Der folgende Text ist die deutsche Übersetzung eines Auszugs aus einem Artikel von Önder Kaya, der am 15. Mai 2013 in der Zeitung Şalom veröffentlicht wurde:
Ein Deutscher auf einem muslimischen Friedhof: Der Edirnekapı Friedhof und Bruno Taut
Istanbuler Friedhöfe sind Orte, an denen es verschiedene interessante Dinge gibt. Einer davon ist der Edirnekapı Friedhof, auf dem sich ein Märtyrerfriedhof (für gefallene Soldaten) befindet. Auf diesem Märtyrerfriedhof, dessen Wurzeln bis in den Balkan- und Gallipoli-Krieg zurückreichen, sind viele wichtige hochrangige Offiziere, Politiker, Journalisten, Gelehrte und Künstler beigesetzt. Unter ihnen ist auch jemand, der sowohl durch sein Grab als auch durch seine Person selbst Aufmerksamkeit erregt, der deutsche Architekt Bruno Taut, der im Edirnekapı-Märtyrerfriedhof begraben wurde, obwohl er kein Muslim war.[...]
Taut in Istanbul
[…] Tauts zweite Erfahrung in Istanbul begann im November 1936. [...] Obwohl Taut in Istanbul lehrte, wurden seine Werke größtenteils in Anatolien umgesetzt. Es zeigt sich, dass sich diese Projekte meist auf den Bereich der Bildungseinrichtungen konzentrieren, auf den sich Taut während seiner Jahre in Deutschland spezialisiert hatte. Eines der wichtigsten von Taut in der Türkei errichteten Werke ist das Gebäude der Ankara-Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie. Mit dem Bau dieses von Taut geplanten Gebäudes wurde während er noch lebte im Jahr 1936 begonnen und der Bau endete im Jahr 1940. Taut bezog bei dieser Arbeit auch lokale Architekturelemente mit ein und verkleidete die Vorderseite des Gebäudes mit Naturstein aus Ankara. Tauts anderes wichtiges Projekt war das Trabzon-Gymnasium. Bevor er dieses baute, kam er im Mai 1937 nach Trabzon, bereiste die Region und zeichnete den Bauplan für die Schule. Lebensraum und Kultur sind laut Taut eng miteinander verbunden. Der architektonische Lebensraum einer Region lasse sich nicht zeichnen, ohne ihre Kultur und geografischen Besonderheiten zu verstehen.
Atatürks Katafalk[1]
Tauts letztes Werk in der Türkei war das Bauprojekt des Katafalks, der nach der Überführung der sterblichen Überreste Atatürks nach Ankara vor der Großen Türkischen Nationalversammlung errichtet werden sollte. [...]
Es ist bekannt, dass Taut der Aufgabe, den Katafalk vorzubereiten, große Bedeutung beimaß. Er lehnte sogar eine ihm für das Projekt angebotene Zahlung von 1.000 Lira[2] ab und erklärte, dass es ihn sogar verärgern würde, wenn ihm für diese Arbeit Geld angeboten würde. Als Gegenleistung für seine Arbeit bat er um einen kleinen Dankesbrief des Bürgermeisters, den er seinen Kindern hinterlassen könne. Taut, der seine berufliche Entwicklung auf den Bau von Wohnungen für Arbeiter und Bildungseinrichtungen stützte, zeigte in seinem letzten Projekt einen ähnlichen Idealismus. Auf Wunsch der Behörden erstellte Taut den Plan in einer Nacht am 15. November 1938. Der von Taut vorbereitete Katafalk wurde bei der Zeremonie in der Großen Türkischen Nationalversammlung am 20. November 1938 zu Recht gewürdigt.
Krankheit und Tod
[...] Taut […] verstarb am 24. Dezember 1938, also am Heiligabend. Nachdem sein Leichnam nach Istanbul gebracht worden war, wurde er interessanterweise auf dem Märtyrerfriedhof von Edirnekapı beigesetzt. […] Es ist bekannt, dass Taut nicht zum Islam konvertiert war. Darüber hinaus gab es zu jener Zeit in Feriköy, Istanbul, gesonderte Grabstätten für Protestanten und Katholiken. [...] In einigen Quellen wird berichtet, dass die Beerdigung von Ismet Pascha, dem damaligen Präsidenten, als Ausdruck der ihm gegenüber empfundenen Dankbarkeit in Auftrag gegeben wurde. [...] Auf dem Deckel des Sarges befindet sich auch ein geheimnisvoller Fußabdruck. Die Frage, wessen Fußabdruck es ist und warum er hinterlassen wurde, ist ein weiteres Rätsel. Einige Forscher deuten ihn als Beweis dafür, dass er in der Türkei seine Spuren hinterlassen hat. [...]
[1] Anmerkung durch den Übersetzer: Ein Katafalk ist ein schwarz verhängtes Gerüst, auf dem der Sarg während einer Trauerfeier steht.
[2] Anmerkung durch die Redaktion: Zu jener Zeit hatten 1.000 Türkische Lira etwa einen Wert von 1280 US-Dollar.
Önder Kaya. „Müslüman mezarlığında bir Alman: Edirnekapı mezarlığı ve Bruno Taut“, in: Şalom, 15. März 2013, https://www.salom.com.tr/arsiv/haber/87071/musluman-mezarliginda-bir-alman-edirnekapi-mezarligi-ve-bruno-taut-, zuletzt geprüft am 26. März 2025.