AUDIO-INTERVIEW: Sinthuja (Info+Transkript für die Lehrkraft)

Hintergrundinformationen

  • Sinthuja ist Tamilin und stammt aus Sri Lanka. Sie ist als kleines Mädchen nach Deutschland gekommen, hat hier ihr Abitur gemacht und danach angefangen zu studieren. Ihre Eltern haben immer wieder versucht, sie mit Männern aus der tamilischen Gemeinschaft zu verheiraten. Sinthuja wollte das aber nicht und hatte deswegen große Schwierigkeiten in ihrer Familie. Seit einiger Zeit hat sie einen deutschen Freund.

Interviewtranskript:

Abschnitt 1

 „Also bei uns ist es natürlich so, dass jede Familie einen Sohn braucht. Es ist ganz wichtig, dass man einen Jungen hat und ich sollte auch ein Junge werden, aber weiß wieso, ich bin doch ein Mädchen geworden und das war wohl echt schockierend, meinte mein Vater. Das hat er mir auch mal erzählt, dass er dann geweint hätte, weil ich ein Mädchen geworden bin. Fand ich nicht so schön, aber das meinte er bestimmt nicht so böse“

„Also ich bin ja erst seit drei Jahren wohne ich ja nicht mehr zu Hause. Davor, muss ich sagen, war mein Leben sehr geprägt von der tamilischen Kultur. Also ich kam nach Hause, da lief tamilisches Fernsehen, meine Eltern hatten… also meine Mutter hatte tamilisches Essen gekocht. Und als Kind bis zu meinem jugendlichen Alter würde ich sagen war es noch recht okay, weil ich durfte da auch rausgehen, ich durfte also nachmittags mich mit meinen Freundinnen treffen, zusammen spielen und nach einer Zeit, als meine Eltern dachten, dass ich so langsam Frau werde, so ab 13, 14 durfte ich halt auch nicht mehr rausgehen. Also mittags, nachmittags nach der Schule vielleicht noch kurz zu einer Freundin oder so, aber ich durfte halt abends nie weg oder ich durfte auch nie in ein Eiscafé irgendwie mit meiner Freundin sitzen und Eis essen, weil andere Tamilen mich sehen könnten, dass ich da sitze und Eis esse. Das verstehe ich bis heute nicht, was da so schlimm dran ist, wenn man Kaffee trinken geht oder mit anderen… also noch nicht mal mit Jungs war ich unterwegs damals. Mit Mädchen.“

Audiodatei: http://zwischentoene.info/fileadmin/_zwischentoene/audio/UM_Liebe_MA5_Sinthuja1-2.mp3, Dauer: 1:54 Min.   Abschnitt 2

„2007 habe ich ja mein Abitur gemacht und dann habe ich direkt angefangen in Duisburg Soziologie zu studieren. Das habe ich aber nur ein Jahr studiert und dann habe ich 2008 angefangen Bio in Köln zu studieren. Und dann fing die ganze Hochzeitsgeschichte an. Eigentlich fing das schon an, als ich 18 war, weil da hat meine Schwester geheiratet mit 21 und da fingen meine Eltern schon langsam an, für mich auch jemanden zu suchen, weil sie meinten, so, mit 18 ist man ja jetzt langsam bereit. Aber ich war noch lange nicht bereit, um zu heiraten und ich habe das auch erstmal gar nicht so ernstgenommen, muss ich sagen, weil ich dachte, du bist jetzt 18, hast gerade Abitur gemacht, irgendwie, ja, mal schauen. Und ich kannte es ja auch nicht anders und damals, muss ich zugeben, wenn ich nicht studieren gegangen wäre, hätte ich das vielleicht sogar gemacht, weil ich es einfach nicht anders kannte und ich dachte, das wäre so Normalität, dass man das macht. Ja. Und dann, ich glaube als ich 20 war und hier Bio studiert habe, oder 21, da war es halt echt akut, also da hatten sie wirklich schon jemanden ganz Bestimmtes und mit der Familie schon irgendwie Kontakt aufgenommen, geredet etc. und irgendwie hatte ich das Gefühl, so, jetzt steht die Hochzeit schon vor der Tür so einen Monat oder so und da habe ich halt Nein gesagt und es gab riesen Stress.“

