INTERVIEWAUSZUG: Gülcan

Ich habe seit deiner Kindheit befürchtet, dass du wie Zeki Müren* bist

Gülcan A., 69 Jahre , überzeugte Muslimin jüdischer Herkunft, Rentnerin, Hamburgerin, über ihren schwulen Sohn

 

Gülcan: Bei uns im Dorf gab es auch einen. „Der Kemal mit den Zimbeln“ nannten wir ihn bloß. Immer wenn wir Frauen beieinander saßen, tanzte er für uns. Jetzt verstehe ich es erst, der Arme war schwul.

 

Gülcans Sohn: Wieso „der Arme“?

Gülcan: Na ja, einfach war es wohl nicht, alle haben sich lustig gemacht über ihn. Wir nah­men ihn nicht ernst, weil er nicht so männlich war.

 

Gülcans Sohn: Wie jetzt?

Gülcan: Er hat nie geheiratet, Zimbeln hier, Zimbeln da… Er ist wohl letztes Jahr gestorben – da war ich traurig. Als du sagtest, dass du schwul bist, war mir sofort Kemal einge­fallen. Aber jetzt gibt es ja so viele Fortschritte, in der Medizin und so… (...)

 

Gülcans Sohn: Aber wegen meines Verhaltens kommst du doch nicht in die Hölle, oder?

Gülcan: Das nicht, aber man muss ja auch nicht hausieren gehen damit, oder? Es ist nicht so einfach, weisst du… Wir kannten nur Zeki Müren, niemanden sonst. Und der war Künstler, der hatte eben schöne Bühnen-Outfits, da dachte niemand an Homo­sexualität. Wir sagten uns, das ist auch Gottes Kind, alle sollen machen, was sie wollen. Jetzt ist es anders, alle sollen zwar machen, was sie wollen – aber so … öffentlich?

 

Gülcans Sohn: Was ist denn dann?

Gülcan: Schau mal, ich habe schon seit deiner Kindheit befürchtet, dass du wie Zeki Müren bist. Ich bin Mutter – und vor Müttern versteckst du so leicht nichts. Ich wusste es, ich wollte aber nicht, dass alle es wissen damit du nicht wie Zimbel-Kemal in aller Munde landest. Wer weiß, was sie über dich gesagt hätten… (...)

 

* Zeki Müren (6. Dezember 1931 – 24. September 1996) war ein türkischer Sänger, Komponist und Dichter, dem im Laufe seiner Karriere viele Romanzen und Frauengeschichten nachgesagt wurden, der aber lange Jahre mit einem Mann zusammenlebte.

Quelle

Gladt e.V. (Hg.). Anti Homophobika, Berlin, 2007, 21–22, https://issuu.com/ufuq.de/docs/homophobika/2, zuletzt geprüft am 13. November 2019.