Nahost-Konflikt: Krieg der Gefühle

Der Nahost-Konflikt beschäftigt auch in Deutschland die Gemüter. Kaum ein internationaler Konflikt erhält in den deutschen Medien so viel Aufmerksamkeit. Wie sich der Nahost-Konflikt in Deutschland spiegelt beschreibt Florentine Fritzen in ihrem Artikel.
 

Wenn es nach Claudia Korenke und Harald Moritz Bock ginge, wäre der Frieden längst da - wenigstens auf den deutschen Straßen. "Am liebsten würden wir mit den Palästinensern gemeinsam demonstrieren", sagt die Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Und der Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) meint: "Palästinenser und Israelis verstehen sich besser miteinander, als das gezeigt wird."

Trotzdem reden Bock und Korenke nicht miteinander. Dabei gehören sie persönlich noch nicht einmal zu den Gruppen, für die sie im aktuellen Nahost-Konflikt sprechen: Der DAG-Mann ist genauso wenig Muslim oder Palästinenser wie die DIG-Frau Jüdin oder Israelin. Ein bisschen hat das Schweigen sicherlich damit zu tun, dass Bock sagt: "Ich habe das Gefühl, die von der DIG wollen nicht mit uns reden. Da braucht man bei denen gar nicht anzufragen."

Vor allem aber liegt es an der Hamas. "Wenn Palästinenser gegen die Hamas demonstrieren würden", sagt Claudia Korenke, "dann wären wir die Ersten, die mitgingen." Bock hingegen ist überzeugt: "Wir müssen mit der Hamas reden." Korenke sagt: "Mit der Hamas kann man nicht reden." Bock hat zwar auch noch nie mit Hamas-Leuten gesprochen, bekundet aber: "Wenn die die Möglichkeit hätten, nach Deutschland zu kommen, würde ich mit denen auch reden." Er regt sich auch darüber auf, dass die Bewegung nie ohne das Attribut "radikalislamistisch" genannt werde. Bock will zwar gar nicht bestreiten, dass die Hamas radikal und islamistisch sei. Ihn stört aber die "Verteufelung" der Hamas, schließlich hätten die Palästinenser im Gazastreifen die Hamas demokratisch als ihre Vertretung gewählt.

Claudia Korenke hält dagegen: "Hitler ist auch demokratisch gewählt worden." Salomon Korn sagt genau denselben Satz, als es um die Hamas geht. "Aber demokratisch ist nur, wer auch nach der Wahl demokratisch handelt", postuliert der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Die Hamas instrumentalisiert und missbraucht ihre Bevölkerung mit dem Ziel, einen islamistischen Gottesstaat anstelle von Israel zu schaffen." Korn sagt, er begreife nicht, "wieso rational denkende Menschen in Deutschland nicht einsehen wollen, dass man mit der Hamas nicht verhandeln kann, solange sie Israel auslöschen will". Darüber aufzuklären sei schwierig: "Wir kämpfen gegen Emotionen - und damit gegen Windmühlen."

Ayyub Axel Köhler ist solches Denken fremd. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland glaubt fest an den Dialog - und ans "Taubenzüchten": "Es ist lohnenswert, bei allen beteiligten Parteien - Juden, Christen und Muslimen - Menschen des Friedens zu schaffen." Leider gelingt das nicht immer. Bock sagt, er habe eine Radikalisierung beobachtet: Auch die in Deutschland lebenden Anhänger der gemäßigten Fatah-Bewegung seien "jetzt auf Seiten von Hamas", was er gleichsetzt mit "auf Seiten der Bewohner von Gaza". Eine israelische Radikalisierung sei ebenfalls unverkennbar. Und selbst Ayyub Axel Köhler sagt, Muslime und betroffene Christen seien "sehr verbittert". Er hält das für "menschlich verständlich".

Und die Deutschen? Laut einer Forsa-Umfrage sagt fast jeder Zweite, er halte Israel für ein aggressives Land. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, reagierte prompt: Das untermauere "die einseitige Wahrnehmung des Nahost-Konflikts in Deutschland". Korn sieht das nicht ganz so einseitig, schätzt die Stimmung in der Bevölkerung derzeit aber auch eher als palästinenserfreundlich ein. "Das ist auch ein David-Goliath-Effekt, ein Reflex, der eher dem Gefühl als dem Verstand entstammt."

Wegen der vielen Gefühle müssen beide Seiten vorerst für sich alleine demonstrieren, und manche Deutsche mischen sich eben unter das Volk, das sie unterstützen möchten. DAG und DIG haben am vergangenen Wochenende Solidaritätskundgebungen in vielen Städten organisiert oder unterstützt - wie zahlreiche andere Gruppen auch. An diesem Wochenende soll wieder protestiert und gemahnt werden, und jetzt schauen alle auf Duisburg. Dort hatten Polizisten vergangenen Samstag eine Wohnungstür eingetreten, um zwei israelische Flaggen zu entfernen. Der Polizeipräsident hat sich inzwischen entschuldigt, Nordrhein-Westfalens CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst forderte personelle Konsequenzen in der Polizeiführung. Der Zentralrat der Juden riet, erst einmal die Umstände genauer zu untersuchen. Für diesen Samstag rechnen die Veranstalter einer proisraelischen Demonstration in Duisburg mit 100, die einer Kundgebung gegen den israelischen Militäreinsatz mit 1000 Teilnehmern.

Ayyub Axel Köhler, der Experte fürs Taubenzüchten, sagt: "Ein erster Schritt könnte sein, dass jeder in seiner Gemeinschaft die Scharfmacher und Demagogen bekämpft."
 

Arbeitsauftrag

1. Notiert in Stichworten, welche Positionen Claudia Korenke, Harald Moritz Bock und Ayyub Axel Köhler zum Nahostkonflikt vertreten.

2. Fasst in eigenen Worten zusammen, welche Bedeutung die drei Personen dem Konflikt für die Situation in Deutschland zu messen.

Quelle

Fritzen, Florentine. „Nahost-Konflikt: Krieg der Gefühle“, in: Frankfurter Allgemeine, 16. Januar. 2009. Zuletzt geprüft am 06.04.2021, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nahost-konflikt-krieg-der-gefuehle-1753149.html#Drucken, © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

Foto: John Englart (Takver), Lizenzbestimmungen: CC BY-SA 2.0, via flickr.