Lehren aus der Weimarer Republik
Die Konzeption der streitbaren (oder wehrhaften) Demokratie als politische Lehre entwickelte sich in bezug auf Deutschland aus der deutschen Geschichte heraus. Die Weimarer Republik war gegenüber ihren Feinden nur sehr eingeschränkt wehrhaft und eröffnete die Möglichkeit zu ihrer „legalen“ Zerstörung durch die Nationalsozialist*innen. Hinzu kam ein mangelnes Bewusstsein der Bevölkerung ihrer Teilhabemöglichkeiten („Demokratie ohne Demokraten“). Entsprechend verfolgte auch die NSDAP die Strategie, die Verfassung legal unter Umgehung des direkten Gesetzesbruchs aus den Angeln zu heben. Der fehlende Demokratieschutz rächte sich bitter.
Wertegebundenheit, Abwehrbereitschaft, Demokratieschutz
Das Grundgesetz ist antitotalitär, das heißt weder einseitig antifaschistisch noch antikommunistisch. Daraus ergeben sich drei zentrale Merkmale: Wertegebundenheit, Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung des Demokratieschutzes. Der demokratische Verfassungsstaat bekennt sich zu festen Werten und distanziert sich von der Werteneutralität der Weimarer Verfassung. Abwehrbereitschaft meint, dass sich der Verfassungsstaat gegen extremistische Positionen verteidigen will. Mit der Vorverlagerung des Demokratieschutzes verteidigt sich der Staat gegenüber Extremist*innen bereits im Vorfeld, nicht erst bei direkten Angriffen.
Die Rolle des Verfassungsschutzes
Der verfassungsrechtliche Demokratieschutz sieht nach Art. 21 Abs. 2 GG die Möglichkeit von Parteiverboten vor. Nach Art. 9 Abs. 2 können Vereine verboten werden. Verbote gelten als letztes Mittel einer freiheitlichen Demokratie. Maßgeblich für das Urteil und verantwortlich für eine Beobachtung im Vorfeld sind die Verfassungsschutzbehörden im Bund und in den Ländern. Sie sind den jeweilgen Innenministerien unterstellt und erstellen jedes Jahr einen von den Bürger*innen einsehbaren Bericht. Es geht beim Demokratieschutz um ein Frühwarnsystem, aber auch um strafrechtliche Maßnahmen. Der Tatbestand der Volksverhetzung etwa richtet sich insbesondere gegen Rechtsextremist*innen, die den Holocaust verharmlosen oder gar leugnen. Unter Strafe steht ebenso das Verbreiten von Propagandamitteln oder von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Rechtsstaat muss einerseits die „Wölfe im Schafspelz“ erkennen, andererseits nicht jede Äußerung für bare Münze nehmen und jeden Einzelfall genau überprüfen.
„Streitbare“ Demokratie und Toleranz
Die streitbare Demokratie steht vor einem großen Problem. Zu wenig Schutz kann die Demokratie ebenso gefährden wie zu viel Schutz. Ein wichtiges demokratisches Grundprinzip heißt Toleranz. Für die Auseinandersetzung mit Extremismus ist nicht nur der Staat, sondern die Gesellschaft gefordert. Seit geraumer Zeit wird immer wieder über Verrohungstendenzen geklagt, die sich im virtuellen Raum „breitmachen“. Politiker*innen werden offen bedroht oder sogar tätlich attackiert. Insbesondere die Gefahren durch Angriffe von rechtsextremistischen Fanatiker*innen sorgen für Stirnrunzeln. Es geht dabei längst nicht „nur“ um Sachbeschädigungen und Drohmails. Im Oktober 2015 wurde die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (SPD) einen Tag vor der Wahl Opfer eines Messerattentats durch einen Einzeltäter. Sie überlebte schwerverletzt. Im Juni 2019 wurde Walter Lübcke (CDU) per Kopfschuss auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen. Beide Politiker*innen wurden zuvor für eine humanitäre Haltung zur Flüchtlingspolitik kritisiert.
Parteienverbote
Nach Art. 21 GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf Antrag über das Verbot einer Partei. Die Hürde für ein solches Verfahren ist hoch: Nach Auffassung des BVerfG ist eine Partei nicht schon dann verfassungswidrig, wenn es die freiheitliche demokratische Grundhaltung nicht anerkennt (Art. 21 Abs. 2 GG). Hinzukommen muss eine „aktive kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden bislang zwei Parteien verboten, beide vor mehreren Jahrzehnten. 1952 betraf dies die 1949 gegründete rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP), der eine Wesensverwandtschaft mit der NSDAP zur Last gelegt wurde. 1956 wurde die linksextremistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verboten.
