Was ist anti-asiatischer Rassismus?

In der Respekt-Folge „Ich bin kein Virus!“ wird der anti-asiatische Rassismus in Deutsch­land erklärt.

Dauer: 14.10 Min.

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Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland

Autor*innen: Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer und Christoph Nguyen

„Basierend auf tatsächlichen und imaginierten Besuchen Asiens[1] haben seit dem 13. Jahrhundert Europäer*innen Narrative konstruiert und verbreitet, die bis heute wirkmächtig sind. In ihnen erscheinen Asiat*innen als ‚anders‘, ‚exotisch‘ und ‚gefährlich‘.[2] Auch in Deutschland lässt sich anhand von historischen Beispielen eine klare Kontinuität […] von antiasiatischem Rassismus aufzeigen.[3] [CB1] [SP2] 

So wurde beispielsweise die Errichtung der deutschen Kolonie Kiautschou 1897 zeitge­nössisch mit der angeblichen Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Chines*innen innerhalb eines rassistischen Systems und dem Ziel der christlichen Missionie­rung und sogenannten Zivilisierung ‚im Namen einer höheren Gesittung‘ legitimiert.[4] Wenige Jahre später, am 27. Juli 1900, argumentierte Kaiser Wilhelm II. in seiner ‚Hunnenrede‘ zum Abschied deutscher Marinesoldaten, die zur Bekämpfung des ‚Boxeraufstands‘ (1899–1901) nach China geschickt wurden, dass die Chines*innen mit ihrem Akt des Widerstands gegen die Kolonialmächte ihr Recht auf Leben verwirkt hätten. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialist*innen waren auch die damals in Deutschland lebenden Chines*innen unmittelbar von der NS-Rassenpolitik betroffen: Sie wurden ausgewiesen oder in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager verschleppt und dort ermordet.[5]

Als schwerwiegendste Fälle antiasiatischer Gewalt nach 1945 sind die Pogrome in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 in das kollektive Gedächtnis asiatischer Deutscher eingegangen. Wohngebäude, in denen eine größere Anzahl von Vietnames*innen lebte, wurden unter den Augen applaudierender Zuschauer*innen von gewalttätigen Rechts­radikalen angegriffen. Die Polizei wartete in beiden Fällen tagelang, bis sie geringfügig eingriff. Die verantwortlichen Politiker*innen kapitulierten vor der rechten Gewalt und ließen in beiden Fällen die Angegriffenen evakuieren, statt für die Verhaftung der Angreifer*innen zu sorgen. Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sind dabei nicht nur als eine Folge der Vereinigungspolitik einzuordnen, sondern als Ausdruck einer kontinuierlichen Existenz von Rassismus in der deutschen Bevölkerung.[6] […]

Ein wichtiger Teil asiatischer Migrationsgeschichten ist die staatlich organisierte Arbeits­migration in die Bundesrepublik seit Ende der 1950er Jahre. Neben einigen Hundert japanischen und 8.000 koreanischen Bergarbeitern immigrierten ab 1966 auch mehr als 10.000 koreanische Krankenschwestern. Weitere Krankenschwestern aus Indien, Indonesien und den Philippinen folgten.[7] […]

Ein weiterer Teil kollektiver vietnamesischer Migrationsgeschichte ist die von der DDR staatlich organisierte Arbeitsmigration ab 1980. Die Vertragsarbeiter*innen, darunter ein Drittel Frauen, waren im Maschinenbau sowie in der Leicht- und Schwerindustrie beschäftigt. Sie sollten, ähnlich wie die Arbeitsmigrant*innen in der Bundesrepublik, für eine festgelegte Zeit dort arbeiten und sich nicht dauerhaft niederlassen. 1989 lebten und arbeiteten fast 60.000 vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. […] Nach der Wende blieben knapp ein Drittel der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in Deutschland, viele von ihnen kämpften jahrelang um Aufenthaltsgenehmigungen und ihre Existenzsicherung, bis 1997 mit der zweiten Bleiberechtsregelung im deutschen Ausländergesetz eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen wurde.[8] […]

