Textquelle: Revolutionspropaganda

Max von Oppenheim

Infos zum Autor: Max Freiherr von Oppenheim (1860-1946) war ein deutscher Diplomat, Orientalist und Archäologe. Während des Ersten Weltkrieges war er im Auswärtigen Amt in Berlin, wo er die „Nachrichtenstelle für den Orient“ gründete, sowie in Istanbul tätig. Sein Einsatz für einen Glaubenskrieg der Muslime gegen ihre Kolonialherren trug ihm unter den Arabern den Beinamen Abu Dschihad (= Vater des Heiligen Krieges) ein.
 

Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde

„Die Hauptvorbedingung für die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde ist eine intensive Mitwirkung der Türken unter der Fahne des Sultan Chalifa,[1] und zwar in zielbewußter Organisation. Die Aktion wird […] sich folgendermaßen zu gestalten haben.

Erstens Propaganda: Bekämpfung der systematisch von unsern Gegnern verbreiteten Falschmeldungen über die Kriegsentwickelung und richtige Aufklärung über die Kriegslage sowie direkte Aufforderung zu Aufständen gegen unsere Feinde und Unterstützung von solchen.

Zweitens Kriegerisches Vorgehen der Türkei: Ohne dieses letztere ist in gewissen Ländern, so in Egypten[2] und in den russisch-islamischen Gebieten, an eine ernste Revolutionierung nicht zu denken.

Es ist ausgeschlossen, daß die gedachte türkische Mitwirkung und die erforderliche Organi­sierung derselben sich ohne unsere Mithilfe zweckentsprechend entwickeln kann. Wir müssen der Türkei Menschen, Geld und Materialien zur Verfügung stellen, und hierbei wird nur mit großen Mitteln Genügendes erreicht werden können. Halbe Maßnahmen würden zwecklos sein. Der erhoffte Erfolg ist jedoch eines großen Einsatzes wert: Nur dann, wenn die Türken in Egypten einziehen und in Indien lodernde Aufstände brennen, wird England mürbe werden. In diesem Falle wird die öffentliche Meinung des ‚größeren England‘ die Regierung in London zwingen […], entweder einen großen Teil ihrer Flotte, vielleicht die Hälfte, nach Indien zu entsenden, um die zahlreichen dort lebenden Landsleute, die Milliarden investierten Kapitals und die britische Weltstellung zu retten, oder aber, da dieses im Hinblick auf England selber voraussichtlich nicht möglich sein wird, einen uns genehmen Frieden zu schließen. […]

Für England ist der eigene Kolonialbesitz die verwundbarste Stelle. Der britische Premier-Minister hat schon bald nach Ausbruch des Krieges die Behauptung aufgestellt, daß wir die muhammedanischen Kolonien mobil zu machen suchten, noch bevor eine solche Tätigkeit (leider!) genügend einsetzen konnte. Die ganze Art der Kriegführung unserer Feinde gibt uns ein Recht, die Notwendigkeit unserer Selbsterhaltung die Pflicht, diese so wichtige Waffe für das Endziel des uns aufgedrängten Kampfes nicht unbenutzt zu lassen.

Das Vorgehen gegen Egypten und Indien ist am wichtigsten; vielleicht wird es von ausschlaggebender Bedeutung werden. […]

In folgendem bitte ich die meines gehorsamen Erachtens noch erforderlichen Aufgaben des Reiches für die Aktion zur Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde skizzieren zu dürfen, wenngleich einzelne derselben inzwischen schon teilweise erfüllt sind. Ich bitte es entschuldigen zu wollen, wenn ich in diesem Bericht über den Rahmen des Konventionellen hinausgehe und mir Vorschläge erlaube, die nicht zu meinen Competenzen gehören. Ich wage dieses nur aus dem Grunde, weil in diesem Augenblicke der Ernst der Situation manches gestattet, und weil ich es als meine Pflicht betrachte, aus meinen langjährigen Erfahrungen im Orient auf alle Fälle Anregungen zum Ausdruck zu bringen.“



Revolutionspropaganda durch die Türkei

„Als Vorbereitung zu einer kriegerischen Aktion hat unter allen Muhammedanern der feindlichen Länder eine, über die wahre Kriegslage aufklärende und gleichzeitig auf die Erhebung gegen die Fremdherrschaft hinzielende Propaganda einzusetzen, die um so wirksamer sein wird, je systematischer und zielbewußter sie organisiert ist. Sie muß mit dem Nimbus des Sultan Chalifa umgeben und in seinem Namen ausgeführt werden. Der Aufruf zum heiligen Kriege, zur Abschüttelung der Fremdherrschaft hat zu erfolgen, sobald die Türkei losschlägt. Gleich hier aber sei bemerkt, daß dieser Aufruf nicht gegen die Kafir (die Ungläu­bigen) im allgemeinen, sondern gegen die betreffenden Fremdherren zu richten ist, um nicht andere Nationalitäten darunter leiden zu lassen und insbesondere in Indien einer Spannung zwischen Hindus und Muhammedanern vorzubeugen. Das Eingreifen des Sultan Chalifa in den Krieg, sei es am Schwarzen Meer oder anderswo, wird das beste Propagandamittel sein. Es sind aber Vorbereitungen zu treffen, damit die Mitteilungen hierüber rechtzeitig zweckentsprechend nachhaltig und schnell überall hin weiter verbreitet werden und auch in der Zukunft unter Kontrolle bleiben.

Die türkische Propaganda ist in Konstantinopel zu zentralisieren, aber dauernd von deutscher Seite zu leiten und zu unterstützen, allerdings in einer Weise, daß die Türken glauben, es stehe ihnen nur ein freundlicher Berater zur Seite und derart, daß sie sich nach wie vor als die eigentlichen Macher betrachten und ausgeben können. […]

Praktische Vorschläge: Zwei oder drei, mit der panislamischen Aktion und den Propagandamöglichkeiten genau vertraute deutsche Herren, die nach Konstantinopel zu gehen hätten, würden genügen. Die zu behandelnden islamischen Gebiete wären zu verteilen. Die Herren müßten, unter sich organisiert, dem Kaiserlichen Botschafter unterstehen, um die Leitung der Gesamtaktion in ein und derselben Hand vereinigt zu lassen.

Für die Pilgerstädte Mekka und Medina, sowie Djedda, ist eine eigene Organisation zu schaffen, die von größter Bedeutung ist. Infolge der bevorstehenden Pilgerfeste vom 28.-31. Oktober in Mekka und etwa 14 Tage später in Medina ist sie raschmöglichst in das Leben zu rufen. […]
 


[1] Fußnote aus dem Originaltext: „In der Osmanischen Verfassung von 1876 hieß es in Artikel 4: „Der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif ist der Schutzherr für die muslimische Religion“ – der osmanische Sultan beanspruchte damit die politische und die religiöse Herrschaft.

[2] Hier handelt es sich um eine alte Schreibweise von Ägypten, die bis 1901 gültig war.

Arbeitsauftrag

Erarbeitet aus der Quelle, warum die Türkei (bzw. das Osmanische Reich) für das Deutsche Reich wichtig war. Lest dazu auch den Lexikonartikel und betrachtet die Karte.

Quelle

Kopetzky, Steffen (Hg.). Max Freiherr von Oppenheim: Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde, Berlin: Verlag Das kulturelle Gedächtnis, 2018, 14–19.