1: Moses Mendelssohn äußerte sich 1782 gegenüber einem Freund über die jiddische Sprache:
„Hingegen würde ich es sehr ungern sehen, wenn […] die jüdisch-deutsche Mundart und die Vermischung des Hebräischen mit dem Deutschen durch die Gesetze autorisiert würden. Ich fürchte, dieser Jargon hat nicht wenig zur Unsittlichkeit des gemeinen Mannes beigetragen; und verspreche mir sehr gute Wirkung von dem unter meinen Brüdern seit einiger Zeit aufkommenden Gebrauch der reinen deutschen Mundart.“
Jargon: Abwertende Bezeichnung für die jiddische Sprache
2: In den Jahren 1780 bis 1783 erschien Moses Mendelssohns Übersetzung des Pentateuch (fünf Bücher Mose) aus dem Hebräischen ins Deutsche. Der israelische Historiker Shmuel Feiner äußert sich dazu wie folgt:
„Nachdem [Mendelssohn] erkannt hatte, dass er das Projekt [einer Übersetzung der fünf Bücher Mose aus dem Hebräischen ins Deutsche] verwirklichen konnte, erschien es ihm als ein für das gesamte Judentum bedeutsames Unternehmen. Er hoffte einerseits, dass man sich mit dem Bi’ur von den Mängeln der jiddischen Übersetzungen [der hebräischen Bibel] befreien und den Zugang zur europäischen Kultur finden könne, andererseits wollte er dem Abfall vom Judentum bei den jungen Menschen wehren, die diesem durch die traditionelle Erziehung entfremdet wurden. […] Mendelssohns Verknüpfung des Bi’ur mit der Kritik an den Mängeln jener Erziehung und dem Willen, eine Öffnung der jüdischen Kultur einzuleiten, ließ das Werk zu einem Projekt der jüdischen Aufklärung werden. Doch in den Herzen einiger führender Rabbiner jener Zeit weckte es Befürchtungen. Je stärker der Bi’ur in den Mittelpunkt der jüdischen Elementarerziehung gerückt wurde, desto mehr wuchs ihr Verdacht, der Unterricht in der Bibel könne das Talmudstudium aus seiner Vormachtstellung verdrängen. [Sie befürchteten auch], das Erlernen der deutschen Sprache mittels der Bibel könne zu große Bedeutung erlangen.“
Bi’ur: Hebräisch für „Kommentar“; übliche Bezeichnung des Gesamtunternehmens der Übersetzung des Pentateuch ins Deutsche mit hebräischen Buchstaben und seiner Kommentierung durch Moses Mendelssohn und andere jüdische Aufklärer.
Talmudstudium: Jüdische Jungen ab einem Alter von 4 bis 6 Jahren lernten in der Regel in einer jüdischen Elementarschule (hebr. Cheder) Hebräisch zu lesen und zu schreiben, um die Tora, die heilige Schrift der Juden, lesen und interpretieren zu können. Der Lehrer unterrichtete sie dabei auf Jiddisch, der Umgangssprache der Juden. In der Regel ab einem Alter von 8 bis 9 Jahren begannen jüdische Jungen damit, auch den Talmud, die auf der Tora aufbauende Sammlung religiöser Gesetze und Sprüche, zu studieren. Die Kenntnis dieser mehrere tausend Seiten umfassenden Sammlung galt als das höchste Unterrichtsziel, das aber nur die wenigsten Jungen erreichten. Mädchen lernten im allgemeinen zu Haus etwas Lesen und die für den Haushalt relevanten religiösen Vorschriften.
Arbeitsauftrag
Zu 1: Jiddisch, eine Mischung aus mittelalterlichem Deutsch sowie slawischen und hebräischen Wörtern, wurde im 18. Jahrhundert als Umgangssprache von den Juden in Mittel- und Osteuropa gesprochen.
Erläutere, warum der Aufklärer Mendelssohn dieser Sprache kritisch gegenüber stand und an ihrer Stelle die hochdeutsche Sprache bevorzugt hat. Ziehe für Deine Antwort auch die Einschätzung des Historikers Shmuel Feiner (2. Quelle) heran.
Zu 2: Mendelssohns Bibelübersetzung wurde von führenden Rabbinern der Zeit verdammt; Lesern der Bücher wurden Strafen angedroht. Erklärt dieses Verhalten.
Quelle
Brief Mendelssohns an E. F. Klein vom 29.8.1782, in: Moses Mendelssohn, Briefwechsel III, bearb. v. Alexander Altmann, Stuttgart/Bad Cannstatt 1977 (Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Bd. 13), S. 79f., hier S. 80.
Shmuel Feiner, Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung, Göttingen 2009, S. 124f