Textquelle: Rede bei Gedenkfeierlichkeiten

Am 14. August 2004 hielt die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten der Herero-Aufstände in Okakarara (Namibia) eine Rede:

„Es ist für mich eine Ehre, heute an Ihren Gedenkfeierlichkeiten teilnehmen zu dürfen.

Ich danke Ihnen dafür, dass ich als deutsche Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, als Vertreterin der Deutschen Bundesregierung und des Deutschen Bundestages hier zu Ihnen sprechen darf. Ich bin aber auch hier, um Ihnen zuzuhören.

Gedenken an die Gräueltaten von 1904

Es gilt für mich an diesem Tage, die Gewalttaten der deutschen Kolonialmacht in Erinnerung zu rufen, die sie an Ihren Vorfahren beging, insbesondere gegenüber den Herero und den Nama. Ich bin mir der Gräueltaten schmerzlich bewusst: Die deutschen Kolonialherren hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung von ihrem Land vertrieben. Als sich die Herero, als sich Ihre Vorfahren dagegen wehrten, führten die Truppen des General von Trotha gegen sie und die Nama einen Vernichtungskrieg. In seinem berüchtigten Schieß­befehl hatte General von Trotha befohlen, jeden Herero zu erschießen – auch Frauen und Kinder nicht zu schonen. Die Schlacht am Waterberg 1904 endete damit, dass die Über­lebenden in die Omaheke-Wüste getrieben, ihnen jeder Zugang zu Wasserstellen verwehrt wurde und sie verhungern und verdursten mussten. In der Folge der Aufstände wurden überlebende Herero, Nama und Damara in Lagern gefangen gehalten und zu Zwangsarbeit gezwungen, deren Brutalität viele nicht überlebten.

Anerkennung des Freiheitskampfes

Wir würdigen die mutigen Männer und Frauen insbesondere der Herero und Nama, die gekämpft und gelitten haben, damit ihre Kinder und Kindeskinder in Freiheit leben. Ich gedenke mit Hochachtung Ihrer Vorfahren, die im Kampf gegen ihre deutschen Unterdrücker gestorben sind. Bereits 1904 gab es auch in Deutschland Gegner dieses Unterdrückungs­krieges. Einer dieser Kritiker war der damalige Vorsitzende der Partei, der ich angehöre, August Bebel. Er hat die Unterdrückung der Herero im Deutschen Reichstag auf das Schärfste kritisiert und ihren Aufstand als gerechten Befreiungskampf gewürdigt. Darauf bin ich heute stolz.

Bitte um Vergebung

Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker – verblendet von kolonialem Wahn – in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemein­

samen „Vater unser“ um Vergebung unserer Schuld. Ohne bewusste Erinnerung, ohne tiefe Trauer kann es keine Versöhnung geben. Versöhnung braucht Erinnerung. Des Gedenkjahr 2004 sollte auch ein Jahr der Versöhnung werden. Wir ehren heute die Toten. Wer sich nicht erinnert, wird blind für die Gegenwart. Mit dem Erinnern sollten wir Kraft für Gegenwart und Zukunft gewinnen.

[Ministerin Wieczorek-Zeul fuhr mit einer gemeinsame Vision von Freiheit und Gerechtigkeit fort und beschrieb gemeinsame Projekte]

In diesem Geist der Hoffnung gilt unsere gemeinsame Verpflichtung einer gerechteren Welt, besseren Lebensverhältnissen hier und überall auf der Welt.

Ich danke Ihnen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul“

Quelle

„Rede von Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bei den Gedenkfeierlichkeiten der Herero-Aufstände am 14. August 2004 in Okakarara“, in: Deutsche Botschaft Winhuk, https://web.archive.org/web/20150711070123/http://www.windhuk.diplo.de/Vertretung/windhuk/de/03/Gedenkjahre__2004__2005/Seite__Rede__BMZ__2004-08-14.html , zuletzt geprüft am 11. Mai 2021.