Die Angriffe in Italien (Gruppe 3)

In Italien gab es seit 2008 immer wieder antiziganistische Vorfälle, bei denen Rom*nja angegriffen wurden. Einer dieser Angriffe fand in der Stadt Neapel statt:

„Im neapolitanischen Stadtteil Ponticelli kam es am Dienstag und erneut am Mittwochabend zu gewalttätigen Angriffen auf eine Barackensiedlung der ethnischen Minderheit der Roma. Medien sprachen angesichts des organisierten Vorgehens von ‚pogromartigen Ausschrei­tungen‘. Steine flogen, und Jugendliche warfen von Mopeds Molotow-Cocktails auf die Baracken. Dabei wurden sie von Fernsehteams gefilmt. Als die Feuerwehr die Brände zu löschen versuchte, wurde sie von dem umstehenden Mob beschimpft. Hunderte von Roma ergriffen mit ihren Fahrzeugen die Flucht. 500 Roma wurden unter Polizeischutz aus der Stadt geleitet. Eine Gruppe von 56 Roma, darunter 30 Kinder, gilt seit dem Vorfall als vermisst. Über Verhaftungen von Brandstiftern und Steinewerfern ist nichts bekannt.

In Italien leben etwa 160.000 Roma, vorwiegend an den Stadträndern. Nur etwa die Hälfte von ihnen besitzt die italienische Staatsangehörigkeit. Hinzu kommen noch Sinti. Beide Gruppen zusammen sind offiziellen Angaben zufolge etwa 342.000 Menschen stark. Die Caritas legt jedoch wesentlich höhere Zahlen zugrunde. Sie schätzt diese Bevölkerungsgruppe auf 556.000 Menschen.

Das Vorurteil von kinderstehlenden Zigeunern wurde in Neapel durch einen Vorfall bedient, der die Volksseele in der Stadt zum Kochen brachte. Eine 16-jährige Romni, die inzwischen festgenommen wurde, hatte am Wochenende angeblich versucht, ein sechs Monate altes Baby zu entführen. Ähnliche Behauptungen tauchen in den italienischen Medien in regelmäßigen Abständen auf. Journalisten geben der entsprechenden Berichterstattung breiten Raum und tragen so zur Schaffung eines Klimas bei, in dem die Roma zum Feindbild hochstilisiert werden.“[1]

„Neben Steinhageln und Brandattacken wurden auch Übergriffe auf einzelne Roma gemeldet; so wurden zwei Roma-Frauen, die bloß einkaufen wollten, rabiat aus einem Supermarkt vertrieben. […] Verhaftungen von Brandstiftern und Steinewerfern wurden nicht gemeldet. Sie wären im gegenwärtigen politischen Umfeld auch nicht willkommen: […] Die zur linken Demokratischen Partei gehörende Bürgermeisterin Neapels, Rosa Russo Iervolino, jedenfalls bekundete ‚teilweise Verständnis‘ für die Roma-Hatz in ihrer Stadt.“[2]

Wenige Tage später veröffentlichte das italienische Büro der Menschenrechtsorganisation EveryOneGroup einen eigenen Bericht über den Vorfall. Ihren Informationen zufolge kann die Geschichte sich nicht so zugetragen haben wie es in den Medien und von der Polizei berichtet wurde. Die Mitarbeiter*innen von EveryOneGroup gehen davon aus, dass die Beschuldigte – Angelica V. – in eine Falle gelockt worden war. Sie vermuten, dass die Mutter des Kindes – Flora M. – sowie deren Vater Teil einer Gruppe von Anwohner*innen waren, die sich schon mehrfach getroffen und beratschlagt hatten wie es möglich wäre, die im Viertel bestehenden Unterkünfte von Rom*nja zu beseitigen. Der Vorwurf der Kindesentführung könnte Ihnen dazu gedient haben, die späteren Angriffe auf die Unterkünfte, welche die Räumung der Bewohner*innen zur Folge hatte, anzustacheln.

Angelica V. wurde von einem italienischen Gericht ohne weitere Beweise, nur aufgrund der Aussagen von Flora M. zu einer Gefängnisstrafe von fast vier Jahren verurteilt. Auch nachdem sie ihre Freiheitsstrafe abgesessen hat, bleibt Angelica V. bei ihrer Aussage, dass sie zu Unrecht beschuldigt wurde und die Tochter von Flora M. niemals auch nur zu Gesicht bekommen hat.[3]

 

[1] „Ausschreitungen gegen Roma in Italien“, in: Wikinews, 17. Mai 2008, https://de.wikinews.org/wiki/
Ausschreitungen_gegen_Roma_in_Italien
, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

[2] Michael Braun. „Pogrome in Neapel: Molotow-Cocktails auf Roma-Baracken“, in: taz, 15. Mai 2008, http://www.taz.de/!5182179/, zuletzt geprüft am 12. Juli 2023.

[3] Vgl. Alessio Viscardi, Alessio. “Angelica tona a Ponticelli e racconta la sua verità”, in: fanpage.it, 26. August 2012, http://www.fanpage.it/angelica-torna-a-ponticelli-e-racconta-la-sua-verita-reportage/., zuletzt geprüft am 12. Juli 2023; EveryOneGroup (Hg.). Anti-gypsy sentiments out of control in Italy: The truth about the kidnapping in Naples”, 2008, http://everyonegroup.com/EveryOne/MainPage/
Entries/2008/5/18_Anti-gypsy_sentiments_out_of_control_in_Italy._The_truth_about_the_kidnapping_
in_Naples.html
, die Seite ist nicht mehr verfügbar.

 

Arbeitsauftrag

1. Beschreiben Sie/Beschreibe die Geschehnisse in Neapel.

2. Erläutern Sie/Erläutere, welche Rolle die Annahme spielte, dass eine Romni ein Kind habe entführen wollen.

3. Angenommen, Angelica V. hätte das Kind entführen wollen: Erklären Sie/Erkläre, warum die Anwohner*innen die anderen rumänischen Rom*nja und Nicht-Rom*nja angreifen und ihre Unterkünfte zerstören.

4. Äußern Sie sich/Äußere dich dahingehend, ob es einen Zusammenhang zwischen den Vorkommnissen in Italien und den Falschmeldungen zum „Fall Maria“ gibt.

5. Beurteilen Sie/Beurteile die folgende Aussage: „Das Vorurteil des Kindesraubes ist gefähr­lich, weil es als Begründung für Gewalt gegenüber Rom*nja fungieren kann.“