„Das war damals der Sohn von einem Familienfreund von meinen Eltern. Ich kannte den auch vom Sehen kurz. Der sah nicht schlecht aus, der war auch ganz nett, aber mich hat einfach dieser Gedanke auch aufgeregt, dass meine Eltern das machen, also dass die das für mich organisieren und ich wollte mir selber immer jemanden aussuchen und ich heirate dann, wenn ich es will und wenn ich mit meinem Studium fertig bin und nicht irgendwie so zwischendurch und dann gucke ich mal, was passiert und… Ja, du kannst ja dann noch studieren, wenn du fertig bist, aber bei uns ist es halt auch echt eine Frage. Der Mann muss halt zustimmen, dass man studieren darf oder auch arbeiten darf. Und deshalb habe ich mich dann auch aus Zufall einfach beim Studentenwohnheim beworben, ja, und wurde ange­nommen direkt. Vielleicht sollte es auch so sein, dass ich da mal rauskomme, weil immer wenn ich in der Uni war, konnte ich mal ein bisschen abschalten. Das war immer ganz schön. Deshalb bin ich auch gerne zur Uni gefahren. Aber wenn ich zu Hause war, dann war das Thema eigentlich nur das. Heiraten, wann bist du denn endlich soweit, da ist der und der, und wenn du dann noch zu Hause wohnst, dann wirst du halt 24 Stunden lang irgendwie wenn du zu Hause bist, nur damit konfrontiert und du darfst ja dann auch noch nicht mal rausgehen oder dich mit deinen Freundinnen treffen, dass du ein bisschen abschalten kannst. Und dann wurde ich ja angenommen im Studentenwohnheim, ich habe das meinen Eltern erstmal nicht gesagt, habe schon den Vertrag unterschrieben ohne denen das zu sa­gen. Das war aber auch innerhalb von einer Woche sollte ich da einziehen. Das war auch echt… Es ging alles sehr schnell. Da habe ich denen davon erzählt und sie meinten natürlich erstmal Nein und dann habe ich versucht mit meiner Schwester zu reden, ob die nicht vielleicht mit meinen Eltern reden könnte, weil das auch einfach mit der Pendelei… Pendeln, also das war auch einfach nur doof. Das waren am Tag immer drei Stunden, die mir da verloren gingen. Und sie haben dann irgendwann gar nichts mehr dazu gesagt, dann dachte ich mir okay, vielleicht ist das erstmal okay. Sie haben sich, glaube ich, mit dem Gedanken erstmal abgefunden, okay, sie studiert ja, also Bildung ist bei uns immer ganz wichtig, des­halb war das erstmal okay aufgrund des Studiums, dass ich dann ausziehe und nicht wegen etwas anderem. Da haben die es irgendwann akzeptiert. Aber froh sind sie heute immer noch nicht darüber, dass ich nicht zu Hause wohne, weil sie auch wissen, dass sie jetzt mich langsam so ein bisschen verlieren, also die Kontrolle über mich verlieren oder auch nicht mehr sehen, was ich mache, wo ich bin.“

Audiodatei: http://zwischentoene.info/fileadmin/_zwischentoene/audio/UM_Liebe_MA6_Sinthuja3-4.mp3, Dauer: 4:11 Min.   Abschnitt 3

