AB 3: Reformen im Bildunsgwesen

„Auch hat [Kaiser Joseph II.] unser Elend angesehen, dass es ihrer wenige sind, die die deutsche Sprache ordentlich sprechen. […] Dadurch studieren sie keine Bücher, weder Bücher über Geschichte und Weltbegebenheiten, noch Bücher über Moral, Naturwissenschaft und Mathematik, und wissen sie nicht richtig mit den Bewohnern des Landes und seinen Fürsten zu reden. Er hat ihnen den guten Weg gewiesen und ihnen befohlen, Schulen einzurichten, um ihre Söhne darin die deutsche Sprache lesen und schreiben zu lehren, und Bücher über vernünftige Moral nach Maßgabe der Tora zu verfassen, um damit die Knaben Erkenntnis und Geselligkeitssitten zu lehren. […] Dann geziemt es euch […], dass ihr fortan zierlich redet, mit Anmut und mit vernünftiger Moral, und eure Söhne nicht davon abhaltet, die Sprache der Landesbewohner zu lernen und sie nach den Regeln zu sprechen. […]
Ebenso die moralischen, naturwissenschaftlichen und mathematischen Kenntnisse, außer dass sie denen, die sie besitzen, zur Zierde gereichen und sie befähigen, dabei zu helfen, das Königreich und seine Bewohner zu stärken, sind sie vonnöten für die Säulen der Religion, die Grundlehren der Gottesfurcht und der Gottesliebe und die Verehrung der Herrlichkeit des Ewigen, seiner Werke und seiner heiligen Worte im menschlichen Herzen. Daher sollte, wer zur Schule geht, auch die Abfolge der Geschlechter und die geschichtlichen Begebenheiten lernen, so dass er weiß, wie sich die Dinge von Anbeginn an fortentwickelt haben, wer von Beginn an die Machthaber der Staaten waren, wie die Reiche gegründet wurden, wie die Nationen heißen, welche bis auf den heutigen Tag eine aus der Hand der anderen die Länder in Besitz nahmen, wie ihre Gebräuche, Taten und Gesetze beschaffen waren. Denn diese Kenntnisse sind dabei hilfreich, die Worte der Tora zu verstehen, welche uns die Unterwerfung der Erde von den ersten Nachkommen Noachs an erzählt, die Benennung der Länder nach dem Namen der ersten, die sich darin mit ihren Sippen ansiedelten. […]
Ebenso die Kenntnis der Beschaffenheit der Welt, ihre Länge und Breite und ihre Beschaffenheit zu kennen, die Grenzen von Staat um Staat, sie sie aneinander grenzen, jeden einzelnen nach Längen- und Breitengraden, die Lage der Meere und der großen Ströme und dergleichen, nämlich die Geographie. Sie gleicht in ihrem Gegenstand der Kenntnis der Geschichtsschreibung, denn auch sie ist für das Wesentliche der Tora vonnöten, welche die Länder erwähnt, die die Nachkommen Noachs eroberten, die Reiche unseres Vaters Abraham, Friede mit ihm, die Grenzen des Landes Israel, die Wanderung Israels durch die Wüste, die Meere und Flüsse, deren Namen in der Tora erwähnt werden, und mehr noch in den Büchern der Propheten. […]
Es braucht nicht gesagt zu werden, dass naturwissenschaftliches Wissen, nämlich die Kenntnis der Arten der Mineralien, der Pflanzen, der Tiere, der Erze und der Elemente, und mathematisches Wissen, wie Arithmetik, Geometrie, Astronomie und dergleichen, dass dies mit den Halachot [d.h. Gesetzen] der Tora verbunden ist, wie den Gesetzen der Mischungen, der Bestimmung der Festzeiten, der Kennzeichen der zum Essen erlaubten und verbotenen Tiere und dergleichen.“

Arbeitsauftrag

Beschreibe, welche Kenntnisse der jüdische Aufklärer Wessely für besonders wichtig hält. Wie begründet er den Unterricht in den Fächern Geschichte und Geographie? Vergleich:
Erläutere, welche Kenntnisse Juden nach Auffassung Dohms und Josephs II. erwerben sollten? Zusatzaufgabe 1 (optional):
Der Staat und seine aufgeklärten Beamten verlangten, dass jüdische Kinder in neuen Schulen die deutsche Sprache und aufgeklärtes Wissen erwerben sollten; jüdische Aufklärer wie Wessely begrüßten diese Initiativen. Aber gingen denn jüdische Jungen und Mädchen vor dieser Zeit gar nicht zur Schule, lernten sie denn gar nichts? Stellt Vermutungen auf! Zusatzaufgabe 2 (optional):
Informiert Euch über die rechtliche Lage der Juden um 1781 in Preußen und im Habsburgerreich. Konnte die aufgeklärte Bildung, die jüdische Kinder in den Schulen erwerben sollten, ihnen in der Gesellschaft dieser Zeit von Nutzen sein?

Quelle

Naphtali Herz Wessely, Divre schalom we-emet – Worte des Friedens und der Wahrheit, Berlin o.D. (1782), in: Ingrid Lohmann (Hrsg.), Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung, Münster/New York 2014, S. 101–137, hier 123–128, aus dem Hebräischen übersetzt von Rainer Wenzel