Kritik an der Berichtserstattung (Gruppe 2)

„Gestohlene Kinder ?“
Roma in Europa am Pranger – die Verantwortung der Medien.

„Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist tief besorgt über die Auswirkungen der nationalen und internationalen Berichterstattung über in Griechenland und Irland angeblich von Roma ‚geraubte blonde Kinder‘. Aufgrund von Polizeiaktionen in Griechenland und anschließend in Irland waren Kinder von ihren Eltern bzw. Pflegeeltern getrennt und in staatlichen Gewahrsam genommen worden.

Die Polizeiaktionen basierten nach Auffassung des Zentralrates allein auf pseudo-ethnischen Kriterien, daß nämlich blonde Kinder bei Roma einen polizeilichen Verdacht auslösen. Darauf­hin wurde in den Medien diese Polizeiaktion mit allen Formen von Kriminalität in einen spekulativen Zusammenhang gebracht: von Kindesentführung und –mißbrauch über Zwangs­heirat bis zu unterstelltem Organhandel. Dabei haben einige Medien in ihrer Berichterstattung jeweils eigene Versionen des Falles erschaffen und Bilder eines angeblich ‚verstörten, von Roma verschleppten Kindes‘ kreiert. Dieses Bild, das offenkundig nicht den Tatsachen ent­spricht, wurde in Deutschland und ebenso weltweit pauschal auf die gesamte Minderheit projiziert. Nur ein Teil der Medien hat, nachdem die Einzelheiten der Fälle klar wurden, eingeräumt, daß hier auch in der Berichterstattung alte antiziganistische Feindbilder wirksam waren.

Die verständliche, von dieser Berichterstattung hervorgerufene Reaktion hunderter von Eltern, deren Kinder vermißt werden, und die jetzt Hoffnung schöpfen, daß ihre Kinder möglicher­weise von Roma verschleppt, aber am Leben seien, macht wiederum alle Sinti und Roma zu potentiellen Kindesräubern. Die Auswirkungen auf die Angehörigen der Sinti und Roma in Deutschland sind jetzt bereits massiv: Sinti in Deutschland berichten beim Zentralrat über ihr Gefühl von Scham und Entwürdigung im Umgang mit Nachbarn und Berufskollegen. Kinder von Sinti und Roma werden in der Schule von Schulkameraden gefragt, ob sie gestohlen wurden, oder ob sie selbst Kinder stehlen.

In ganz Europa und auch international wurde so die gesamte Roma-Minderheit pauschal stigmatisiert und kriminalisiert; weltweit wurden verschwundene Kinder bei Roma vermutet. In Serbien attackierten Skinheads eine Romafamilie, deren Kind blond ist. In Irland wurden Kinder allein aufgrund sogenannter ‚Beobachtungen aus der Bevölkerung‘, und weil die Kinder blond waren, durch die Behörden durch einen unverhältnismäßigen Polizeieinsatz von ihren Eltern getrennt – ein anschließender DNA-Test bewies, daß die Kinder von ihren leiblichen Eltern getrennt worden waren.

Der Zentralrat begrüßt die Appelle von irischen Menschenrechtsorganisationen an die Regierung in Irland, die Hintergrunde der dortigen ungerechtfertigten Polizeiaktion detailliert aufzuklären und sich bei der Minderheit zu entschuldigen.

Die Art der polizeilichen Aktionen und der darauffolgenden Berichterstattung in den Medien, die allein auf das ‚weiße und blonde‘ Aussehen der betroffenen Kinder abheben, basiert auf rassistischen Grundmustern, unter denen jetzt die gesamte Minderheit in Deutschland und in Europa zu leiden hat.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unterstreicht, dass es die Aufgabe von Polizei und staatlichen Behörden ist, gegen jeden Fall von Menschenhandel und illegaler Adoption vorzugehen. Unzulässig ist es aber, in der Öffentlichkeit Bilder zu produzieren, die rassistische Vorurteile wachrufen und bestärken. Der Zentralrat fordert daher den neu konstituierten Bundestag auf, eine Expertenkommission einzusetzen, die die Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma in Deutschland dokumentiert und mißt, und die einmal pro Legislaturperiode hierzu dem Deutschen Bundestag einen Bericht vorlegt. Dies ist unabdingbar vor dem Hintergrund der Geschichte und den mörderischen Auswirkungen der nationalsozialistischen Rassen­ideologie, die der Minderheit systematisch negative Eigenschaften zuschrieb und so den Völkermord im NS-besetzten Europa legitimierte.“

Romani Rose

Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma www.sintiundroma.de

Arbeitsauftrag

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Quelle

Rosi, Romani. „‚Gestohlene Kinder?‘: Roma in Europa am Pranger – die Verantwortung der Medien“, Heidelberg: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, 05. November 2013, http://zentralrat.sintiundroma.de/wp-content/uploads/presse/294.pdf, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.