Hintergrundinformationen: Bildkontexte in chronologischer Reihenfolge (für die Lehrkraft)

Bild A) Die Ausreise in die USA: Aufstiegsmigration Ende des 19. Jahrhunderts

Das Originalbild entstand im Kontext der transat­lan­tischen Auswanderung von Menschen aus deutsch­sprachigen Gebieten nach Amerika im 18. und 19. Jahrhundert. An der Kleidung und den Hüten lässt sich erken­nen, dass es sich um eine Ausreise im 19. Jahrhundert handelt. Die Habseligkeiten in den Beuteln, Kisten und Koffern an Bord deuten daraufhin, dass die Menschen eine längere Reise bzw. Auswanderung antreten. Die Größe des Schiffes und die Eisenbahn verdeutlichen, dass es sich um eine beträchtliche An­zahl von Menschen handelt, die sich auf die lange Reise nach Amerika begeben. Das Bild steht somit symbolisch für die große Anzahl an Menschen, die im 18. und 19. Jahrhundert aus deutschen Gebieten nach Amerika auswanderten.

 

Bild D) Der Junge aus dem Warschauer Ghetto: Deportation während des Zweiten Weltkrieges

Das Originalbild ist meist unter dem Titel „der Junge aus dem Warschauer Ghetto“ zu finden und stammt aus einem Bericht eines NS-Täters bezüglich der Deportation jüdi­scher Menschen aus Warschau im Jahre 1943. Das Bild steht für die extremste Facette von Migration, genauer gesagt Zwangs­migration bzw. Deportation und die an­schlie­ßende Hinrichtung von Menschen: Historisch gese­hen steht es also für die Millionen an Menschen, die durch deutsche Soldaten im zweiten Weltkrieg zwangs­migrieren mussten, deportiert und getötet wurden.

Zum Schutz und als Zeichen der Angst heben sie ihre Arme. Die bedrohliche Lage der Menschen, wird darüber hinaus durch das gezückte Gewehr des NS-Soldaten deutlich. Das Bild hat einen besonderen Symbolcharakter, da hier vor allem Kinder und Frauen mit vorgehaltener Waffe abgeführt werden.

 

Bild B) Flucht und Vertreibung: Zwangsumsiedlung während des Zweiten Weltkrieges

Dieses Originalbild ist in verschie­densten Formen in Schul­büchern, historischen Zeitschrift­en und Zei­tungs­artikeln zu finden. Darauf sind Menschen mit Pferdewagen und zu Fuß in großen Gruppen auf der Wan­derung zu sehen. Bei dem Bild handelt es sich um ein Foto von Menschen, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges im Winter 1944 und Frühjahr 1945 vor der sich nähernden Roten Armee Richtung Westen fliehen. Der genaue Entstehungskontext ist unklar. Derartige Bilder von „Vertriebenen aus ehemaligen deutschen Ostgebieten“ sind in Deutsch­land weit verbreitet. Teilweise wurden sie noch während des Krieges als nationalsozia­listische Propaganda im Sinne der Abbildung „eines geordneten Rückzugs“ eingesetzt. Das Bild verdeutlicht, dass die Menschen zu Fuß und nur mit ihren wichtigsten Dingen bepackt im kalten Winter und Frühjahr – wie sich an den Bäumen und der Kleidung erkennen lässt – die Flucht antreten mussten. Einen weiteren Symbolcharakter hat der Blick von den Menschen, die nicht auf dem Wagen sind, der nach unten gerichtet ist, als würden sie sich schämen dort zu sein oder diesen Weg antreten zu müssen. Auch ist niemand zu erkennen, der diese Menschen begrüßt oder ihnen Hilfe anbietet.

 

Bild F) Der millionste „Gastarbeiter“: „Gastarbeiter“

Dieses häufig als Ikone für die „Gastarbeiter“ bezeichnete und in vielen Schulbüchern abgebildete Bild wurde in Köln Deutz im Zuge der Ankunft des einmillionsten Gast­arbei­ters aufgenommen. Das Symbolische an dem Bild ist, dass der abgebildete Gastarbeiter Armando Rodrigues de Sá selbst gar nicht weiß, wie er mit den Geschenken und dem Empfang umgehen soll. Bereits durch seine Kleidung unterscheidet sich Armando Rodrigues de Sá von den umstehenden Menschen und wirkt insgesamt in der Szene nicht dazugehörig. Sein Blick verrät ebenfalls, dass die Situation befremdlich für ihn ist und er sich unwohl fühlt, während die Aufnahme­gesellschaft um ihn herum ein großes Fest und sich selbst für ihre Großzügigkeit und „Gast­freund­schaft“ feiert. Möglicherweise wurde in der BRD beabsichtigt zu zeigen, wie gast­freundlich dieses Land der NS-Täter*innen gegenüber „Ausländern“ geworden ist, während beispielsweise die Aufnahme von „Vertragsarbeiter“ aus „sozialistischen Bruderstaaten“ in der DDR Solidarität mit diesen darstellen sollte.

