Wie wirken Vorurteile?

„Kinder, Jugendliche, alte Menschen, Frauen, Männer, Juden, Iraker, Schweizer, Russen, Prostituierte, Türken, Homosexuelle, Amerikaner, Christen usw. - es gibt keine Gruppe von Menschen, keine Nationalität, keine Religion, für die es keine Klischees gäbe und die nicht mit bestimmten Eigenschaften besetzt wären. […] Das ist problematisch, weil dadurch Schubladen entstehen, die für Individualität, kritisches Hinterfragen, Verstehen anderer Personen oder Gruppen wenig Raum lassen. Zu leicht entstehen aus solchen Schubladen Vorurteile und Feindbilder. Deshalb drängen sich einige fundamentale Fragen auf: Ist ein Leben ohne Vorurteile und Feindbilder für uns Menschen möglich? Kann der Mensch überhaupt die Realität als solche wahrnehmen? Ist er zu objektiver und aggressionsfreier Wahrnehmung fähig? Kann er wahrnehmen, ohne gleich zu interpretieren? Normalerweise eher nicht. Denn wir haben als Menschen bereits sehr früh die Tendenz, die Wirklichkeit, das, was wir erleben und was uns begegnet, zu kategorisieren: in gut und böse, in richtig und falsch. Damit geben wir unserem eigenen Weltbild die Struktur, die wir zur Orientierung in unserem Leben brauchen. Auch wenn Vorurteile und Feindbilder vom Inhalt her austauschbar sind, ohne sie wird kaum ein Mensch leben können. Die entscheidende Frage muss deshalb lauten: Wie können wir konstruktiv damit umgehen? […] Wir Menschen haben die Tendenz, das herauszugreifen, was wir sehen wollen und blenden das aus, was uns nicht gefällt. Damit belügen wir - bewusst oder unbewusst - uns selbst und andere. In der Regel werden Vorurteile anderer schneller erkannt als die eigenen. Wie auch immer: Der Kontakt mit Menschen, gegen die wir Vorurteile hegen, wird gemieden, die Kommunikation mit ihnen reduziert. Vorurteile und diskriminierendes Verhalten stehen oft in engem Zusammenhang. […] Diskriminierendes Verhalten als Folge von Vorurteilen ist […] in unserem Alltag sehr häufig zu beobachten, z. B. auf Spielplätzen, wenn Eltern bewusst ihre Kinder von bestimmten Ausländergruppen fernhalten, oder bei der Wohnungssuche, wo eine leerstehende Wohnung nicht an Personengruppen bestimmter Nationalitäten vermietet wird (nationale Vorurteile). […] Wir neigen dazu, zu vereinfachen und die Informationsfülle der sehr komplexen Realität zu reduzieren. Jeder Mensch, egal wo auf der Welt, unabhängig von Status, beruflicher Auf¬gabe, persönlicher Situation usw. hat nur eine eingeschränkte, ausschnitthafte Sichtweise der Dinge. Das ist von Natur aus so angelegt und trägt positiv, wie bereits erwähnt, zum Überleben bei. Aus Sicht der Evolution ist dies höchst sinnvoll, denn blitzschnell können wir so in Notsituationen aufgrund der uns vorliegenden Informationen Entscheidungen treffen, die unser Überleben sichern. Das geht dann reflexartig. Die negative Seite allerdings ist, dass wir […] dabei wichtige Informationen aus[blenden], die sonst ein vollständigeres Bild ergeben würden. Von klein an haben wir gelernt, das, was uns umgibt, sofort einzustufen und zu bewerten. Sobald wir sehen, interpretieren wir auch. […] Das kann eine Überlebens¬strategie sein. Gleichzeitig sind aber auch Vorurteile und Feindbilder ein - negatives - Ergebnis dieser sehr begrenzten und selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit."

Arbeitsauftrag

1. Wie wirken sich Vorurteile auf das Zusammenleben aus? Ergänze die Mindmap mit Informationen aus dem Text. 2. Was kann man gegen Vorurteile tun? Bereite dich auf eine Diskussion mit der Kugellagermethode vor.

Quelle

Studiengesellschaft für Friedensforschung, Hrsg. „Denkanstöße zum Thema: Vorurteile und Feindbilder“ (Nr. 49). München 2003. Zuletzt geprüft am 28.04.2019, https://www.studiengesellschaft-friedensforschung.de/texte/da_49.pdf.