Handreichung für Lehrkäfte

In diesem Unterrichtskonzept geht es um Reflexion des Sprachgebrauchs und der damit eingehenden Machtverhältnisse. Dabei ist es entscheidend, dass sich die Lehrkraft gut vorbereitet in dieses Thema begibt.

In der Erprobungsphase dieser UE haben viele S*S mit Rassismuserfahrung Bedenken geäußert, ob ihre Lehrkräfte in der Lage seien, dieses Thema sensibel zu unterrichten. Diese Bedenken sind ernst zu nehmen. Ich empfehle von daher, vorbereitend Fortbildungen zu rassismuskritischen Themen zu besuchen und sich eingehend mit der Literatur zu diesem Thema zu beschäftigen (siehe weiterführende Literatur). Es ist ratsam, auf externe Expert*innen für diese Thematiken zurückzugreifen. Hinweise und Kontaktadressen dazu finden Sie z.B. im Rassimuskritischen Leitfaden (2015, S. 59–63).

Lehrkräfte ohne eigene Rassismuserfahrung haben oft selbst Schwierigkeiten, Rassismen in der Sprache aufzudecken. So kann die scheinbar neutrale Frage nach der Herkunft (1. und 2. Stunde) bereits unterschiedliches konnotieren. In der Tat werden Menschen, die durch ihr Äußeres nicht dem imaginierten weißen Deutschsein entsprechen, in ihrem Alltag häufig mit dieser Frage behelligt. Diese Tatsache spricht dafür, dass die Vorstellung eines „weißen Deutschseins“ in der Bevölkerung dominiert (Ogette, 2014).

Die Lehrkraft sollte sich zunächst also mit ihrer eigenen „Deutschsein“-Definition kritisch beschäftigen. Das Deutschsein, wie jede andere Identifikation, ist ein Konstrukt, welches unterschiedlich ausgelegt werden kann. Tatsache ist, dass die meisten Menschen, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, unabhängig vom Geburtsort und Staatsangehörigkeit, sich als zugehörig fühlen und nicht stets darauf angesprochen werden wollen, dass sie angeblich „anders“ seien. Durch die Fragerei nach der Herkunft werden sie erst zu den „Anderen“ gemacht. In diesem Zusammenhang grenzt die Frage nach der Herkunft die Gefragten systematisch ihres Phänotyps wegen aus.

Solche Handlung, auch wenn unintendiert, hat einen rassistisch diskriminierenden Effekt. Viele Menschen fühlen sich bei der Frage nicht wohl, zumal ihnen die Antwort, die sie geben (aus Deutschland, Berlin, Thüringen usw.) nicht abgenommen wird, wie das Video von Sidney Frenz (Material 3) demonstriert. Ihre Selbstidentifikation als Deutsche, Berliner*innen, Thüringer*innen usw. wird in Frage gestellt. Die Fragenden nehmen sich hierbei also das Recht heraus, die Identität der Gefragten zu definieren. Hier kommt die Definitionsmacht ins Spiel.

Dass eine Handlung auch ohne jede Intention rassistisch sein kann, ist eine weitere Erkenntnis, die notwendig ist, um Rassismus erkennen und konstruktiv begegnen zu können. Der UN-Anti-Rassismusausschuss definiert auch eine unintendierte Handlung, also eine Handlung ohne jegliche bewusste rassistische Absicht, als rassistisch, insofern sie einen rassistischen Effekt auf die Betroffenen hat[1]. Dieser Definition zufolge obliegt die Entscheidung bei den Betroffenen, ob es sich hierbei um Rassismus handelt. Aus diesem Grund kommen in diesem Unterrichtskonzept überwiegend Menschen mit Rassismuserfahrungen zu Wort.

Die Lehrkraft ist für eine angenehme Atmosphäre in der Klasse verantwortlich. S*S mit Rassismuserfahrung sollen sich beim Besprechen dieser Themen nicht unwohl fühlen. Zum Beispiel hat die Lehrkraft darauf zu achten, dass die Rollenspiele nicht ins Lächerliche gezogen werden und dass dabei nicht Rassismus reproduziert wird. Beim Sprechen über rassistische Sprache sollte die Lehrkraft stets darauf achten, dass bestimmte Begriffe (z.B. das N-Wort, Inhalt der 3. Stunde) weder ausgesprochen noch ausgeschrieben werden, weil das allein bereits rassistische Verletzungen zufügen kann (Kilomba, 2009). Das betrifft auch weitere Fremdbezeichnungen wie z.B. das I-Wort[2] und das Z-Wort[3]. Die Lehrkraft sollte sowohl über die historischen Entstehungen dieser Begriffe als auch über die Selbstbezeichnungen unbedingt gut informiert sein (mehr dazu bei Ofuatey-Alazard und Arndt, 2011).

