Darstellung & Quellen: Wilhelmine Wiebusch

Darstellung Biographischer Hintergrund Wilhelmine Wiebusch wurde am 7. November 1859 in Horneburg geboren. Ihr Vater ist unbekannt. Ihre Mutter war ledig und arbeitete im nahegelegenen Hamburg. Sie war dort wahrscheinlich als Dienstmädchen tätig, hatte dort Wilhelmines Vater kennengelernt und war schwanger geworden – ohne dass der Vater sie heiratete. Wilhelmine wuchs wohl nicht bei ihrer Mutter auf, sondern wahrscheinlich bei ihren Großeltern oder anderen Verwandten in Horneburg. Anfang 1871 kam sie mit 12 Jahren als Pflegekind zu einer Hamburger Familie. Sie war nun alt genug, sich das Wohngeld und die Ernährung bei ihren Pflegeeltern selbst zu verdienen. 1874 trat sie bei einem Gastwirt aus Barmbek eine Stelle als Dienstmädchen an. Es folgten in den nächsten Jahren verschiedene weitere ähnliche Anstellungen. Damit gelang Wilhelmine Wiebusch auch der berufliche Aufstieg: Zuletzt war sie als Dienstmädchen in einer reichen Kaufmannsfamilie an der Binnenalster tätig. Wilhelmine hatte zahlreiche Freundinnen, die ebenfalls Dienstmädchen waren. Einer von ihnen, Marie, schrieb sie aus der Ferne Briefe, mit einer anderen, Anna, wanderte sie später aus. Letztere war es auch wohl, die die Entscheidung zur Abwanderung in Wilhelmine Wiebusch reifen ließ. Hinzu dürften Neugier, die Hoffnung auf höhere Löhne in den USA und der Wunsch gekommen sein, einen guten Mann in der Ferne zu finden. Die beiden Frauen verließen Hamburg am 23. Juli 1884 mit dem Dampfer „Ragia“. In New York angekommen fanden sie sogleich eine Anstellung. Wilhelmine Wiebusch scheint mit ihrem Leben in Amerika recht gut zufrieden gewesen zu sein. Einer von vielen Gründen dafür dürfte gewesen sein, dass es in der Stadt ein breites Angebot deutschen kulturellen und sozialen Lebens gab: Man fand deutsche Zeitungen, Kirchengemeinden, Vereine, Theater, Biergärten, Lokale und Geschäfte vor.  Immerhin war zu der damaligen Zeit rund ein Siebtel der 1,2 Millionen New Yorker in Deutschland geboren. Nach ihrer Heirat lebte Wilhelmine Decker in Secaucus in einer vor allem von Deutschen bewohnten Nachbarschaft. Dort beitrieb ihr Mann zunächst eine Gastwirtschaft und später ein Hotel. Auswandererbriefe (Quellen)

 Brooklyn. den. 12/9.84.

