Hintergrundinformation: Koloniale Spuren

Textauszug aus: „Koloniale Spuren im städtischen Raum“ von Marianne Bechhaus-Gerst (2019)

„Auch Straßennamen sind Erinnerungsorte im öffentlichen Raum. Nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Geschichte dienen sie der Orientierung: Historisch bedeutsame Ereig­nisse, Orte und Personen werden mit Straßennamen in der kollektiven Erinnerung gewürdigt. Benennt man eine Straße zum Beispiel nach einer Persönlichkeit, tut man dies, um ihren Namen zu ehren und an die Verdienste der Person zu erinnern.

In Deutschland gibt es in vielen Städten Straßennamen mit Bezügen zur Kolonialgeschichte. Manche dieser Straßen erhielten ihre Bezeichnungen noch während der Kolonialzeit, andere wurden in der NS-Zeit benannt. Koloniale Akteure beziehungsweise Täter, die besonders häufig durch Straßenbenennungen geehrt wurden, sind Carl Peters, Adolph Lüderitz [...] oder Gustav Nachtigal. Wenngleich es vereinzelt bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu Umbenennungen kam, gibt es heute in Deutschland zum Beispiel noch 26 nach Lüderitz benannte Straßen [...].

[...] Straßenumbenennungen hat es in der deutschen Vergangenheit immer wieder gegeben, etwa nach 1945 [...]. Widerstand gab es in [diesem Fall] wenig oder keinen. Vollkommen anders stellt sich der Sachverhalt bei Straßennamen mit kolonialen Bezügen dar. Als Argu­ment nicht nur gegen Umbenennungen, sondern gegen eine kritische Auseinandersetzung mit den Namen wird insbesondere auf „Unwissen/Unkenntnis“ verwiesen. Da man ohnehin nicht mehr wisse, wer die Person, was das Ereignis, wo der Ort sei, und alles schon so lange zurückliege, seien diese Namen unproblematisch, und man müsse sich auch nicht mit ihren Hintergründen beschäftigen.

Auch äußern sich im Rahmen von Umbenennungsdiskussionen immer wieder nach wie vor bestehende romantisierende oder verklärende Perspektiven auf den Kolonialismus: So schlimm sei dieser nicht gewesen und habe für die Menschen in den Kolonien auch sein Gutes gehabt. Eine weitere Deutung ist, dass die kolonialen Straßennamen sogar Solidarität mit den Opfern kolonialer Herrschaft demonstrieren.

[...] Wiederholt wird bei Umbenennungsdiskussionen der Vorwurf laut, man wolle Geschichte ungeschehen machen oder verändern. Dass dieser Vorwurf durchaus berechtigt sein kann, zeigt sich an einigen bereits erfolgten Umbenennungen, die sich durch Unkenntnis, Desinte­resse und Beliebigkeit auszeichnen. [...] Im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit ist es jedoch wichtig, bei Umbenennungen die histori­schen Bezüge zur deutschen Kolonialzeit zu erhalten.“

Quelle

Marianne Bechhaus-Gerst. Koloniale Spuren im städtischen Raum, in: Aus Politik und Zeitgeschichte APuZ 40-42 (2019), https://www.bpb.de/apuz/297604/koloniale-spuren-im-staedtischen-raum, zuletzt geprüft am 17.12.2020.

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