Zuflucht am Bosporus II

Dies ist das Transkript eines Ausschnittes aus dem Video „Zuflucht am Bosporus / Asylum on the Bosphorus“ (13:39 bis 19:34). Die englischen Passagen sind hier ins Deutsche übersetzt:

Adelheid Scholz (genannt Adi): „Mein Vater hat erstmal Artikel in der Zeitung geschrieben, die wurden veröffentlicht und dann hat er sicher auch in seinen Seminaren oder Vorträgen, die er in der Uni gehalten hat, sich wahrscheinlich gegen die Nationalsozialisten gewandt und auch gegen diese Wirtschaftspolitik, die die machen wollten. Dann haben sie zuerst Steine in sein Arbeitszimmer geschmissen. Also er brachte einmal so ’nen faustgroßen Stein, den hat er und dann gezeigt. Und dann kurze Zeit darauf wurde er auch verhaftet und zwar hab‘ ich das so in Erinnerung, dass ich schon im Bett lieg‘ und dann hörte ich eben, dass unten an der Haustür geredet wurde und es wurde immer lauter… Also es gab laute Auseinandersetzungen wohl und dann später kam meine Mutter rauf und weinte.“

Interviewer: „War deine Mutter schon damals krank?“

Adelheid Scholz: „Ja, die war… die hatte ’nen Unfall und war… hatte ’nen Sturz… bei einem Sturz sich die Wirbelsäule verletzt. Und das konnte man damals nicht operieren. Und da war sie gehbehindert und hatte natürlich auch viele Schmerzen“

[Adelheid Scholz besucht den Sirkeci Bahnhof in Istanbul]

Adelheid Scholz: „Ich weiß nur, dass es eben plötzlich hieß: Wir ziehen um, wir ziehen in die Türkei! Und du musst jetzt also deine Spielsachen ordnen und gucken was du mitnimmst. Das wird dann eben alles verpackt und irgendwann gehen wir dann auf die Reise.“

[Adelheid Scholz schaut sich um]

Adelheid Scholz: „Ich hatte ein sehr schönes großes Puppenhaus mit mehreren Stockwerken von meinem Großvater mütterlicherseits. Das hatte ich geschenkt bekommen und das hatte ich noch nicht sehr lange. Und da hieß es: ‚Das ist zu groß! Das können wir nicht mitnehmen.‘ Und das hat mich… das war natürlich… da war ich traurig.

Wie wir dann hier in Istanbul angekommen sind oder schon in der Pension waren, da hab‘ ich mich sehr schnell daran gewöhnt, dass das eben ’ne ganz neue und fremde und interessante Stadt war. Und das fand ich nun sehr spannend. Und da wir so erzogen waren, also relativ selbstständig, bin ich dann auch sicher schon mal alleine auf die Straße gegangen. Aber das war natürlich ’was ganz Neues, dass da so viele Straßenverkäufer waren und dann manche liefen da mit Maultieren rum und hatten die beladen. Und manche hatten Esel. Und dann der ganze Verkehr war also… wir kamen ja aus ’nem ganz ruhigen Vorort von Leipzig, also Oetzsch war… war eigentlich so ’n ganz ruhiger Ort. Und jetzt war mit einmal so ganz viel Verkehr, Autos, die also hupten wie verrückt.

[Rückblende]

Sprecher (auf Englisch): „Zu jener Zeit, hätte kein anderes Land als Atatürks erst kürzlich ausgerufene Republik Türkei so interessant für Adis Vater, der ein Wirtschaftswissenschaftler war, sein können. Der sogenannte Vater der Türken rief eine noch nie dagewesene Initiative ins Leben, um das Land zu modernisieren. Hierfür benötigte er Architekten, Stadtplaner und Wirtschaftswissenschaftler. Kurz: Die Einladung an diese verfolgten Akademiker war eine Art von gegenseitigem Austausch. Die Kenntnisse dieser Experten spielten eine große Rolle in Atatürks Reformen. Ich wusste das nicht.

Çankaya Highschool: Ich bin in Ankara geboren und hier zur Schule gegangen, aber mir war nicht bewusst, wie sehr diese deutschen und österreichischen Migranten diese Stadt beeinflusst haben, bis wir angefangen haben zu drehen.

Atatürk beabsichtigte, dieses Dorf in eine moderne Hauptstadt zu verwandeln. Menschen wie Ernst Reuter und Clemens Holzmeister setzten seine Vision um. Man kann die Spuren dieser deutschen Gäste überall sehen, zum Beispiel die Fakultät für Literaturwissenschaft von Ankara wurde von Bruno Taut entworfen, einem der Bauhaus-Architekten. Die Musikschule wurde von solchen deutschen Migranten wie Paul Hindermith. Eduard Zuckmayer führte eine moderne musikalische Ausbildung ein.

Arbeitsauftrag

  1. Lest den Text und schreibt die Orte und Objekte in einer Stadt oder einem Dorf, die Zbigniew Czarnuch mit dem Leben von Jüd*innen vor dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung bringt, in die Tabelle. Ergänzt in einem zweiten Schritt ihre Funktion.
  2. Kennt ihr andere Orte und Objekte, die mit dem Leben von Jüd*innen verbunden sind? Wenn ja, schreibt sie in die Tabelle und ergänzt ihre Funktion.

Quelle

„Zuflucht an Bosporus / Asylum on the Bosphorus“, Nedin Hazar, in: YouTube, 7. April 2020, https://www.youtube.com/watch?v=PilMVpNwrr4, zuletzt geprüft am 18. Dezember 2023.