Meine liebe Marie! Lang, lang, ist es her, das wir Hamburg verlassen haben, und Du liebe Marie hast in dieser Zeit wohl schon oft auf einen Brief von mir gewartet, Du muß es mir nicht Übel nehmen das ich Dir jetz erst schreibe, denn in einen fremden Lande, hat man zu Anfang gar zu mancherlei andere Sachen zu bedenken, O. könnten wir jetz ein wenig zu sammen sein, wie wollte ich Dir so manches kleine Abendtheuer erzählen, aber der unendlich große Ocean gebitet schreiben, Du wirst gewiß durch Annas Schwester schon etwas über uns erfahren haben, aber dennoch werde ich Dir auch so gut wie möglich unsere Reise nochmahls mittheilen. (…) jetz waren wir da in dem Land wo Milch und Honig Bißt, wir Logirten dann 4 Tage in einen Deutschen Hotell mit meheren welche wir auf dem Schiff kennen lernten, und haben uns in dieser Zeit New-York ein wenig angesehen, den ersten Tag regnete es furchbar das wir nichts mehr vor nehmen konnten den zweiten haben wir Annas Verwanten aufgesucht welche wir auch mit unserer gewanten Englischen Sprache nach 4 Stündigen hin und her fragen endlich fanden. liebe Marie Du müßtest New-York nur wirklich mal sehen, wenn Du Sontag aus gehst komme ein bischen her, die Stadt ist wohl 3mal so groß wie Hamburg die schönste und Hauptstraße der Broadway ist über 6 Stunden lang, hat rechts und lingst an 300 neben Straßen den die vielen vielen andern Staßen noch alle, zu Fuß kann man deßhalb auch wenig gehen da es so sehr weitläufig alles ist mann nimt Einfach die
Care oder Eisenbahn welche fast in jeder Staße fährt hoch oben bis an der
zweiten Etg der Häuser, über einen Fahrweg geht man manches mal mit Lebensgefahr es rent ein Wagen hinterm andern, ein Geräuscht das ma[n] sein eigen Wort nicht verstehen kann alles Geschäft und Geld. am 8 August hatten wir das du[m]e Glück beide zusammen placirt zu werden in einen sehr feinen Privathause in Brooklyn. diese Stadt ist nur durch Wasser von New-York getrennt ma[n] ka[n] in 5 Minuten mit der Fähre hinüber fahren, es wohnen hier auch meist alle Herschaften die Ihr Geschäft in New-York haben da Brooklyn viel hübscher ist
und die Luft auch gesunder. Anna ist als Kleinmädchern und als Kochin wir
bekommen jeder 12 Dollar (50 [M)] Monatlich, was meinst Du liebe Marie auch
nicht ein bischen Lust nach Kamerika zu gehen? Arbeit haben wir freilich etwas mehr, den die Amerikaner Leben sehr nobel, es wird hier 3 mal am Tage warm gegessen dann haben wir sämtliche Wäsche im Hause da es außer dem Hause so furchbar theuer ist selbst Oberhemden und Manschetten müßen wir pletten verstehen muß man hier alles, wir richten es richten uns es aber ein wie wir wollen, die Ladys bekümern sich um den Hausstand sehr wenig sie thun anders nichts als putzen sich 3-4 mal am Tage und gehen aus. die Familie ist außerordenlich freundlich es sind im ganzen 8 Personen Mr u Mrs (…), 3 erwachsene Bild hübsche Töchter und 3 schmuke Jungens, die Lady selber spricht gebrochen Deuscht wir können uns ganz gut mit Ihr verständigen, die andern wollen es auch gerne lernen Sie lieben das Deutsche sehr, Du müßtest uns nur mal Englisch sprechen hören wir rappeln alles nach, ob es recht ist oder nicht, die Lady sagt manchmal Sie möchte gestorben sein, vor Lachen über uns. (…) [i]ch habe auf die Amerikaner nichts auszusetzen es sind sehr freudliche galante Menschen, nur die Deutschen hier gefallen mir noch nicht so recht, sie thun alle sehr hoch t[ra]gen, als könnten sie kein Deutsch mehr verstehen, sie thun als wenn sie
nichts von ihren Vaterland mehr wüßten, wir werden es aber nicht vergessen, denn ist auch schön im fremden Lande doch zur Heitmath wirds wohl nicht  (…) ich könnte Dir nun noch vieles vieles schreiben liebe Marie, aber ein an der mahl mehr, denn für Heute ist es (time to go to bed. i am wery tired. it is a quarter past one) übersetze das mal ins Deutsche, (…) Nun leb wohl liebe Marie es senden Dich die innigsten Grüße / von den ferne /
Westen Anni u Meini (…)

 (Ende 1886?)

Meine liebe Marie! What is the matter with you! (…) schreibst Du nicht, oder liegt die Schuld an mir? denn eine ewigkeit ist ja schon wieder verstrichen, seit wier nichts von einander gehört haben. Und jetz muß ich den doch wohl die erste wieder sein, wie geht es Dir dem noch Du liebe alte treue Seele, hoffenlich doch sehr gut, wie hast Du den schönen Sommer verlebt, hast Du viel vergnügen gehabt an der Seite Deines Geliebten? vergebens warte ich noch immer auf Euer Bild, hab Ihr es noch nicht machen lassen? oder ist es nicht über gekommen? Wann werdet Ihr Euch den Verreirathen? oder bist Du es schon gar? aber dan hättest Du mir es wohl wissen lassen. ich schreibe da nur so auf loos ob Deine Adresse noch die selbe ist weis ich auch nicht, doch hoffenlich wirst Du diese Zeilein richtig erhalten. Was mich anbetrifft so geht es mir hier noch immer sehr gut im fremden Lande, ich bin Gesund Dick und fett, muß zuweilen tüchtig Arbeiten, mag dafür aber auch gerne was Essen, z B, heute habe ich mir fast den Magen überladen, es ist hier heute nämlich ein Festtag, denn sogenanten Danksagungstag. Da giebt es hier bei Arm und Reich ein großes Dinner, auf jeden Tisch prangt der Truthahn und alles Genüse was es nur giebt wird aufgetischt, und zuletzt noch den großen Englishen Plum-Puddign, und dann guten Apetit, nur hinein gehaut wer Lust hat, Und nacher Danken wir das es uns alles geschmeckt hat. (…) Gestern war meine Freundin Anna hier bei mir, wir beide halten noch immer fest zusammen in Freud und Leid, diesen Somer haben wir beide eine stürmische Zeit mit durchgemacht, wir waren weit von ein[ander] entfernt, wir haben uns hir auch schon viele andere Freunde erworben, und fühlen uns grade so zu Hause wie in Hamburg, zuweilen kennen wohl Augenblicke wo wir uns nach unsere Nordischen Heimath zurück sehnen, doch so schnell wie die Gedanken kommen, verschwinden sie auch wieder, denn das Welt-Meer ligt daschwischen. Am 16 December sind wir beide zu Ball eingelanden, hurah! Da wollen wir noch mal Tanzen, und son kleinen aus der Pulle giebt es den auch nebenbei, wir freuen uns schon sehr darauf, den viel von diesen Vergnügen hat man hier ja nicht, da hier keine öffenliche Tanzlokale sind, mann verbringt die Zeit im Bekanten kreis und ammüsiert sich da so gut wie es geht, die Mädchen kommen hier viel mehr aus wie drüben, ein um andern Sontag und wo drei und vier Mädchen sind, gehen zwei auf einen Tag aus, und den hat man auch noch einen Tag in der Woche wo man gleich nach dem Früstük fort gehen kann, ich bin hier noch mit zwei andere Mädchen zusammen, die eine ist eine Irlanderin und die andere kömt von Wales, es sehr nette Mädehen, man kömt hier mit Menschen aller Nationen zusammen, schwarze sind hier Rasen viel, es sind ganz hübsche Kerle darunter, Die Chinesen haben hier alle eine Wäscherei, die kleinen Mänschen mit Ihren langen Zopf sehen drollig aus, ein Chinese hat mir auch das Oberhemden bügeln gelernt, wir haben uns sehr dabei gelacht den die sprechen das Englishe so schlecht das es sehr schwer ist sie zu verstehen, bei mir ist es schon ganz einerlei, ich spreche das Englishe schon grade so wie Deutsch. Liebe Marie jetz ist bald das schöne Weihnachtsfest vor die Thür, Du kanst Dich freuen, denn die großartigen Geschenke die Ihr bekomt stimmen mit unser nicht überein, hier wird nicht viel um Weihnachten gegeben, man muß grade so schaffen wie jeden anderen Tag, Anna und ich wollen dieses Jahr uns selber einen Tannenbaun wieder aufziehren. (…) ich möchte Dir wohl noch vieles fragen. liebe Migge aber es wird Dir zu langweilig werden, ich hoffe das ich bald ein Lebenszeichen von Dir erhalten werde, und das Du mir dann recht viel neues schreibst, hörst Du! ja! auch ich möchte mit Dir noch immer so fort plaudern, doch viel neues weiß ich nicht mehr, auch wird es schon spät. Vor einiger Zeit haben wir hier eine große Parade gehabt, alles Millitär aus
den Vereinigten Staten war in New-Jork versammelt, es ist nämlich da die
Königin der Freiheit eingeweiht worden, es ist dieses eine große Statute ein
Geschenk der Franzosen an Amerika.