Durch solche symbolischen Akte des freudigen Empfangens ließen sich viele andere und weniger rühmliche Aspekte der Situation von „Gastarbeitern“ verdecken, z. B. die schwierigen Bedingungen unter denen sie in Deutschland leben und arbeiten mussten. Die Ambivalenz dieses Bildes wird besonders durch die verschiedenen Gesichtsausdrücke deutlich.

 

Bild I) Der Ford-Streik 1973: Migrantischer Widerstand gegen Ausbeutung

Das Originalbild wurde während eines Streiks türkischer „Gastarbeiter“ im Kölner Fordwerk 1973 aufgenommen. Der Streik ist dabei be­ispiel­haft für eine Reihe an Arbeitsnieder­le­gungen von „Gastarbeiter*innen“ im Jahre 1973 in der BRD. Der symbolische Wert dieses Bildes liegt darin, dass „Gastarbeiter“ hier nicht nur Objekte sind, sondern eine agency inne­haben. Indem sie das Eingangstor zu den Wer­ken belagerten und dadurch die Arbeit blockier­ten, versuchten sie sich Gehör zu verschaffen. Das Megafon zeigt, dass sie laut werden. Ein wich­tiger Hinweis darauf, dass es sich um einen Streik handelt, ist die Forderung, eine Mark mehr verdienen zu wollen. Auch die verschränkte Armhaltung einiger Männer, die sich auf das Tor lehnen, kann als Streikhaltung interpretiert werden. Das Bild verdeutlicht, dass Migrant*innen die Aufnahmegesellschaft für den Umgang mit ihnen offen kritisieren und die Ungleich­behand­lung, die ihnen häufig widerfährt, nicht schweigsam hinnehmen.

 

Bild H) „Boat People“: Aufnahme Geflüchteter des Vietnamkrieges

Das Originalbild entstand im Zusammen­hang mit der Seerettung und Aufnahme von vietna­mesi­schen Kriegsflüchtlingen seit 1978/79 in der BRD und wurde im Jahr 1986 aufgenommen. Es steht beispiel­haft für ein zivilgesellschaftliches Engagement der Rettung. In diesem Fall war es eine privat initiierte Rettungs­aktion und die da­ran anschließende Aufnahme von Kriegs­flücht­lingen. Das Symbolische an diesem Bild ist, dass die geretteten Kriegs­flücht­linge aus Vietnam im Hamburger Hafen von Menschen mit Fähnchen winkend, nahezu einladend begrüßt werden oder die Menschen zumindest gekommen sind, um sich das Einlaufen anzuschauen. Auch die Migrant*innen selbst stehen am Deck des Schiffs und nehmen diese Reaktion zur Kenntnis, aber weitaus weniger euphorisch.

Das Bild steht auch für die Bemühungen von staatlicher Seite, die vor dem Krieg geflüchteten antikommunistischen Südvietnames*innen in Westdeutschland aufzunehmen. Dazu zählen beispielsweise eine zügige Abwicklung der Bürokratie durch unbefristete Aufenthaltsgeneh­migungen, Arbeitserlaubnisse und auch Maßnahmen wie Sprachkurse und Betreuungen. Auf politischer Ebene wurde dies in Zeiten des Kalten Krieges auch unternommen, um zu verdeutlichen, auf welcher Seite man stand.

 

Bild J) Flucht aus der DDR: Wiedervereinigung

Das Originalbild entstand im Rahmen der Flucht von DDR Bürger*innen über Ungarn in den Westen. Es zeigt, wie Menschen hektisch durch ein Zaun­tor aus der DDR flüchten, wobei einige vor Freude strahlen und lachen. Andere schauen eher besorgt und versuchen schnellstmöglich vorwärts zu kommen.

Die Flucht aus der DDR ist hier als ein hekti­scher, ungewisser, aber zugleich auch freudiger Moment fest­gehalten, der neben der bedrückenden Fluchtsituation auch die Hoffnung der Menschen auf eine Verbesserung ihrer Lebenssituation durch Migration in den Westen enthält. Allen scheint jedoch bewusst zu sein, dass es kein Zurück mehr gibt, da sich niemand umdreht oder sich von jemanden verabschiedet.

