Gründe für den Bedeutungszuwachs des Rechtspopulismus

Welche gesellschaftlichen Gründe hat der Rechtspopulismus?

Die Hauptgründe für den Bedeutungszuwachs des Rechtspopulismus können schnell ausge­macht werden: Unzufriedenheit mit den Eliten, Angst vor dem Fremden. Darüber hinaus gibt es aber noch weitere Ursachen für den Erfolg des Rechtspopulismus.


Krise der Sozialdemokratie

Offenbar ist der gegenwärtige Populismus eine heftige Reaktion auf soziale Umbrüche. Mit­unter geben sich die rechtspopulistischen Parteien als die neuen Arbeiterparteien aus. Durch die grundlegenden Umwälzungen, die im Zuge der Digitalisierung des Arbeitslebens bevor­stehen, dürften die Sorgen nicht weniger werden. Menschen müssen mehrere Jobs an­nehmen und haben wenige Chancen auf beruflichen Aufstieg, wenn sie sich nicht schnell an die Automatisierungsprozesse gewöhnen. Die gesellschaftlichen Veränderungen durch Immi­grant*innen können zu Verteilungskämpfen im niedrigen Lohnsegment führen, in denen sich Menschen ohne Migrationshintergrund, ob berechtigt oder nicht, schnell benachteiligt fühlen. Die Demagog*innen können hier einen Spaltpilz[1] schüren, um Anhänger*innen zu gewinnen. Populist*innen können manchmal auch deshalb punkten, weil sie gegen „Sozial­schmarotzer“ wettern oder einen möglichen Missbrauch des Wohlfahrtsstaates beklagen. Hier lässt sich der angebliche Schutz der Einheimischen mit fremdenfeindlichen Parolen verbinden. In ihren Pro­gram­men bedienen die Parteien mittlerweile auch ganz offen Ängste vor Globalisierung und Kapitalismus. Dabei sind gerade die Sozialdemokrat*innen in eine Krise geraten, wie sich besonders in Deutschland zeigt.


Gegenbewegung zur Political Correctness

Zumindest in Westeuropa gibt es die Interpretation, den Aufstieg der Rechtspopulist*innen als Gegenbewegung zur 1968er-Bewegung und zu den „Grünen“ zu interpretieren. Immerhin haben soziale Bewegungen Themen wie Umwelt, Frieden, Emanzipation und Feminismus sowie Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften auf die gesell­schaf­tliche und politische Agenda gebracht – Errungenschaften, die Rechtspopulist*innen häufig in ihrer Program­matik bekämpfen. Gerade „Gender-Main­streaming”[2] ist ihnen ein Feindbild. Vergleichende Studien zeigen, dass in den USA und in Europa mittlerweile die kulturelle Frage als Zündstoff längst wichtiger als das wachsende sozio-ökonomische Gefälle geworden ist.


Stadt-Land-Gegensatz

Immer stärker tritt ein Gegensatz zwischen Stadt und Land zum Vorschein. So fühlt sich etwa der ländliche Raum abgehängt, wenn es um Digitalisierung (Breitbandausbau) oder die Verfügbarkeit des Nahverkehrs geht. Unterschätzt werden sollte nicht der Faktor, dass immer noch viele Menschen in der Region leben und arbeiten, wo sie geboren sind. Gerade in Gegenden, wo es eine starke regionale Identität gibt, wie etwa in der Alpenregion, sind „Volksparteien“ wie Populist*innen mit dem Appell an die Heimat erfolgreich.


Negative Zukunftssicht und Sehnsucht nach Überschaubarkeit

Der Erfolg von Europas Rechtspopulist*innen gründet sich aber vor allem auf eine negative Sicht der gegenwärtigen und zukünftigen politischen wie wirtschaftlichen Lage. Hier gibt es einen merkwürdigen Widerspruch: Obwohl es ihnen mitunter gut geht, herrscht unter den Wähler*innen populistischer Parteien die Meinung vor, mit dem eigenen Land und der Gesellschaft gehe es bergab. Nach dem Motto: In der Vergangenheit lief vieles besser, in der Zukunft schwant hingegen Böses: Betont werden vor allem die negativen Seiten der Euro­päisierung und Globalisierung.

Natürlich existieren auch reale Probleme: Viele Regionen in Deutschland und Europa dünnen aus, haben mit Abwanderung oder Überalterung zu kämpfen. Rechtspopulistische Parteien bekommen ihre Unterstützung nicht nur von Wähler*innen, die über ein Gefühl der Unsicherheit klagen. Umfragen zufolge gibt es offenbar eine merkwürdige Distanz zwischen der privaten und politischen „Lebenswelt“. Die klare Mehrheit in Europa ist mit dem Leben zufrieden, auch mit Blick auf die persönliche Wirtschaftslage. Dennoch sagt ihnen ihr Bauchgefühl, die EU und das Heimatland entwickelten sich in die falsche Richtung. Offenbar schaffen es die Populist*innen, diese diffuse Unzufriedenheit und die niederen Instinkte bei Menschen anzusprechen, denen es privat wie beruflich eigentlich gut geht. Sie kultivieren praktisch das „Jammern auf hohem Niveau“ und stärken das Gefühl, trotz materieller Sicher­heit „unter den eigenen Möglichkeiten geblieben zu sein“.

Die Sympathie für die Populist*innen hängt aber auch mit dem scheinbar attraktiven, nostal­gi­schen Angebot zusammen: die Rückkehr zu Bekanntem und Bewährtem, klare Rollenbilder etwa in der Geschlechterfrage oder das Versprechen der Sicherheit durch das Ziehen bzw. das Wiederaufleben von Grenzen. Rechtspopulist*innen geben dann Halt, indem sie entweder die guten, alten Zeiten heraufbeschwören oder gegen zunehmend multikulturell geprägte Großstädte wettern, in denen es – ob in Brüssel, Paris, Berlin, Wien oder London – auch Schattenseiten gibt, wenn beispielsweise Parallelgesellschaften mit hoher Krimina­litätsrate existieren und auch eine gescheiterte gesellschaftliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits in dem betreffenden Land geboren sind, festgestellt werden muss. Hier lassen sich dann beliebige Beispiele anführen, weshalb – so die populistische Argumentation – die regionale Idylle den Metropolen vorzuziehen ist.


[1] Der Begriff Spaltpilz bezeichnet ursprünglich Bakterien, die sich durch Teilung (Spaltung) vermehren. Im übertragenen Sinne wird er aber auch für Bedrohungen der Einheit verwendet, von denen die Gefahr einer Spaltung ausgehen.

[2] Gender-Mainstreming ist eine Strategie zur Förderung der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern.

 

Quelle

Hartleb, Florian. Die Stunde der Populisten: Wie sich unsere Politik trumpetisiert und was wir dagegen tun können, Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2017, S. 135-150.

Inglehart, Ronald und Pippa Norris. „Trump, Brexit and the Rise of Populism: Economic Have-Nots and Cultural Backlash”, Harvard Kenndedy School, Working Paper, Cambridge, MA, 6. August 2016, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2818659, zuletzt geprüft am 6. Oktober 2022.