 Secaucus den 16 Märtz 1888

Meine liebe Marie! Heute schon fünf Monate verheirathet, und noch Deinen letzten lieben Brief nicht beantwortet, gewiß wirst Du Denken, das ich Dich jetz in all mein Glück vergessen habe, aber noch lange nicht liebe Marie, Hättest Du so viele Briefe erhalten wie ich an Dir gedacht habe, Du köntest sie gewiß nicht mehr zählen, Wie geht es Dir den noch Du liebe Seele? doch hoffeniich gut, (…) Jetz möchtest Du auch wohl gerne wissen wie es mir geht, ich muß Dir sagen mir geht es außerordenlich gut, denn ich habe ja solchen guten Mann bekommen, wir beide leben so glücklich und zufrieden miteinander, anbei schicke ich Dir auch unser Bild, mein Mann ist es ganz und gar selbst, ich sehe mich nicht besonders ähnlich. Wie ist es doch schade liebe Marie das wir so sehr weit von einander entfernt sind, ich möchte Dir so Tausen Dinge erzählen, welche ich unmöglich alle niederschreiben kann. Auf meiner Hochzeit waren wir alle sehr vergnügt, es an 30 Personen da, auch habe ich sehr schöne Geschenke bekommen, von meiner letzten Herschaften einen silbernen Fruchtkorb silberne Zuckerdose und silberne Butterdose, ferner von andere Bekanten, ein Eßservise für 12 Personen, 2 schöne Lampen, 2 prachvolle Blumenvasen, 1 schöne Teppich, Tischdecke und Tischtuch mit Servietten für 24 Personen, und viele andere kleinigke mehr von Anna ihre Schwägerin habe ich Kranz und Schleier bekomen welches mir damals ganz gut stand, auch habe, einen schönen Hausstand in meinen besten Zimmer habe ich dunkel rothe geblümte Plüschmöbeln alles so nett und schön zwei Zimmer habe ich ganz mit Teppich ausgelegt. Liebe Marie wenn die Zeit auch wohl nie kommen wird, wo ich Dich im meinen Heim mal begrüßen kann, so hoffe ich doch stark, das wir uns dereinst doch noch wieder sehen werden, denn mein Mann hat eben solche große Sehnsucht Deutschland noch mal wieder zu sehen wie ich, doch ein paar Jahre müssen wir uns noch gedulden, und noch erst plente monney [viel Geld] machen, das heißt wenn
unser Geschäft gut geht. (…) Mehr wüßte ich für dieses mal nicht was Dich noch intressircn könnte schreibe nur recht bald wieder und mache es nicht wie ich, ich will mich auch künftighin bessern, Leb Wohl seie gegrüßt herzlich und denke zuweilen Deiner Freundin Marrie Mrs Minnie Denker (…)

Quelle

Helbich, W./Kamphoefner, W.D./Sommer, U. (Hrsg.): Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt 1830-1930. München 1988, S.554-560 u. 568f/ S. 560ff., 564f. u. 568f.