 

Bild E) Abgebranntes Haus der Familie Genç in Solingen (1993): Rassismus

Das Originalbild ist nach dem Brandanschlag auf ein Haus in Solingen im Jahr 1993 aufgenommen worden, bei dem Mitglie­der der Familie Genç starben. Die größtenteils abgebrannte Ruine steht für eine neue Hochphase von Brandanschlägen und Angriffe auf Migrant*innen und Menschen mit Migra­tions­hinter­grund Anfang der 90er Jahre (Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln etc.) und eine Reihe oder lange Tradition rassistischer Anschläge in Ost- und Westdeutschland (die An­schläge des NSU, der in Hanau etc.). Die rassistisch motivierten Gewalttaten lassen sich als eine Reaktion der Abwehr von Migration und Diversität und somit als weitere Facette des gesellschaftlichen Umgangs mit Migration verstehen, der nicht verschwiegen oder übergangen werden sollte.

Auf dem Foto spiegeln sich durch die türkische Fahne und die Banner an der Ruine Trauer und Protest wider, während einige Menschen einfach nur zuschauend vor dem Gebäude stehen. Insgesamt findet sich keine überwiegende Mehrheit, die hier protestiert oder trauert, was wiederum sinnbildlich für den gesellschaft­lichen Umgang mit solchen Gewaltverbrechen stand bzw. steht. Außerdem ist in diesem Bild keine Form von staatlicher Behörde oder Polizei zu sehen, die man an einem solchen Tatort erwarten würde. Auch dies ist mit Blick auf die lange Tradition der Verdeckung rassistischer Gewalttaten symbolisch zu lesen.

 

Bild G) Flucht über das Mittelmeer: Die „europäische Migrationskrise“

Das Originalbild und ähnliche Fotos werden besonders oft in den Medien und Schulbüchern gezeigt, wenn es um Migration geht. Die Verwendung von Fotos mit einer großen Anzahl von Männern in einem überfüllten Boot beabsichtigt häufig „unaufhaltbare Wellen Geflüchteter“ zu symbolisieren, die auf die EU zuströmen und das Boot dort zum Überlaufen bringen würden. Eine solche Deutung, die in der Symbolik des Bildes verankert ist, gilt es zu hinterfragen und zu dekonstruieren, denn das Bild lässt sich auch anders lesen. Die Männer riskieren in einem alten Boot aus Holz und ohne Rettungswesten bei der Überfahrt über das Mittelmeer ihr Leben. Die Angst und Ungewissheit spiegeln sich auch in ihrem angespannt wirkendem Blick wider. Nimmt man sich den Menschen selbst, sieht man ihre schwierige Lage, die sie zu einem derartig drastischen Schritt bewegt hat.

 

Bild C) Fachkräfte Willkommen: Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften

Das Originalbild erscheint auf einer Inter­net­seite der Bundesregierung im Zu­sam­men­hang mit der erleichterten Einwan­derung von Fachkräften. Es kann auch als Gegensatz zu dem Bootbild gesehen werden und zeigt in einem vollkommen gegensätzlichen Deutungs­zusam­men­hang von gegenwärtigen Migra­tions­prozessen. Einwanderung, sofern es sich um Fachkräfte handelt, wird hier als etwas für die Gesellschaft sehr Wichtiges und Berei­cherndes dargestellt.

Der Symbolcharakter dieses Bildes steckt darin, dass es verschiedene Hautfarben der Menschen und ihre Diversität auch hinsichtlich der Geschlechter abbildet und somit ein Leitbild von Vielfalt als Bereicherung und ein plurales Gesellschaftsbild vorgibt, was durch das strahlende Lächeln der meisten Personen auf dem Bild unterstrichen wird.

Problematisch an dem Bild ist jedoch, dass fast nur die weißen Personen[1] in den leitenden Positionen zu sein scheinen und People of Color daher als Pflegekräfte und Menschen für Hilfstätigkeiten verstanden werden könnten. Unterstrichen wird dies durch die Positionierung, denn erstere stehen im Vordergrund und letztere an der Seite und im Hintergrund. Das größte Problem des Bildes ist aber, dass Fachkäften mit einer dunkleren Hautfarbe hindurch die Annahme angehängt wird, keine Deutschen zu sein.
 


[1] Hier wird weiß-Sein im Sinne der Critical Whiteness Studies als eine privilegierte Position verstanden, die Menschen aufgrund von ihrer hellen Hautfarbe häufig automatisch und unverdient gegenüber Menschen mit einer dunkleren Hautfarbe innehaben.