Die Lehrkraft sollte sensibel mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen der S*S im Umgang mit dem Thema Rassismus und Diskriminierung umgehen. Einige S*S mit Rassismuserfahrung würden sicher gern ihr Wissen und ihre Erfahrungen hierzu beitragen. Das sollte von der Lehrkraft unterstützt werden. Hier werden Lernende zu Lehrenden und die Lehrkraft sollte offen dafür sein, von ihren S*S zu lernen. Andere jedoch mögen nicht darüber sprechen, sich nicht positionieren und empfinden gezieltes Nachfragen evtl. als Vorführen. Dieses führt zur Ausgrenzung dieser S*S, was wiederum rassistische Implikationen hätte. Wie bei allen anderen Themen zu Rassismus und Diskriminierung, sollen die Jugendlichen stets für sich selbst entscheiden, wie viel sie zur Diskussion beitragen wollen. Das Ziel ist, S*S durch die Beschäftigung mit dem Thema zu bestärken, nicht sie auszugrenzen.

Viele Menschen, die Diskriminierung erfahren, bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Widerstand und Anpassung. Sie müssen sich selbst vor schmerzhaften und traumatischen Situationen schützen. Manchmal gehen sie offensiv, manchmal defensiv mit so genannten Mikroaggressionen[4] um. Manche beantworten z.B. die Frage nach der Herkunft stets mit vollständigen Informationen über die Herkunft ihrer Eltern oder Großeltern, ignorieren bewusst die konnotierte Ausgrenzung und beschließen, dass an der Frage nichts Anstößiges sei. Auch diese Anpassung ist eine Art von Widerstand und dient dem Schutz. Sie sollte stets respektiert werden. Die Freiwilligkeit bei der Auswahl der Szenen (2. Stunde) sollte sicherstellen, dass S*S sich nicht exponieren müssen.

Die vierte Stunde beschäftigt sich damit, wie durch das Sprechen über bestimmte Gesellschaften diese auf- bzw. abgewertet werden. Das geschieht unter anderem dadurch, dass im Sprechen über nicht-westliche Gesellschaften für dieselben Gegebenheiten („Volk“, „Sprache“, „Bürgermeister“) andere Bezeichnungen („Stamm“, „Dialekt“, „Häuptling“) verwendet werden. Eine Analyse von Denotationen und Konnotationen dieser Begriffe deckt dahinterstehende Konzepte auf und verdeutlicht ihre rassistische Wirkung. Auch für die vierte Stunde, wie bereits für die Stunde zuvor, wird ein fundiertes Wissen über (post-)koloniale Verhältnisse in Verbindung mit historischem und heutigem Rassismus der Lehrkraft vorausgesetzt. Eine vertiefende Beschäftigung mit europäischem Kolonialismus ist zwar in dieser UE aus Zeitgründen nicht vorgesehen, empfiehlt sich jedoch entweder als Erweiterung oder parallel im Fach Geschichte bzw. Gesellschaft, aber auch als ein fächerübergreifendes Projekt. Empfehlenswerte Materialien dazu finden Sie z.B. in BER e.V. (2009).[5] In vielen Städten bieten postkoloniale Bildungsinitiativen für Schulklassen geführte Stadtrundgänge zur Kolonialgeschichte an[6].

Über machtkritische Themen zu unterrichten setzt zudem voraus, dass die Lehrkraft über ihre eigene Position reflektiert und sich kritisch damit auseinandersetzt. Darüber hinaus ist eine ständige Reflexion der rassistischen Verhältnisse in unserer Gesellschaft und die Erarbeitung einer rassismuskritischen Grundhaltung vonnöten. Die Irritation der „Norm“, die hier vorgenommen wird, sollte zunächst von der Lehrkraft selbst erfahren werden, bevor sie diese in den Klassenraum trägt. Hat die Lehrkraft diese Irritation erfahren, kann sie die eventuelle Abwehr einiger S*S gut abfangen und wird diese konstruktiv zu nutzen wissen.

Zur Einführung in Rassismuskritik werden Deutschland Schwarz weiß von Noah Sow (2008) sowie der Rassismuskritische Leitfaden (2015) empfohlen. Im ersten Werk werden historische und gesellschaftliche Hintergründe beleuchtet und Rassismus in all seinen Facetten aus der Schwarzen Perspektive für weiße Leser*innen nachvollziehbar erklärt. Im zweiten finden Sie hilfreiche Ausführungen zur rassismus- und machtkritischen Pädagogik, unter anderem auch zum Umgang mit Sprache.

