Transkript: Schuld oder Verantwortung

Dies ist eine Transkription des Textes von dem YouTube-Video „Schuld oder Verantwortung – Wie gehen wir heute mit dem Holocaust um?“ vom Klub Konkret, EinsPlus (ARD). Darin interviewt Klub-Reporterin Eva Schulz Berliner Schüler*innen (S*S) während deren Besuch am Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Holocaust-Mahnmal) in Berlin.

 

Klub-Reporterin Eva Schulz: Wie gehen wir eigentlich heute mit dem Holocaust um? Ich find‘ das gar nicht so leicht. Klar, man redet jede Menge darüber im Geschichtsunterricht. Man guckt mal einen Film. Aber ich z. B. habe in meinem näheren Umfeld gar niemanden mehr, der mir von dieser Zeit erzählen könnte.
 

Klub-Reporterin Eva Schulz interviewt Jugendliche: Hallo, hast du das Gefühl, dass sich unsere Generation heute noch schuldig fühlen soll für das, was vor drei Generationen passiert ist?

Moritz: Nein, überhaupt nicht eigentlich.

Maxim: Nein.

Saskia: Schuldig… nicht wirklich, aber man muss das auf jeden Fall im Gedächtnis behalten.

Moritz: Na, ich denke, die Verantwortung besteht aber darin, dass man es nicht vergisst! Aber nicht mehr darin, sich dafür verantwortlich oder schuldig zu fühlen.

Maxim: Mein Opa hat im Osten an der Front gekämpft und ist dann aber geflohen. Meine Oma ist da noch zur Schule gegangen.
 

Einschub (eingeblendeter Text): 56% von uns denken: „Meine Familie hat sich während der NS-Zeit NICHTS zuschulden kommen lassen.“[1]

Klub-Reporterin Eva Schulz fährt mit dem Interview fort: Also, ich finde, ein Klassiker ist ja, dass einem der Holocaust und diese ganzen Antisemitismus-Themen noch einmal begegnen, wenn man irgendwie im Ausland oder im Urlaub ist. Ist dir das schon mal passiert?

Moritz: Ich war ja in den USA als Austauschschüler und da kommen natürlich ein Hitler- und ein Nazi-Witz nach dem anderen. Natürlich war alles so, dass dann auch Fragen kommen, ob das bei uns totgeschwiegen wird. Aber da muss man dann einmal ganz klar sagen, dass es nicht so ist, und dass wir damit, ich glaub‘  heute und gerade unsere Generation relativ offen umgehen können auch.

Maxim: Es ist jetzt ‘ne neue Zeit. Und wir sind nicht mehr DIE Deutschen von damals.
 

Einschub (eingeblendeter Text): 43% von uns denken: „In der Schule wird erwartet, dass man auf jeden Fall Betroffenheit zeigt.“[2] [Hier wird das Video das erste mal angehalten, Min. 1:42]
 

Klub-Reporterin Eva Schulz: Okay, für die Berliner Schüler ist das ganze schon relativ weit weg. Ich treffe jetzt zwei junge Israelis, die in Berlin leben.
 

Sie stellen sich vor.
 

Klub-Reporterin Eva Schulz fragt: Du warst Fremdenführer. Wie geht's dir denn an so ‘nem Ort wie hier?

Dekel: Ich finde den Ort sehr interessant. Allerdings ist das für mich hier nicht so... Ich meine, für mich ist der Holocaust hier überall, es ist nicht nur ein Ort.

Nirit: Und ich glaube, man muss nicht unbedingt an so einen Ort kommen, um das zu spüren.

Klub-Reporterin Eva Schulz: Und wie lebst Du an einem Ort, von dem Du selbst sagst, an dem ist der Holocaust überall?

Dekel: Einfach ist es nicht, aber ich kann dir ein bisschen zeigen.
 

Sie schlendern über den Markt am Maybachufer, Kreuzberg.
 

Klub-Reporterin Eva Schulz: War es früher nicht total verpönt für Israelis, dass sie ausgerechnet nach Berlin, nach Deutschland gehen?

Nirit: Ja, ein paar [israelische] Freunde haben gesagt: „Nirit, wir sind nicht sicher, dass wir zu Besuch kommen werden nach Berlin. Also, das ist für uns immer noch so ein Ort, wo wir nicht unbedingt hingehen wollen.“

Dekel: Aber mit der Zeit, und nachdem immer mehr ihre Freunde Berlin besucht haben und nachdem sie Berlin besucht haben finden sie das heute anders.