„Genau, da ist auch noch was anderes passiert, das ist aber auch unbewusst passiert, das wollte ich eigentlich gar nicht, dass ich meinen jetzigen Freund kennengelernt habe vor zwei­einhalb Jahren ungefähr. Ich wusste damals selber nicht, was ich will, ehrlich gesagt. Also ich wusste, dass ich keine tamilische Ehe, keine arrangierte Ehe eingehen will, aber ich hätte auch nicht gedacht, dass ich jetzt mit einem Deutschen zusammen sein will oder werde oder überhaupt mal mir selber einen Freund suche oder finde. Das war alles ganz unerwartet kam das. Da war ich was trinken mit einer Freundin, mit der Tanja, und er war da auch mit drei Freunden, mit zwei Freunden war er da und wir dachte uns eigentlich, ja, wir trinken jetzt was und gehen wieder nach Hause, aber irgendwie hat sich das… ja, die haben uns ange­sprochen, erstmal nur so, weil der andere, der dabei war, wollte eigentlich was von Tanja und so kam das, entstand das dann. Zweieinhalb Jahre sind wir jetzt zusammen. Das ist überhaupt nicht einfach und gerade für ihn glaube ich auch gar nicht einfach. Ich bin auch sehr froh, dass er das so lange schon mit mir aushält oder mit meinen Problemen, weil ich ihn wirklich da auch sehr mit einbeziehe, aber ich will auch einfach, dass er das weiß, wie es ist und wie es mir geht und wie meine Eltern drauf sind. Das tut mir auch immer leid, dass ich ihn nicht mit nach Hause nehmen kann, dass er meine Eltern nicht kennenlernt oder dass ich ihn nicht einfach mal mit nach Hause, so, jetzt machen wir was oder jetzt essen wir alle zusammen zum Beispiel. Weil ich seine Eltern auch kennengelernt habe. Und gerade wenn er mich dann so sieht, wenn ich echt mal so scheiße drauf bin oder gerade wieder irgendwie Stress mit meinen Eltern habe, das belastet ihn sehr, weil… Das sagt er mir auch, dass er manchmal nicht weiß, wie er damit umgehen soll oder wie er mir helfen soll, weil er kann… Er sagt mir ganz oft, ich soll ihm sagen, was er tun soll, aber ich kann ihm das nicht sagen, also was soll ich ihm sagen, was er machen soll? Das hat erstmal ja auch nichts mit ihm zu tun und ich kann jetzt auch nicht verlangen, dass er mich jetzt heiratet, weil das… Ich glau­be, wenn ich das jetzt sage, wäre das vielleicht nicht ganz so schlimm, wenn ich meinen Eltern sage, so, wir heiraten jetzt. Aber das will ich meinem Freund einfach nicht zumuten, weil er das auch nicht so verdient, dass ich ihn jetzt so unter Druck setze, dass er mich jetzt heiraten muss und das jetzt. Weil er das selber noch nicht will, das weiß ich ganz genau und für mich so ein Opfer bringen, ich weiß nicht, ob ich damit leben kann, wenn er das für mich so tut. Wenn ich das meinen Eltern sage, dann… Also davor habe ich Angst, sonst hätte ich denen das schon, glaube ich, gesagt. Aber weil das auch einfach echt… ich meine, seitdem ich 18 bin, das geht über sieben Jahre so. Ich glaube auch, dass so langsam meine Eltern auch die Schnauze voll haben, dass ich auch jedes Mal Nein sage oder mich irgendwie da rausrede.“

„Ich werde auf jeden Fall erstmal zu Ende studieren. Ich bin auch froh, dass ich alleine woh­ne. Also ich will auch weiterhin alleine wohnen bleiben. Also ich bin mit meinem Freund noch zusammen und ich will auch natürlich mit ihm zusammen sein und jetzt auch wenn es sehr hart klingt, wenn meine Eltern das nicht akzeptieren, dann ist es nun mal so. Wenn die das, was andere Leute oder was andere Tamilen über mich reden, über mein Glück stellen oder über mein Leben, dann ist es nicht das, was Eltern machen sollten finde ich.“

Vielleicht bin ich ein Mensch mit Migrationshintergrund, aber ich fühle mich auf jeden Fall deutsch und meine Eltern bereuen es auf jeden Fall, dass ich hierhingezogen bin, weil die wissen, dass das alles so gekommen ist, weil ich ausgezogen bin. Ich glaube auch, dass ich vielleicht nicht so gewesen wäre, aber ich finde das nicht schlimm. Ich finde das sogar gut, weil ich mich selber hier kennengelernt habe. Ich wäre zu Hause einfach nicht eingegangen, aber ich wäre einfach ein ganz normales Mädchen, Schule fertig, vielleicht Studium fertig und, ja, heiraten. Aber ich hätte nichts von der Welt gesehen, ich hätte nicht gereist, ich hätte nicht gesehen, wie andere Kulturen leben. Vielleicht hätte ich das bei den Deutschen noch gesehen, aber ich hätte halt nichts erlebt oder nichts gesehen. Ich glaube auch, dass es mei­nen Eltern fehlt, dass sie nicht rausgehen, dass sie nur in ihrer Kultur oder mit ihren Leuten zu tun haben, dass sie deshalb so engstirnig sind, dass sie so beharren auf ihrer Tradition und auf ihrer Kultur.

Ich würde Sri Lanka nicht als meine Heimat bezeichnen. Ich war einmal da, jetzt mit 15 war ich da. Es war schön meine Oma zu sehen und meine anderen Verwandten, aber ich muss zugeben, das hat mir nicht wirklich was bedeutet da. Also es war schön zu sehen, wie meine Mutter damals gelebt hat, wie mein Vater damals gelebt hat, aber Heimat ist für mich einfach da, wo ich mich wohlfühle und wo ich so sein kann wie ich bin und dass man ohne Zwänge irgendwie lebt.“

Audiodatei: http://zwischentoene.info/fileadmin/_zwischentoene/audio/UM_Liebe_MA7_Sinthuja5.mp3, Dauer: 4:11 Min.

Quelle

Migration-Audio-Archiv, https://migration-audio-archiv.de/.