Um einen nachhaltigen Effekt auf rassismuskritische Sprachverwendung zu erzielen, sollte die Thematik im weiteren Unterrichtsverlauf stets mitgedacht werden. Schulbücher, Medien, Quellen und Literatur bieten hierfür ausreichende Möglichkeiten zur Reflexion. Die S*S werden nicht nur ihre eigene Sprache, sondern die ihrer Eltern und anderer Lehrender unter die Lupe nehmen. Es empfiehlt sich, eine schulinterne Fortbildung von Expert*innen zu diesem Thema anzuregen. Ansprechspartner*innen hierfür finden Sie z.B. im Rassismuskritischen Leitfaden (2015, S. 59-63).

 

[1] Diaconu, Ion, member of CERD (Committee on the Elimination of Racial Discrimination of the UN), Racial discrimination – Definition, approaches and trends. http://www.ohchr.org/documents/issues/racism/iwg/session8/iondiaconu.doc.

[2] Kolonial-rassistische Fremdbezeichnung für die ersten Bewohner*innen Nord- und Südamerikas, „die schon lange bevor Kolumbus mit der Kolonisierung Amerikas begann dort lebten.“ Edewa Wanderausstellung, Begriffsgeschichten. http://www.edewa.info/stellungnahmen/begriffsgeschichten/das-i-wort/.

[3] Rassistische Fremdzuschreibung, die Sinti*ezas und Rom*nja mit Sterotypen besetzt und diese als generalisierte Gruppe darstellt. Da es sich hierbei um keine Selbstbezeichnung handelt, sollte der Begriff nicht verwendet werden. Alisha Mendgen. „Bürgerrechtler über Hass auf Sinti und Roma: ‚Der Rassismus wurde nie hinterfragt‘“, https://www.rnd.de/panorama/burgerrechtler-uber-hass-auf-sinti-und-roma-der-rassismus-wurde-nie-hinterfragt-LPGZ2WVYMRFQFA67O2HARCZB6Q.html.

[4] Toan Quoc Nguyen. „‘Es gibt halt sowas wie einen Marionettentäter‘:Schulisch-institutionelle Rassismuserfahrungen, kindliche Vulnerabilität und Mikroaggression“, in: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36,2 /2013), S. 20–24.

[5] Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e.V. Der Kolonialismus und seine Folgen: 125 Jahre nach der Berliner Afrika-Konferenz, Inkota-Dossier 5, 2009. https://webshop.inkota.de/produkt/download-inkota-dossier/inkota-dossier-der-kolonialismus-und-seine-folgen-125-jahre-nach-der.

[6] siehe z.B. http://www.freedom-roads.de/frrd/netzw.htm.

 

Weiterführende Literatur

Ofuatey-Alazard, Nadja und Arndt, Susan (Hg.). Wie Rassismus aus Wörtern spricht: (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster: Unrast, 2011.

Nduka-Agwu, Adibeli und Hornscheidt, Antje. Rassismus auf gut Deutsch: Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen, Frankfurt/M.: Brandes & Apsel, 2010.

Sow, Noah. Deutschland Schwarz Weiß: Der Alltägliche Rassismus. München: C. Bertelsmann, 2008.

Kilomba, Grada. „Das N-Wort“, in: Afrikanische Diaspora in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung, 3.06 2009. Zuletzt geprüft am 24.08.2021, http://www.bpb.de/themen/B89NS4,0,Das_NWort.html.

Ogette, Tupoka. „Woher kommst du? Ich meine wirklich?“, in: MiGAZIN, 13.11.2014. Zuletzt geprüft am 24.08.2021, http://www.migazin.de/2014/11/13/woher-kommst-du-ich-meine-wirklich/.

AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. (Hg.). „Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch: Handreichung für Journalist*innen“, www.oegg.de/index.php?de_ab-2008, zuletzt geprüft am 24.08.2021.

Autor*innenKollektiv. Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. Elina Marmer und Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (LEO) beim Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes Berlin Mitte (Hg.), 2015.

Marmer, Elina und Sow, Papa (Hg.). Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht: Kritische Auseinandersetzung mit »Afrika«-Bildern und Schwarz-Weiß-­Konstruktionen in der Schule – Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis, Weinheim und Basel: Beltz Juventa, 2015.