AUDIO-INTERVIEW: Lester

Hintergrundinformationen

  • Lester stammt aus Kuba und lernt dort Jeanette kennen, eine junge Frau aus Deutschland, die an einem Kurs an seiner Universität teilnimmt. Er verliebt sich in sie. Sie führen einige Jahre eine Fernbeziehung und können sich nur selten besuchen. Schließlich heiraten sie, damit Lester in Deutschland bleiben kann.

 

Interviewtranskript:

Abschnitt 1

„Eines Tages, in diese Fakultät war niemand, kaum Leute. Nachmittags war nie Unterricht, war nur vormittags, war ein junges Mädchen, blond, die nicht kubanisches Aussehen und hat geweint. In eine so, eine Bank, die da war. Julia heißt sie. Wir haben sie gefragt, was ist los? Entschuldigung, was ist los. Meinte, ja, mein Fahrrad ist gestohlen worden. Und ich weiß nicht wie ich zu meine Wohnung komme. Ich bin aus Deutschland und ich studiere hier. Sie hatte ich in meinen Kurs, in Literaturkurs gesehen. Wir hatten aber keinen Kontakt gehabt. Wir haben uns gesehen und sie meinte, du bist auch in meinen Kurs. Da haben wir drei Worte gewechselt und dann habe ich ihr gesagt, okay, also Dein Fahrrad wurde gestohlen. Das findest du nicht mehr, vergiss Dein Fahrrad. Ja, aber das ist nicht von mir uns so weiter. Ja, kannst du nicht nachweinen, es ist weg. Aber Deine Wohnung kannst du finden. Wo ist Deine Wohnung hier, also gibt es ein Telefon hier? Ja, hier um die Ecke. Und dann sind wir mit ihr zu dieser Telefonzelle gegangen. Dann hatte sie aber kein Geld. Dann haben wir ihr Geld gegeben. Dann hat sie telefoniert und kam ihren Freund. Ihren Freund war Vene­zuelaner, der auch in Deutschland lebte. Und in Kuba auch ein Kurs, einen Percussion-Kurs machte an der Musikschule. Und dann haben wir uns einfach da befreundet.

Julia ist weg ein Jahr später und zwei Monate später, da war ich in meine Ferien, in diese Semesterferien in meinen Dorf gewesen. Da ging mir nicht gut, weil ich eine Freundin hatte. War ich richtig verliebt in die Zeit vorher, also in die Sommersemester und diese Liebe ging zu Ende und da war ich ein bisschen depressiv. Dann als ich zurückkam nach Havanna Ende August hatte ich ein Zettel in diese Studentenwohnheim, wo ich gelebt hatte, hatte ich ein Zettel in die Rezeption: Hallo Lester, ich heiße Jeanette. Ich bin Freundin von Julia aus Köln. Ich habe Post für Dich. Dann habe ich Jeanette angerufen und sie getroffen. Und Jeanette hatte glaube ich nur sechs Wochen Zeit in Kuba. Die war in eine, in eine Wohnung untergebracht in der Nähe von meine Studentenwohnheim und dann habe ich sie besucht und dann habe ich mich verliebt und das war das erste Mal, die ich mich verliebt hatte, aber nicht wusste, wie ich es ihr sagen sollte. Jeanette spricht perfekt Spanisch. Ich habe ihr gesagt, wenn du das wahre Leben von Kuba kennen lernen willst, dann musst du zu meinen Dorf fahren. Weil das wirklich ganz typisch ist. Das hat mit Havanna nichts zu tun. Und dann sind wir dahingegangen und eine spazieren in der Nacht in den Park von meinen Dorf, die nix ist und das war super dunkel, weil natürlich Stromausfall war, haben wir uns da auf den Bürgersteig gesetzt und wir haben uns geküsst. Und seit dem Tag sind wir zusammen.

Schon vier Wochen später musste sie zurück, aber sie hat gesagt, ich komme wieder. Und wir haben von Anfang an gesagt, wenn wir eine Beziehung anfangen, dann müssen wir daran glauben. Und dann ist sie weg. Kurze Zeit später rief sie an und sagte, ich habe einen Flug gebucht für Februar. Ich komme für zwei Monate. Und ich konnte es nicht richtig glau­ben ehrlich gesagt. Wow! Super! Baff! Verrückt. Und natürlich, es ging so hin und her mit Post von Freunden, die von Köln nach Kuba geflogen sind. Also du schickst einen Brief nach Kuba und das kann ankommen sechs Monate später oder das kommt nie an. Nach Deutsch­land ist dasselbe, von Kuba nach Deutschland. Das war der einzige Weg. Und wir brauchten auch diese menschliche Nähe am Telefon zu sprechen. Wir konnten uns sporadisch schreiben und dann mussten wir einfach reden, damit diese Liebe auch Substanz bekommt oder diese Liebe auch wächst und mir tut es heute leid. Jeanette hatte Rechnungen von fünfhundert Mark im Monat durch mich. Weil wir einmal im Monat telefoniert hatten. Und Kuba ist nicht das billigste Land um zu telefonieren. Ich glaube, hätte sie es nicht gemacht, wäre wahr­scheinlich die Liebe nicht da gewesen.

