Interviewausschnitt mit Leila

Leila war zum Zeitpunkt des Interviews 22 Jahre alt und stammt aus einem deutsch-türkischen Elternhaus. Ihr Vater ist als Kind nach Deutschland gekommen, ihre Mutter ist Deutsche. Sie wurde in beiden Kulturen und Religionen sozialisiert. Leila: Mein Vater ist Türke und lebt seit 41 Jahren in Deutschland. Ist mit 23 nach Deutschland gekommen, als Gastarbeiter. Meine Mutter ist Deutsche […] Interviewerin: Sie sind ja jetzt in einer Familie, in der zwei Kulturen zusammen kommen. Fühlen Sie sich zu einer Kultur oder auch zu einer Religion besonders hingezogen? Leila: Nee, eigentlich nicht. Eigentlich fühle ich ein ziemlich stabiles Gleichgewicht zwischen den Kulturen in mir. Also dadurch, dass ich in Deutschland lebe, ist es so, dass die deutsche Kultur mir vielleicht in einigen Dingen mehr vertraut ist, aber hingezogen fühl ich mich nicht stärker dazu. Interviewerin: Und das gilt auch nicht für die türkische Kultur? Leila: Ne, also das ist schon sehr gleich. Interviewerin: Sind sie zweisprachig? Leila: Ja. Interviewerin: Würden Sie sagen, Sie sind Muslimin? Leila: Ne, würde ich nicht sagen, also mein Vater ist erstens nicht Muslim, er ist Atheist und schon eigentlich immer gewesen, und meine Mutter ist Protestantin. Ich bin getauft. Da war ich drei Monate alt, als ich getauft wurde. Ich fühl mich aber auch nicht mehr als Christin oder so. Meine Familie in der Türkei sind sunnitische Muslime. Und, ich hab Zugang zu beiden Religionen und fühl mich eigentlich nicht als einen von beiden, also als Muslimin oder Christin. Interviewerin: Können Sie etwas zu ihrer religiösen Orientierung sagen? Leila: Ja, ich wollte noch was ergänzen. Ich bin zwar getauft, aber meine Eltern haben, weil mein Vater Atheist ist, vor meiner Geburt beschlossen, dass, wenn ich ein Junge werde würde ich beschnitten werde und wenn ich ein Mädchen werde würde, ich getauft werde. Weil meiner Mutter ganz wichtig war, dass ich den Segen Gottes habe. Meinem Vater war das nicht so wichtig, aber er war damit einverstanden. Und sie haben aber eine sozusagen bireligiöse Taufe veranstaltet. Ich hab eine türkische Patentante, die mir auch türkische Koranverse ins Ohr geflüstert hat bei der Taufe. In sofern war das von Anfang an, dass ich durch beide Sachen geprägt wurde. Und zur meiner religiösen Orientierung jetzt: ich bin nicht konfirmiert. Ich hab mich dagegen entschieden, als ich von der Kirche, in der ich getauft wurde, angeschrieben wurde. Weil ich das Gefühl hatte, dass das, was ich unter Glauben verstehe, nicht dafür geeignet ist, konfirmiert zu werden. Ich bin nur mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es einen Gott gibt, der für beide Religionen der gleiche Gott ist, und das glaube ich eigentlich auch immer noch. Interviewerin: Können Sie sagen, was religiös für Sie ist? Leila: Ja, also religiös kann man ja auf viele Arten definieren. Also für mich ist schon religiös, wenn jemand an etwas glaubt, was ihm Sicherheit gibt und wenn er das für sich selber in seinem Kopf oder in sich tut. Also für mich bedeutet religiös nicht, dass man irgendetwas praktizieren muss oder nach etwas leben muss, sich an irgendetwas halten muss, sondern es geht nur um das, was man selber fühlt oder denkt. […] Also ein Teil meiner Identität ist vielleicht der Punkt, dass ich das so gleichwertig betrachte, weil ich fühl mich irgendwie, also ich fühl mich einfach schon immer irgendwie bikulturell, bi-lingual. Also immer alles hat zwei Seiten, das ist vielleicht ein Teil meiner Identität. Vielleicht das ist auch der Grund, warum ich das immer so zusammen füge, irgendwie, mir gibt das einfach so ein bisschen Freiheit viel-leicht, dass ich einfach sage, ich kann das so glauben […] ja das ist so 'n bisschen meine Freiheit. […] Aber das ist immer schon so gewesen, das ist mir gar nicht immer so bewusst, aber es gibt einem einfach ein gutes Gefühl, dass man irgendwie so selber mit sich im Reinen ist.

Arbeitsauftrag

Arbeitsauftrag allgemein _____________________________________________________________________________ 1. Charakterisiere die dem Text zugrunde liegende Auffassung vom „muslimisch Sein“. 2. Erkläre, wie Zugehörigkeit erlebt/verstanden wird und belege dies am Text. 3. Arbeite die Zugänge oder Positionen zu Glaube und religiöser Praxis heraus.   Arbeitsauftrag Leila ______________________________________________________________________________ 1. Gib wieder, wie Leila ihre doppelte Zugehörigkeit beschreibt. 2. Nimm dazu Stellung, dass sie sich nicht für eine Religion „entscheidet“, weil es der gleiche Gott ist.

Quelle

Interview Dr. Ursula Günther mit Leila am 11.12.2007 in Hamburg.