Dimension: Individueller Rassismus

Zahlreiche deutsche Jugendliche mit Migrationsbezug müssen sich damit auseinandersetzen, dass sie deutsch, aber offenbar doch anders sind. Oft wird diese Auseinandersetzung durch negative Erfahrungen ausgelöst – durch alltägliche rassistische Bemerkungen. Im Folgenden werden Zitate von vier jungen Menschen wiedergegeben, die von Ihren Erfahrungen mit Alltags­rassismus berichten.
 

Chrissie, 21

"Als ich mit 17 in einer schicken Praxis meinem neuen Hautarzt die Hand schüttelte, ahnte ich noch nicht, dass ich erstens nach dem Verlassen des Untersuchungszimmers ihn nie wieder aufsuchen würde und dass ich zweitens mehrere Jahre lang eine belustigende Geschichte zu erzählen haben würde.

Ich zeigte ihm den Ausschlag auf meiner Haut und erzählte, dass der immer wieder im Winter auftauchte. ‚Tja, das ist nun mal bei Menschen Ihrer Herkunft so. Bedanken Sie sich bei Ihren Eltern. Woher kommen Sie?‘ Ich sagte: ‚Irland und Deutschland.‘ Und er: ‚Das kann nicht sein. Sie haben nicht die Poren einer Europäerin. Da würde ich noch mal zu Hause nachforschen. Da stimmt was nicht. Sie gehen eher Richtung Bagdad.‘

Der Ausschlag ist weg. Meine Poren sind wohl immer noch nicht europäisch. Als richtig rassistisch habe ich die Situation nicht gesehen – ich dachte, dass der Arzt schon wissen wird, was er behauptet, und dass es vielleicht wirklich so ist. Geärgert hatte mich aber, dass er an dem Morgen wahrscheinlich irgendwas über den Irak gelesen hatte und dass ich für ihn äu­ßerlich in dieses Bild passte.

Er war unglaublich arrogant. Ich hatte davor noch nie darüber nachgedacht, ob es aufgrund der Herkunft einer Person verschiedene Poren gibt.“


Schayan, 22

„Man hört öfters, dass Alltagsrassismus, der nur gelegentlich auftritt, niemandem schadet. Es kommt eben immer auf die Situation an. Daher kann ich die Frage, ob mir solch eine Art von alltäglich erlebtem Rassismus etwas ausmacht, nicht eindeutig beantworten.

Am typischsten und zugleich am harmlosesten erlebe ich diese Art von Rassismus beim Fri­seur. Wirklich jedes Mal! Ich höre immer dieselben Sachen: ‚Ihr habt ja Haare wie ...‘ Oder: ‚Für euch Grasköpfe braucht man ja einen Rasenmäher!‘ Solche Bemerkungen sind mir eigent­lich relativ egal, solange die Schere oder Maschine nicht ‚aus Versehen‘ verrutscht. Im Endeffekt haben ja auch wir, wer auch immer ‚wir‘ sein mögen, das Sagen über die Höhe des Trinkgelds.

Meiner Meinung nach muss man Rassismus und Ignoranz mehr voneinander trennen. Der Satz ‚Sie sprechen ja fantastisch Deutsch‘ ist nicht rassistisch, sondern nur ignorant. Und mit Ignoranz macht man vor allem in Deutschland viele Erfahrungen.“


Tenzin, 21

„Von den Ereignissen, die mich mit Rassismus in Deutschland konfrontiert haben, ist mir eins ganz besonders im Gedächtnis geblieben: Als ich volljährig wurde, musste ich mit meinem Vater zur Bank gehen, um dort Dokumente zu unterschreiben. Nachdem ich unterschrieben hatte, fragte mich die Frau nach meinem Pass, um die Identität zu überprüfen. Als ich fragte, ob ich nicht einfach meinen Personalausweis vorzeigen könnte, antwortete sie: ‚Ja klar! Ich habe bei Ihnen angenommen, dass Sie keinen deutschen Personalausweis besitzen.‘

Obwohl ich über die Jahre oft rassistische Beleidigungen erlebt habe, hat sich mir diese Ge­schichte besonders eingeprägt, weil sie symptomatisch für unsere Gesellschaft ist. Wüste Be­schimpfungen oder Angriffe kann man immer noch als unüberlegt abtun, als etwas, das von einer kleinen Minderheit ausgeht. Doch dass ich allein aufgrund meines Namens und meines Aussehens in die Kategorie ‚nicht-deutsch‘ eingestuft werde, macht mir viel eher bewusst, dass ich von vielen Mitbürgern nicht als deutsch angesehen werde. Obwohl ich die deutsche Staatsbürgerschaft besitze.“


Abdullahi, 21

„Ich erinnere mich noch gut an ein Erlebnis, das ich in Frankfurt an der Oder hatte. An dem Tag saß ich in einer Tram. Als diese an einer Haltestelle hielt, hielt gerade auf der gegenüber­liegenden Seite, in der entgegengesetzten Richtung, eine andere Tram. Die beiden Straßen­bahnen hielten also genau nebeneinander. In der anderen Bahn saßen zwei Männer mit Glatze, die wild gestikulierten. Ihre hasserfüllten Blicke richteten sich eindeutig auf mich. Einer von ihnen hielt wiederholt seine geballte Faust in meine Richtung, der andere mimte Wörter, die ich nicht entschlüsseln konnte.

Eigentlich hat mich diese Situation nicht ernsthaft gestört. Es gibt überall ignorante, dumme Leute, die glauben, sie müssten den dicken Macker raushängen lassen. Ich glaube, die wenigsten trauen sich, mehr als doofe Bemerkungen abzulassen. Ich finde, dass man solchen Leuten keine Aufmerksamkeit schenken sollte, da sie sich sonst bestätigt fühlen würden. Wenn es allerdings doch zu handgreiflichen Situationen kommt, sieht alles schon wieder ganz anders aus.“

Arbeitsauftrag

Fasst die Inhalte des Textes im Gespräch zusammen und notiert eure Ergebnisse auf diesem Arbeitsblatt. Die Notizen helfen euch bei der Präsentation.

  1. Erläutert, wie sich Rassismus auf individueller Ebene ausdrückt. Nennt Beispiele.
  2. Analysiert die Beweggründe für rassistisches Verhalten: Von welchen Vorurteilen gehen die beschriebenen Personen aus?
  3. Beschreibt, wie die Erzähler*innen mit den beschriebenen Situationen umgehen.

Notiert euch offene Fragen zu den Inhalten des Textes, die ihr vielleicht mit den anderen Schüler*innen diskutieren möchtet.

Quelle

Sara Jabril. „‘Sie sprechen ja fantastisch Deutsch!‘: Wie sehen eigentlich ‚richtige Deutsche‘ aus? Doch nicht so! Fünf junge Menschen erzählen von ihren Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus“, in: fluter. Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, 10.03.2012, https://www.fluter.de/sie-sprechen-ja-fantastisch-deutsch, zuletzt geprüft am 7. Oktober 2022.