Der "Fall Maria" in den Medien (Gruppe 1)

Der „Fall Maria“ begann im Oktober 2013. Verschiedene Medien in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Staaten und über Europa hinaus, berichteten im Oktober 2013 über eine Polizeirazzia in einem „Roma-Lager“ in der griechischen Stadt Farsala. Bei dieser Razzia sei den Beamt*innen ein kleines Mädchen „aufgefallen“, weil es nicht ausgesehen habe, wie das Paar Eleftheria D. und Christos S., das sich als seine Eltern ausgegeben habe. Die beiden Personen seien daraufhin wegen des Verdachts der Kindesentführung sowie wegen anderer Delikte in Untersuchungshaft genommen worden. Ein DNA-Test habe ergeben, dass das Mädchen nicht leibliches Kind einer der beiden Personen sei, die sich als die Eltern ausgegeben hatten. Auch bezüglich weiterer Kinder gebe es Ungereimtheiten in den Papieren des Paares.

Die Medien meldeten schnell, dass die griechische Polizei einen „Kinderhändlerring“ vermute. In zahlreichen Artikeln wurde darauf hingewiesen, dass die Eltern des britischen Mädchens Madeleine McCann („Maddie“), das 2007 in Portugal verschwunden war, durch die Nachrichten neue Hoffnung schöpften, ihr Kind könne wieder auftauchen. In den Medien wurden häufig Fotos der beiden festgenommenen Erwachsenen sowie des kleinen Mädchens abgebildet, um die wahrgenommene Differenz im äußeren Erscheinungsbild zu unterstreichen. Dabei wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass Maria „blond“, „hellhäutig“ und „grünäugig“ sei.

Wenige Tage nach der ersten Berichterstattung erschienen Meldungen, der „Fall Maria“ sei „wohl kein Einzelfall“. Diese Meldungen wurden mit Berichten über einen anderen Fall von „mutmaßlichem Kinderhandel“ in Griechenland sowie damit, dass ein weiteres „blondes Mädchen aus [einer] Roma-Familie“ in Irland genommen worden sei belegt. Auch die Aussagen von Kostas Giannopoulos, des Leiters der Kinderhilfsorganisation „Das Lächeln des Kindes“, die das Mädchen Maria untergebracht und versorgt hatte, nachdem es Eleftheria D. und Christos S weggenommen worden war, wurden als Beleg für die These weit verbreiteter Kindesentführungen herangezogen: Hinter den Entführungen steckten, sagt er, teilweise Roma-Verbrechersyndikate mit Verbindungen nach Rumänien, Bulgarien und Albanien. Bevorzugt würden Kinder nordeuropäischer Eltern entwendet, erklärt er, aber auch von Familien aus Balkanländern.

In Irland, wo zwei Kinder aus jeweils einer Familie genommen wurden, stellte sich nach DNA-Tests innerhalb von zwei Tagen heraus, dass beide Kinder von den Behörden aus ihren jeweiligen leiblichen Familien genommen worden waren. Die Behörden versprachen eine umfangreiche Aufklärung. Im Juli 2014 wurde ein knapp 140-seitiger Bericht der Kinderschutzbeauftragten Emily Logan veröffentlicht, in dem diese feststellte, dass es sich im vorliegenden Fall um „racial profiling“ gehandelt habe. Im Jahr 2015 haben die Eltern eines der beiden Kinder 60.000€ Entschädigung zugesprochen bekommen.

Im „Fall Maria“ in Griechenland stellte sich wenige Tage nach den ersten Meldungen heraus, dass eine bulgarische Romni die leibliche Mutter Marias ist. Ihre Aussage deckte sich mit der Aussage der Pflegeeltern: Sie hatte Ihnen das Kind überlassen, weil sie selbst nicht in der Lage gewesen war, ausreichend für Maria zu sorgen. Die Pflegeeltern wurden dennoch wegen verschiedener Delikte zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Maria blieb in staatlicher Obhut. Im Mai 2014 entzog ein Gericht nach Medienberichten den Pflegeeltern das Sorgerecht, gleichzeitig wurde ein Gesuch bulgarischer Stellen, das Kind in Obhut zu nehmen, abgelehnt. Die Anklage wegen Kindesentführung gegen die Pflegeeltern wurde im November 2015 fallengelassen.

Die Medienberichterstattung in Deutschland veränderte sich, nachdem der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma am 5. November 2013 auf einer Pressekonferenz die Medien scharf kritisierte und ihnen vorwarf, die gesamte Minderheit zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Viele Medien berichteten über diese Vorwürfe, die meisten bezogen sie jedoch nicht auf die eigene Berichterstattung.

Arbeitsauftrag

1. Beschreiben Sie die tatsächlichen Ereignisse in Griechenland so neutral und objektiv wie möglich.

2. Erläutern Sie die tatsächlichen Ereignisse in Irland.

3. Wenn Sie noch Zeit haben, können Sie im Internet nach Beispielen für die diskriminierende Berichterstattung suchen. Dazu können Schlagworte wie „Maria“, „Roma“, „Griechenland“ und „Entführung“ in einer Online-Suchmaschine eingegeben werden.

Hinweis: Diskriminierende Berichterstattung findet sich häufig in Berichten, die vor November 2013 verfasst wurden.

 

Quelle

Deutscher Presserat. „Spekulationen über Limburger Bischof“, in: presserat, 12. März 2014, https://www.presserat.de/presse-nachrichten-details/spekulation-über-limburger-bischof.html, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

„Fall Maria ist wohl kein Einzelfall“, in: Frankfurter Rundschau, 25. Oktober 2013, https://www.fr.de/
panorama/fall-maria-wohl-kein-einzelfall-11340782.html
, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

Kálnoky, Boris und Dimitra Moutzouri. „Findelkind: Maria erst seit Juni in Griechenland gemeldet“, in: Welt Panorama, 21. Oktober 2013, http://www.welt.de/vermischtes/article121086484/Maria-erst-seit-Juni-in-Griechenland-gemeldet.html, zuletzt geprüft am 18.10.2023.

Rose, Romani. „‚Gestohlene Kinder?‘ Roma in Europa am Pranger – die Verantwortung der Medien, Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, 5. November 2013, http://zentralrat.sintiundroma.de/wp-content/uploads/presse/294.pdf, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

Tichomirowa, Katja. „Griechenland: Ist Maria Opfer von Kinderhändlern?“, in: Frankfurter Rundschau Online, 22. Oktober 2013, https://www.fr.de/panorama/maria-opfer-kinderhaendlern-11080856.html, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

„Vierjähriges Mädchen entdeckt“, in: Frankfurter Rundschau, 19. Oktober 2013, https://www.fr.de/panorama/vierjaehriges-mädchen-entdeckt-11340752.html, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

„Weiteres blondes Mädchen aus Roma-Familie genommen“, in: Welt Panorama, 22. Oktober 2013, http://www.welt.de/vermischtes/article121116789/Weiteres-blondes-Maedchen-aus-Roma-Familie-genommen.html, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

„Zieheltern Sorgerecht entzogen: Roma-Mädchen Maria bleibt in Griechenland“, in: Rheinische Post Online, 31. Mai 2014, http://www.rp-online.de/panorama/ausland/roma-maedchen-maria-bleibt-in-griechenland-aid-1.4280161, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.