Die Verstärkung von antiasiatischem Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie lässt sich vor dem Hintergrund (post)kolonialer Narrative zu ‚Asien‘ historisch einordnen. Seit dem 19. Jahrhundert wird die ‚Gelbe Gefahr‘ mit der Entstehung und Verbreitung von Epidemien wie der Pest, in der jüngeren Vergangenheit mit Infektionskrankheiten wie Sars (severe acute respiratory syndrome) verknüpft.[9] Das biologisch-medizinische Phänomen einer Pandemie wird rassifiziert und kulturalisiert; Ess-, Wohn- und Hygienegewohnheiten werden als Teil einer imaginierten ‚asiatischen Kultur‘ für die Entstehung und Verbreitung von Pandemien verantwortlich gemacht. Der historische und der aktuelle Diskurs unterscheiden sich jedoch in einem Aspekt: Während China früher als ‚traditionell‘, ‚unzivilisiert‘ und ‚unterentwickelt‘ eingeordnet wurde, wird das Land inzwischen als eine für Europa ökonomisch, geopolitisch und technisch gefährliche Konkurrenz bewertet.[10] […]“

 

[1] Die Begriffe "Asien" und "asiatisch" werden sowohl als Kenntlichmachung einer Imagination Europas bzw. als Fremdzuschreibung durch Europäer*innen und andere Personen als auch für Menschen genutzt, die sich selbst als "asiatisch", "asiatische Deutsche" oder "asiatisch-diasporisch" bezeichnen.

[2] Vgl. Michael Keevak, Becoming Yellow. A Short History of Racial Thinking, Princeton–Oxfordshire 2011.

[3] Rassismus wird in diesem Beitrag nicht als persönliche oder politische Einstellung, sondern als "institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken", verstanden. Noah Sow, Rassismus, in: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.), (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2019, S. 37.

[4] Zit. nach Mechthild Leutner/Harald Bräuner, „Im Namen einer höheren Gesittung“. Die Kolonialperiode, 1897–1914, in: Mechthild Leutner/Dagmar Yü-Dembski (Hrsg.), Exotik und Wirklichkeit. China in Reisebeschreibungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1990, S. 41–52.

[5] Vgl. Kien Nghi Ha, Chinesische Präsenzen in Berlin und Hamburg bis 1945, in: ders. (Hrsg.), Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond, Berlin–Hamburg 2012, S. 280–287; Dagmar Yü-Dembski, Chinesenverfolgung im Nationalsozialismus. Ein weiteres Kapitel verdrängter Geschichte, in: Bürgerrechte & Polizei 3/1997, S. 70–76.

[6] Vgl. Noa K. Ha, Vietdeutschland und die Realität der Migration im vereinten Deutschland, in: APuZ 28–29/2020, S. 30–34; Dan Thy Nguyen, Rechte Gewalt, die DDR und die Wiedervereinigung, in: Bengü Kocatürk-Schuster et al. (Hrsg.), Unsichtbar. Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten, Köln 2017, S. 6–23.

[7] Vgl. Urmila Goel, Wer sorgt für wen auf welche Weise? Migration von Krankenschwestern aus Indien in die Bundesrepublik Deutschland, in: Beate Binder et al. (Hrsg.), Care: Praktiken und Politiken der Fürsorge. Ethnographische und geschlechtertheoretische Perspektiven, Opladen 2019, S. 97–109; Florian Pölking, Schlaglichter auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ehemaliger koreanischer Bergarbeiter und Krankenschwestern in Deutschland, in: Yong-Seoun Chang-Gusko/Nataly Jung-Hwa Han/Arnd Kolb (Hrsg.), Unbekannte Vielfalt. Einblicke in die koreanische Migrationsgeschichte in Deutschland, Köln 2014, S. 42–69; You Jae Lee/Sun-ju Choi, Umgekehrte Entwicklungshilfe. Die koreanische Arbeitsmigration in Deutschland, in: Kölnischer Kunstverein et al. (Hrsg.), Projekt Migration, Köln 2005, S. 735–742.

[8] Vgl. Karin Weiss, Vietnamesische „Vertragsarbeiter*innen“ der DDR seit der deutschen Wiedervereinigung, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 111–125.

[9] Vgl. Michael Keevak, Becoming Yellow. A Short History of Racial Thinking, Princeton–Oxfordshire 2011.

[10] Vgl. Christos Lynteris, Yellow Peril Epidemics: The Political Ontology of Degeneration and Emergence, in: Franck Billé/Sören Urbansky (Hrsg.), Yellow Perils. China Narratives in the Contemporary World, Honolulu 2018, S. 35–59.


 
 

Quelle

„Ich bin kein Virus! – anti-asiatischer Rassismus in Deutschland“, RESPEKT, in: ARD alpha, https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzIwYWU2MDQ2LTE5ODgt
NDgxNy1iNjUyLThmZTk3NWY1MGI0MA
, zuletzt geprüft am 16. September 2022.

[CB1] [CB2] Suda, Kimiko, Sabrina Mayer, Christoph Nguyen. „Antiasiatischer Rassismus in Deutschland“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) (2020), https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/­apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland/.

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