Klub-Reporterin Eva Schulz: Wie sind die Reaktionen, wenn ihr jetzt auf so ‘ner Party seid und sagt: „Hm ja, wir kommen übrigens aus Israel“?

Nirit: Ich weiß nicht, ob es negativ oder positiv ist, aber es gibt diese Sensibilität noch da.

Dekel: Und man will sich nicht immer „besonders“ fühlen. Ich mein‘ manchmal will man auch einfach Party machen und nicht so über Holocausterinnerung reden oder israelische Politik ansprechen.

[Hier wird das Video das zweite mal angehalten, Min. 3:18]
 

Szenenwechsel. In einem Einkaufszentrum.
 

Klub-Reporterin Eva Schulz: Jetzt haben wir die jüdische Perspektive gehört, aber wie steht es denn eigentlich um Leute, deren Familien erst in der ersten oder zweiten Generation hier leben?

Omar El Hussein (Eltern aus Palästina): Meiner Meinung nach soll die Geschichte, was damals in Deutschland passiert ist, nicht in Vergessenheit geraten.

Klub-Reporterin Eva Schulz: Und was… Wovor hast Du Angst? Was passiert dann?

Omar: Angst habe ich nur, dass es halt ein zweites Mal passieren könnte. Dass so viele Menschen auf einmal in so einer kurzen Zeit ausgerottet werden.

Tahir Elbi: Wenn ich z. B. rumlaufe an den U-Bahnhöfen, wenn ich z. B. von einem Turnier komme, nach dem Fußball, da sehe ich da ein paar Neonazis, die gucken mich dann halt böse an und schief und sagen auch ein paar Dinge, wie zum Beispiel „Schwarzkopf“.

Khaled: Also die Vergangenheit sollte man nicht vergessen, aber man sollte die Vergangenheit hinter sich bringen. Das heißt, man sollte nicht immer drauf rumhacken, dass viele Juden gestorben sind – und nicht nur Juden, auch Sinti und Roma sind auch dabei gestorben. Und das könnte auch mit uns passieren. Also nicht nur mit den Juden, es war auch ein Ausländerhass.

Klub-Reporterin Eva Schulz: Was muss passieren, damit das aufhört? Weil es ist doch eigentlich verrückt, dass, nachdem so etwas Schlimmes in Deutschland passiert ist, es immer noch auftritt.

Khaled: Ich glaube, dass es nie aufhören wird, weil das ist einfach in Deutschland drinnen. Jede Person, jeder Mensch, Generation würde so reagieren.
 


[1] Die Angaben stammen aus einer ZEIT-Umfrage aus dem Jahr 2010 und beziehen sich auf 14-19-jährige Jugendliche. Vgl. Christian Staas, „Was geht mich das noch an?“, in: Zeit Online, 4. November 2010, https://www.zeit.de/2010/45/Erinnern-NS-Zeit-Jugendliche. Damit sind die Zahlen nicht ganz aktuell. Der Artikel geht davon aus, dass sich die vierte Generation mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand ihre eigenen Urgroßväter eher als Täter vorstellen kann, da die emotionale Verbindung zu ihnen fehlt. In einer neuen Studie der Stiftung EVZ geben 69,8 % aller Deutschen an, dass ihre Vorfahren nicht unter den Tätern während der Zeit des Nationalsozialismus waren. Allerdings wird in dieser Untersuchung nicht ausgewiesen, wie genau Jugendliche über diese Frage denken. Ein Beispiel für die unterschiedliche Einschätzung der Generationen zeigt sich aber bei der Frage „Was würden Sie sagen, warum haben Menschen damals nichts gegen die systematische Ermordung von Menschengruppen unternommen?”. Während 58,8 % der über 75Jährigen angeben „Sie haben nichts von den Morden gewusst”, sind es bei den 16-30Jährigen nur noch 27 %. Vgl. Institut für interdiszi­plinäre Konflikt und Gewaltforschung, Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft, „Multi­dimen­sionaler Er­in­ne­rungsMonitor“, https://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Stiftung/
Publikationen/EVZ_Studie_MEMO_2019_final.pdf
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[2] Umfrage siehe oben. In dieser Umfrage heißt es auch, dass 41 % der Jugendlichen beklagten: „Man kann seine Meinung über die NS-Vergangenheit in Deutschland nicht ehrlich sagen.“ Vgl. Staas, „Was geht mich das noch an?“.