Der Scheit um ein Verbots der rechtsextremistischen Partei NPD
Zweimal wurde ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) beim Bundesverfassungsgericht beantragt. Nachdem sich die Partei Einschätzungen der Sicherheitsbehörden zufolge deutlich radikalisierte und den Schulterschluß „mit der Straße“ betrieb, reichten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat 2001 einen gemeinsamen Antrag ein. Der Antrag scheiterte aus formalen Gründen, auch, weil hoch dekorierte Amtsträger der NPD als so genannte V-Männer für den Verfassungsschutz tätig waren, was nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend offengelegt worden war. 2012 wurde ein erneutes Verbotsverfahren seitens der Länder eingeleitet, das im Januar 2017 abgelehnt wurde. Das Bundesverfassungsgericht argumentierte, die mittlerweile geschwächte Partei sei verfassungsfeindlich, habe aber nicht das Potential, die Demokratie der Bundesrepublik zu beschädigen. Die Begründung machte den Weg frei, andere staatliche Bekämpfungsstrategien umzusetzen. Verfassungsfeindliche Parteien wie die NPD haben keinen Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung (Wahlkampfkostenerstattung etc.).
Unerkannter Rechtsterrorismus im Untergrund
Im November 2011 geriet die Öffentlichkeit unter Schock und die streitbare Demokratie unter Rechtfertigungsdruck. Es wurde bekannt, dass eine Terrorzelle, bestehend aus drei Hauptakteuren, in 13 Jahren mindestens 10 Menschen ermordet und einen Bombenanschlag in Köln verübt hatte. Dahinter stand die Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die jedoch bis dahin nicht mit den Morden und dem Anschlag in Verbindung gebracht worden war. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe lebten im Untergrund und hatten zahlreiche Helfer*innen und Helfershelfer*innen. Jahrelang ermittelten die Polizei und andere Sicherheitsbehörden außschließlich in andere Richtungen, vor allem im Segment ‚Ausländerkriminalität‘. Die Opfer und ihre Familien wurden krimineller Aktivitäten verdächtigt. Daher wurde eine Vielzahl von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen eingesetzt. Beate Zschäpe wurde der Prozess gemacht. Als Mittäterin vom Oberlandesgericht München wurde sie im Juli 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Verbot rechtsextremistischer Vereine
In der Bundesrepublik wurden zahlreiche Vereine aufgrund rechtsextrememer Aktivitäten verboten. Im Januar 2020 wurde Combat 18 verboten, der aus dem internationalen rechtsextremistischen Netzwerk „Blood and Honor“ (Blut und Ehre) hervorgegangen war. 1 und 8 stehen dabei für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets, also AH, die Initialen Adolf Hitlers. „Blood and Honor“ war bereits im Jahr 2000 in Deutschland verboten worden.
Verbot eines linksextremistischen Internetportals
2017 wurde das linksextremistische Internetportal „Indymedia“ in Deutschland verboten, das sich zu einem globalen Mediennetzwerk entwickelt hatte. Autonome nutzten die Plattform beispielsweise für Bekennerschreiben von Brandanschlägen, etwa an der SPD-Parteizentrale oder der Hamburger Messe im Vorfeld des G-20-Gipfels 2017. Es fanden sich dort auch Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails.
Gefahr durch islamistischen Extremismus
Massive Gefahren für die innere Sicherheit gehen auch vom islamistischen Extremismus aus, gerade von der gewaltbereiten Variante, dem Dschihadismus aus. Eine kleine radikale Minderheit innerhalb der Islamist*innen geht davon aus, die Verwendung von Gewalt für die Erreichung ihrer Ziele sei gerechtfertigt. Der Bürgerkrieg in Syrien und die Situation im Nahen Osten haben die Lage drastisch verschärft, da die Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) Rachefeldzüge angekündigt hat. Die Sicherheitsbehörden befürchten, dass Organisationen ehemalige Kämpfer*innen oder Anhänger*innen beauftragen könnten, in Deutschland Terroranschläge zu verüben. Zudem zielt die Propaganda des „IS“ seit einiger Zeit verstärkt darauf, auch Einzelpersonen zu Anschlägen zu bewegen, notfalls mit einfachsten Mitteln. In der Tat kam es zu einer Reihe islamistisch begründeter Terroranschläge, darunter Selbstmordattentate – manche wurden vereitelt. Beim Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin erschoss der Terrorist Anis Amri – der aus Tunesien nach Europa kam, in einem Gefägnis in Italien saß und dann als Flüchtling getarnt und nach Deutschland gelangte – am 19. Dezember 2016 zuerst den Fahrer eines LKW und fuhr dann mit dem LKW in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. So tötete er weitere 11 und verletzte über 55 Menschen, einige davon lebensgefährlich. Die streitbare Demokratie geriet in die Kritik, da Amri von Sicherheitsbehörden beobachtet worden war. Seine Gefährlichkeit war jedoch zuvor herabgestuft worden. Der Verein der Berliner Fussilet-Moschee, die Amri zuletzt besucht hatte, wurde nach dem Anschlag im Februar 2017 verboten.