Audiodatei: http://zwischentoene.info/fileadmin/_zwischentoene/audio/UM_Liebe_MA2_Lester.mp3 4, Dauer: 4:45 Min.   Abschnitt 2

„...diese Kultur, diese Art Kultur, also Lebenskultur hatte ich nur vom amerikanischen Film oder europäische Film. Aber es ist was anderes, wenn du es erlebst. Es war ein positives Gefühl, weil ich eine andere Realität gesehen habe. Es war wirklich ein sehr positives Gefühl. Das war 96 und ich war hier nur für drei Monate. Ich wollte unbedingt zurück und meine Studium fertig machen. Obwohl ich auch mit dem Gedanken gespielt habe, hier zu bleiben. Entweder Asyl beantragen, obwohl das nie klappt oder du lebst einfach hier illegal, also… Aber ich wollte mein Studium fertig machen und ich wusste schon, wenn ich aus mein Leben etwas machen will, dann glaube ich nicht, dass es in Kuba sein wird. Also ich und Jeanette, das war so eine Art Plan, die wir gemacht haben. Du kommst hier, du siehst wie wir leben, wie das Leben dort ist. Das wird natürlich nicht eine wahre Eindruck sein, aber es wird eine Eindruck sein. Du wirst Leute kennen lernen, du wirst einfach meine Mutter kennen lernen und so weiter. Also das war 96 und dann bin ich zurück nach Kuba. Habe ich meine Studium fertig gemacht und 98 bin ich nach Deutschland gekommen. 97 haben wir auf Kuba verheiratet. Also 97 ist sie nach Kuba gekommen in Sommer, nach neun Monate. Da muss­ten wir schon entscheiden, ob wir verheiraten oder nicht irgendwann. Weil Jeanette brauchte viele Papiere von Deutschland. Aber wir wollten auch meine Situation vielleicht einfacher machen. Weil ohne dieses Heirat hätte ich wahrscheinlich nur drei Monate hier bleiben kön­nen oder so was. Und Jeanette wollte nicht, dass ich hier illegal bleibe. Mir was das in Anfüh­rungszeichen egal, ich wusste nicht, was das illegal bedeutet. Wir haben einfach gesagt, wir heiraten. Und Jeanette war 30 und ich war 24. Ich hatte eine ganz merkwürdige Beziehung zu Kuba gehabt. Kuba war, bedeutete für mich damals schon, also ich spreche von 97, von 96, bedeutete meine Familie, ein Teil meiner Familie, ein Teil Havannas und ein paar Freun­den. Kuba bedeutete nicht mehr für mich. Ich wohnte in diesem Studentenwohnheim in der 18. Stock, wirklich gegenüber von dem Meer und ich hatte vier Möglichkeiten die Stadt zu sehen: Nord, Süd, West und Ost zu sehen. Ich habe es geschrieben, wenn ich einmal dieses Land verlassen sollte, dann werde ich nur das vermissen. Vaterland oder Heimat… Ich wusste was das bedeutet, aber ich dachte ich wäre ein Heimatloser, weil ich keine Heimat hätte. Ich dachte, ich würde dieses Blick vermissen, ich würde diese Havanna, die ich kenne, vermissen, ich würde diese Leute vermissen, ich würde einen Teil meiner Geschichte vermissen, aber ich werde nicht Kuba vermissen. Kuba ist eine entelequia1 für mich, ein Wort. Es bedeutet nicht mehr für mich. Ich glaube Heimat ist eine Konstruktion.“

