund eines rassistischen Weltkonstruktes erstellt. Das Ergebnis ist bekannt. Neun Morde an Menschen mit Migrationsgeschichte sind über Jahre hin nicht aufgeklärt, die Täter*innen nicht zur Rechenschaft gezogen und die Familien der Opfer marginalisiert worden.
Diese Beispiele zeigen, dass institutioneller Rassismus in Deutschland existiert, auch wenn dieser von offizieller Seite nicht so benannt oder sogar rundweg abgestritten wird. Bei den genannten Beispielen liegen nicht ausschließlich individuelle rassistische Denkmuster von einzelnen Beamt*innen vor. Ungleichbehandlung wird hier durch Gedankenlosigkeit und Ignoranz einer ganzen Institution, durch ihre internen Abläufe, Vorgaben und Interpretationen von Gesetzen verursacht. Eine ganze Institution vermag es nicht gleichermaßen hochwertige Leistungen für alle Bürger*innen zu gewährleisten. Aus einer solchen Erkenntnis sollten Konsequenzen gezogen werden.
[1] In Anlehnung an die Definition von institutionellem Rassismus des Macpherson Berichtes, 1999
Fasst die Inhalte des Textes im Gespräch zusammen und notiert eure Ergebnisse auf diesem Arbeitsblatt. Die Notizen helfen euch bei der Präsentation.
Leitfragen:
Notiert Euch offene Fragen zu den Inhalten des Textes, die ihr vielleicht mit den anderen Schüler*innen diskutieren möchtet.
Vera Egenberger. „Institutioneller Rassismus: Eine Ausgrenzungsform erkennen und bearbeiten“, in: Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen 20, 3 (2014), 3–5., https://www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick_3_14.pdf, zuletzt geprüft am 7. Oktober 2022.