Kann ein Bild gewalttätig sein?

Wenn wir über Gewalt reden, denken wir oft an Bilder, die gewaltsame Taten zeigen. Jour­na­lis­tische Fotografien, die Verbrechen in Konflikten dokumentieren, zählen dazu ebenso wie Handy-Videos, die von Aktivist*innen und Zivilist*innen aus Konfliktgebie­ten auf YouTube hochgeladen werden. Viele dieser Fotos und Videos zeigen grausame Taten, Menschen werden getötet und sterben. Die Verbreitung dieser Bilder kann dazu dienen, Menschen zu informieren, aufzuklären und wach zu rütteln. Bilder werden jedoch auch dazu produziert und genutzt, um Angst und Schrecken zu verbreiten, Gruppen und Individuen zu beleidigen und zu diskriminieren. Dort, wo die Kamera nicht nur Beobachterin und Zeugin von Gewalt ist, sondern an der Inszenierung und Ausübung gewaltsamer Taten mitwirkt, entstehen Gewaltbilder. Das Bild dokumentiert nicht, sondern ist selbst Aus­druck der (strukturellen und kulturellen Gewalt), die einer Person oder Gruppe widerfährt.

Gewaltbilder werden aus den unterschiedlichsten Beweggründen und mit sich unterscheidenden Zielen nicht nur von extremistischen und religiös fundamentalistischen Gruppierungen, sondern auch durch Musikvideos, Clips auf TikTok oder aber im Rahmen von Kinderpornografie verbreitet.

Gewaltbilder stellen durch Digitalisierung der Produktion und Verbreitung heute ein globales Phänomen dar. Bilder verbreiten sich viral, werden geteilt, kommentiert und weiter editiert. Der Attentäter in Christchurch, Neuseeland, der 51 Menschen tötete, inszenierte seine Tat als Video-Ereignis, das weltweit im Live-Stream auf Facebook mitver­folgt werden konnte. Die Terror-Organisation Islamischer Staat enthauptete Gefangene vor laufender Kamera, um mit diesen Bildern Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Herstel­lung und Verbreitung solcher Bilder als einen Akt der Gewalt zu verstehen, ist nicht unum­stritten. Denn schließlich töten nicht Bilder, sondern Menschen und Waffen, oder?

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp führte dazu in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau[1] im Januar 2009 aus:
 

(Auszug aus dem Interview)

Frankfurter Rundschau: „Beim Zusammenführen von Bild und Tat kommt es zu Bildern, von denen Sie sagen, wir sollten sie nicht abbilden. Was meinen Sie damit?“

Bredekamp: „[…] Abgesehen von der Auswahl gibt es eine Art von Bildern, die systematisch nicht zu zeigen sind. Es handelt sich um jene, bei denen Gewalttaten begangen wurden, um Bilder produzieren zu können. Das scheint mir ein neues Phänomen zu sein. Bisher wurden Bilder als Trophäen gezeigt. Sie zeigten, wen man geschlagen hatte. Ein neues Phänomen der letzten fünf, sechs Jahre scheint jedoch darin zu bestehen, dass in der globalen Ausein­andersetzung Menschen getötet werden, damit sie zu Bildern werden.“

Frankfurter Rundschau: „Also eine Zeitung darf Ihres Erachtens solche Fotos nicht ab­drucken?“

Bredekamp: „Wenn Sie Fotos zeigen oder wenn ein Fernsehsender Videos mit Tötungs­aktionen zeigt, wird er, insofern die Tat zu dem Zweck durchgeführt wurde, Bild werden zu können, zum Komplizen des Verbrechens. Dann folgt das Zeigen des Bildes der Logik einer Tat, die sich erst durch die Veröffentlichung realisiert.“

Quellen und weiterführende Literatur

Bredekamp, Horst. Theorie des Bildakts, Berlin: Suhrkamp, 2010.

Brink, Cornelia und Jonas Wegerer. „Wie kommt die Gewalt ins Bild? Über den Zusammen­hang von Gewaltakt, fotografischer Aufnahme und Bildwirkungen“, in: Fotogeschichte 125 (2012), 5–14, https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/Brink_
Wegerer_2012.pdf
, zuletzt geprüft am 19. Januar 2021.

Emcke, Caroline. Weil es sagbar ist: Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit, Frankfurt a. M.: S. Fischer, 2013.

Klonk, Charlotte. Terror: Wenn Bilder zu Waffen werden, München: S. Fischer, 2017.

Mitchell, William John Thomas. Das Leben der Bilder: Eine Theorie der visuellen Kultur, München: C. H. Beck, 2008.

Sontag, Susan. Das Leiden anderer betrachten, München: Hanser, 2003.


[1] Arno Widmann. „Interview mit Horst Bredekamp: Bilder sind nicht nur Show“, in: Frankfurter Rundschau, 05. Januar 2009, https://www.fr.de/kultur/bilder-sind-nicht-show-11475072.html