„Das Leben für mich hat sich radikal verändert, also da habe ich richtig kapiert, in Deutsch­land zu leben ist nicht Deutschland zu besuchen. Irgendwie hatte ich ein Gefühl von, von… ich passe nicht hier rein. Ich habe ein Tagebuch geführt und wenn man dieses Tagebuch liest, man findet solche Sachen. Ich hatte sogar Selbstmordgedanken gehabt. Und ich habe es nicht getan, weil ich wollte nicht Jeanette allein lassen. Also war sehr hart für mich. Wieso? Pfft, keine Ahnung. Ich habe wirklich eine rasante Karriere in Anführungs­zeichen in Deutschland gehabt. Ich habe so schnell Deutsch gelernt, ich habe durchge­kämpft mit tausende von verschiedene Jobs. Zwei Jahre später hatte ich eine Studienplatz hier bekom­men von den tausende von Leute träumen können an der Kunsthochschule für Medien habe ich einen Studienplatz bekommen. Und quino, also Kunst… Aber trotzdem hatte ich dieses Gefühl, dass ich einfach nicht eine Zugehörigkeit, eine Bindung zu Deutschland oder wie kann ich das überwinden. Die Erklärung, die ich geben kann, ist dass ich in Kuba eine Art Leben hatte, irgendwo in eine Ecke gehörte. Also ich war eine, nicht eine wichtige Person in Kuba, aber ich war bekannt innerhalb von den Zeichen. Also ich hatte Fotostellung gehabt, also ich war so eine Art Künstler in Kuba. Ich hatte Beiträge in verschiedene Maga­zine geschrieben und so weiter und so fort. Also ich gehörte zu einer Ecke, ich hatte einen Platz. Und hier hatte ich keinen Platz. Ich habe von Kuba Kontakte zu verschiedene Galerien gehabt und als sie hörten, ich lebe jetzt in Deutschland, haben alle zu mir gesagt nein, möchte ich dich nicht mehr vertreten. Es liegt einfach daran, dass die einfach Exoten haben wollen. Sie haben mich nicht mehr genommen als ich hier war. Ich war nicht mehr interes­sant für sie. Für die Beziehung war es wirklich eine sehr große Belastung, also man könnte fast nur staunen, dass wir noch heute zusammen sind. Also wir waren fast am Ende. Also wir wussten nicht, wie wir aus dieser Situation rausnehmen, also wie Jeanette mich aus dieser Situation rausnimmt und wie wir unsere Liebe retten können. Also es war wirklich die größte Belastung, die wir für unserer Beziehung hatten. Also noch nicht einmal diese Entfernung von Kuba und Deutschland. Das war harmlos. Ich hatte das von Anfang an klar gehabt. Also ich möchte nicht in Kuba leben, ich… im Grunde genommen habe ich gedacht, ich hasse die Kubaner, ich identifiziere mich nicht mit diesem Volk. Ich kann mich auch nicht mit den Deut­schen identifizieren oder mit den Engländern oder den Spaniern, aber ich bin nur zufällig da geboren. Es war natürlich immer die Frage, wenn unsere Beziehung zu Ende gehen sollte, was mache ich? Im Grunde genommen, meine Beziehung zu Deutschland war Jeanette. Am Anfang fühlte ich mich sehr abhängig, also… und das hatte auch unsere Beziehung belastet, weil ich konnte kein Deutsch und wir mussten alle Papiere für mich besorgen oder alle Anmel­dungen, die man machen muss oder alle, alles Lebenssituationen, die ich nicht überwältigen konnte. Obwohl ich am Anfang ein bisschen Geld hatte, ich habe gejobbt und so weiter, aber es war natürlich auch nicht ausreichend. Aber trotzdem hatte ich diese Freiheit. Und wie gesagt, Jeanette hat mir die Freiheit gegeben: mein Geld – also das ist nicht mein Geld, das ist unser Geld. Mach bitte damit, was du willst. Aber ich konnte es nicht.“

„Und zum Beispiel, wir haben Jeanettes Mutter, also meiner Schwiegermutter nie etwas erzählt, dass wir verheiratet haben. Sie hat das jetzt erfahren, also sie hat es neun Jahre später erfahren. Was wir Angst hatten, dass sie damit nicht fertig wird, dass sie uns nicht akzeptiert. Wir waren einfach nicht mutig genug.“

1 Der spanische Begriff entelequia bedeutet Illusion.

Audiodatei:http://zwischentoene.info/fileadmin/_zwischentoene/audio/UM_Liebe_MA3_Lester.mp3, Dauer: 9:03 Min.   Abschnitt 3

„Also wir leben von nix in Anführungszeichen. Also ich arbeite hier und dort, aber wir hatten das Glück, dass letztes Jahr in November unsere Tochter geboren ist, dass sie gesund ist und hoffen wir, dass es so bleibt und ja, es ist so das beste Geschenk, dass wir uns so zu unsere Liebe machen konnten. Wenn ich das Wort Heimat höre, dann fällt mir nur eines ein und das ist eine große Leere, ein Loch. Ein schwarzes Loch. Und ich glaube, ich habe kein Heimat, ich habe… ich werde nie eine Heimat haben. Vielleicht ist das eine Lebensposition von mir, vielleicht ist das eine Verteidigung, eine Art Verteidigung von mir, dass ich nicht an ein Heimat glaube. Weil hätte ich daran geglaubt, wäre das für mich noch schlimmer gewe­sen. Deutschland wird insofern ein Heimat für mich sein, weil ich hier lebe und ich glaube, ich werde hier weiterleben, weil mein Kind hier geboren ist. Also ich fühle mich doch als ein Teil dieser Gesellschaft. Und deshalb, wenn das ein Heimat ist, dann habe ich eine Heimat. Das ist, das ist Deutschland. Aber ich vermisse vielleicht kubanisches Landschaft, wo ich mit mein Großvater marschiert habe. Aber gleichzeitig habe ich zum Beispiel eine Art Gefühl so Sauerbraten zum Beispiel: diese Art zu leben, wie man hier lebt. Aber so eine Art organi­sierte Gesellschaft, wo man sich respektiert und das ist auch Heimat für mich und das kenne ich nicht von woanders.“

Audiodatei: http://zwischentoene.info/fileadmin/_zwischentoene/audio/UM_Liebe_MA4_Lester.mp3, Dauer: 4:45 Min.

Quelle

Migration-Audio-Archiv, https://migration-audio-archiv.de/.