* Zwar stammt das nachfolgende Märchen aus einem durch einen deutschen Verlag herausgegebenen Taschenbuch, allerdings wird darin kein ß verwendet, selbst dort nicht, wo nach den alten Rechtschreibregeln, die zum Zeitpunkt der Herausgabe im Jahr 1976 gültig war, eines verwendet werden würde.
„Der besonders weise R. Jehoschua ben Chananja war mit dem Merkmal aussergewöhnlicher Hässlichkeit gezeichnet.
Einst rief die Kaiserstochter bei seinem abschreckenden Anblick aus: ‚Schade, dass soviel Weisheit in einem so hässlichen Gefäss aufbewahrt wird.‘
Da fragte der Rabbi sie zu ihrem Erstaunen: ‚Worin bewahrt dein kaiserlicher Vater seinen Wein auf?‘
‚In irdenen Gefässen‘, lautete die Antwort.
‚Darüber‘, versetzte R. Jehoschua, ‚muss ich mich wundern. Seinem Range gemäss, müsste dein Vater zu diesem Zweck silberne und goldene Gefässe wählen.‘
‚Du hast recht‘, meinte die Prinzessin, und sie redete ihrem Vater zu, den Wein von nun an in silberne und goldene Krüge füllen zu lassen. Die Folge davon war, dass der Wein nach verhältnismässig kurzer Zeit sauer wurde.
Als nun der Kaiser von seiner Tochter erfahren hatte, dass R. Jehoschua sie auf den sonderbaren Gedanken gebracht hatte, stellte er diesen deswegen zur Rede.
Der Rabbi entschuldigte sich damit, dass er mit seiner Bemerkung nur der Prinzessin eine verdiente Lektion für ihre verletzende Äusserung erteilen wollte.
‚Es gibt doch aber auch‘, bemerkte der Kaiser, ‚hübsche Menschen, die durch grosse Gelehrsamkeit ausgezeichnet sind!‘ ‚Allerdings, aber wären sie hässlich, würden sie noch gelehrter sein.‘ […]“
Israel Zwi Kanner (Hg.). Jüdische Märchen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1976, S. 157.