Direkt nach dem Attentat am 7. November 1938 wurde Herschel Grynszpan von der französischen Polizei festgenommen und befragt. Nachdem er den Tathergang geschildert hatte, wurde er nach seinen Motiven gefragt. Die folgenden Ausschnitte sind Teile aus den Vernehmungsprotokollen der Polizei.
Erste Aussage Herschel Grynszpans vor der französischen Polizei vom 7. November 1938
„[…] Frage: Wann haben Sie beschlossen, jemand von der Botschaft zu töten, und wer hat Sie dazu veranlasst?
Antwort: Ich habe die Postkarte, die in meiner Brieftasche gefunden wurde, Donnerstag bekommen, und von diesem Augenblick an habe ich beschlossen, aus Protest ein Mitglied der Botschaft zu töten. Aus den Zeitungen wusste ich von der Unterdrückung meiner Glaubensgenossen. Das ist der einzige Grund, der meinen Schritt veranlasst hat.“
Zweite Aussage Herschel Grynszpans vor der französischen Polizei, ebenfalls vom 7. November 1938
„[…] Vor kurzem habe ich einige Artikel in der jüdischen Tageszeitung ,La Journée Parisienne‘ gelesen, wo man auf [sic] die ausserordentliche[n] Massnahmen andeutete, denen meine Glaubensgenossen in Deutschland ausgesetzt wurden. Diese Lektüre regte mich sehr auf, genauso wie meinen Onkel und meine Tante, die meinten, daß meine Eltern, Vater und Mutter, ebenfalls unter diesem strengen Regime leiden konnten. […] Ich hatte bereits gegenüber die [sic] deutschen Behörden einen gewissen Hass, und die Postkarte meiner Eltern hat mir gezeigt, welchen Gefahren sie ausgesetzt waren. Ich dachte dann an einen Rache- und Protestakt gegenüber einem Vertreter Deutschlands, ohne die Absicht zu haben, jemanden zu töten. Ich wollte jedoch einen aufsehenerregenden Schritt machen, damit er in der Welt nicht ignoriert wird, weil die deutschen Methoden mich erbitterten. Ueber diesen Plan habe ich meinem Onkel und meiner Tante nichts erzählt. […]
Dritte Aussage Herschel Grynszpans vor dem französischen Untersuchungsrichter am 8. November 1938
„[…] Die zahlreichen Verhöre haben mich sehr ermüdet. Ich möchte mich ausruhen, um Ihnen dann die Gründe zu erklären, die mich zu der Tat veranlassten, deren ich beschuldigt bin. Ich lege jedoch darauf Wert, Ihnen zu erklären, dass ich weder aus Hass noch aus Rache, sondern aus Liebe zu meinem Vater und meinem Volk handelte, die unerhörte Leiden ausstehen.
Ich bedaure sehr, einen Menschen verletzt zu haben, aber ich hatte keine anderen Mittel, meinen Willen auszudrücken.
Erste Aussage:
Bundesarchiv Berlin, R 55/20980, Abschriften aus den französischen Untersuchungsakten
Zweite Aussage:
Bundesarchiv Berlin, R 55/20980, Abschriften aus den französischen Untersuchungsakten
Dritte Ausssage:
Bundesarchiv Berlin, R 55/20980, Abschriften aus den französischen Untersuchungsakten“
Zitiert nach: Dagi Knellessen. Novemberpogrome 1938 „Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit“. In: Pädagogische Materialien Nr. 03, Frankfurt am Main: Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums, 2015, 60, https://www.fritz-bauer-institut.de/fileadmin/editorial/download/
publikationen/PM-03_Novemberpogrome-1938.pdf, zuletzt geprüft am 5. Februar 2024.