Sendel Grynszpan im Eichmann-Prozess (Variante A)

Am 27. und 28. Oktober 1938 wurden im Deutschen Reich ca. 17.000 Jüd*innen mit polnischer Staatsangehörigkeit verhaftet und mit Zügen an die polnische Grenze gebracht. Darunter befand sich auch die Familie von Herschel Grynszpan – sein Vater Sendel, seine Mutter Ryfka sowie seine zwei Geschwister Beile (Berta) und Marcus. 1961 schilderte Sendel Grynszpan als Zeuge im Eichmann-Prozess in Jerusalem den Ablauf der Deportation.

„[…] Und dann lud man uns [in Hannover] auf Polizeiautos, auf Gefängniswagen, ungefähr zwanzig auf jeden Wagen, und transportierte uns zum Bahnhof. Die Straßen waren schwarz von Menschen, und sie schrien: ‚Juden raus nach Palästina!‘ […] Wir wurden mit der Eisen­bahn nach Neu-Bentschen transportiert, nach der polnischen Grenze. Als wir dort ankamen, war es sechs Uhr morgens am Sabbath. Da kamen Züge aus allen möglichen Orten, aus Leip­zig, Köln, Düsseldorf, Essen, Bielefeld, Bremen. Zusammen waren wir ungefähr 12 000 Men­schen […] Das war am Sabbath, am 29. Oktober […] Die SS-Leute trieben uns mit Peitschen an, und denen, die nicht mitkamen, versetzten sie Peitschenhiebe, und Blut floß auf die Straße. Sie rissen uns unsere Koffer weg, sie behandelten uns auf die brutalste Weise, damals sah ich zum erstenmal die wilde Brutalität der Deutschen. Sie schrien uns an: ‚Lauft!, lauft!‘, ich wurde auch geschlagen und fiel in einen Graben. Mein Sohn half mir auf und sagte zu mir: ‚Lauf schnell, Vater, sonst mußt du sterben!‘ Als wir an die polnische Grenze kamen, zur sogenannten grünen Grenze […], gingen die Frauen zuerst ’rüber. Die Polen wußten nichts. Sie holten einen polnischen General und einige Offiziere, die untersuchten unsere Papiere und sahen, daß wir polnische Staatsbürger waren, daß wir Sonderausweise hatten. Sie be­schlossen dann, uns hereinzulassen. Wir wurden in ein Dorf von 6 000 Einwohnern gebracht, und dabei waren wir selber 12 000 Menschen. Es regnete stark, viele Leute wurden ohn­mächtig – überall sah man alte Männer und Frauen. Wir haben sehr gelitten, es gab nichts zu essen, und wir hatten seit Donnerstag nichts mehr zu essen gehabt […].“

Zit. nach Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/ Zürich 1986 (zuerst München 1964), S. 273 f.


Bild:
Sendel -Grynszpan bei seiner Zeugenaussage im Prozess von Adolf Eichmann. Auf der rechten Seite steht der Assis­tent des Generalstaats­anwalts. Der Prozess fand im Jahr 1961 im Bezirksgericht Jerusalem statt.

 

Arbeitsauftrag

Untersucht die Quelle mit den folgenden Fragen und tragt danach eure Ergebnisse zusammen.

1. Unter welchen Umständen wurden Grynszpans wohin gebracht?

2. Wie war die Situation an dem Ort, wo sie hingebracht wurden?
3. Welche Ressourcen standen den Grynszpans zur Verfügung?

Quelle

Dagi Knellessen. Novemberpogrome 1938. „Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit“. In: Pädagogische Materialien Nr. 03, Frankfurt am Main: Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums, 2015, 48.

Bild:
Zyndel – Shmuel Grynszpan“, in: Ghetto Fighter House Archives, https://infocenters.co.il/gfh/notebook_ext.asp?book=57757&lang=eng&site=gfh, zuletzt geprüft am 13. Mai 2025