Die Erziehung jüdischer Kinder

Aus einem amtlichen Bericht aus dem Jahr 1811 über die Erziehung jüdischer Kinder im Herzogtum Nassau: Die Erziehung ihrer Kinder war ihnen bisher gänzlich überlassen. An dem Unterricht in den hiesigen deutschen Bürgerschulen haben dieselben ihre Kinder keinen Teil nehmen lassen, so wenig als die Juden in den Dorfschaften umher an dem Unterricht der daselbst etablierten öffentlichen Schulen, sondern es werden überall von denen, die es können, Hauslehrer gehalten, welche gemeiniglich mit mehr Auswahl genommen werden und mehr oder weniger geschickt sind, je nachdem solche bezahlt werden können. Dahier haben bisher sämtliche Judenfamilien gemeinschaftlich einen Lehrer gehalten und reduziert sich dessen Hausunterricht auf die unselige Unterweisung in der verdorbenen hebräischen Sprache, dem Schreiben und Verstehen derselben. Doch findet sich nunmehr dahier ein jüdischer Lehrer, Marcus Seligmann, welcher nicht nur selbst sich, teile dahier noch, eine besserer Bildung als die gewöhnlichen jüdischen Schullehrern sonst eigene zu geben gesucht, sondern auch die die seiner Schüler sich angelegen sein lassen hat.
Die sämtlichen hiesigen Juden haben aber schon von dem Gymnasio guten Gebrauch gemacht. Die vier Brüder Herz haben das Gymnasium frequentiert und erheben sich daher auch gar sehr in ihrer Kultur und literarischem Wissen über viele andere. Es ist dermalen keiner unter ihnen, der nicht seine Knaben, wann sie den ersten Unterricht der Hauslehrer genossen haben, in das Gymnasium schickte.
Es wäre aber zu wünschen, daß die Juden ihre Kinder auch die niederen bürgerlichen Schulen schickten, wo sie jedoch von den Stunden, in welchen Religionsunterricht gegeben wird, dispensiert werden könnten und daß besonders ihr elender Jargon von Hebräisch ganz aus ihren Religionsausübungen entfernt würde und dagegen die Erlernung der echten oder alten reinen hebräischen Sprache nur zu den Studien der Geistlichen gehörte. dahier= hier; dermalen = jetzt; frequentiert= besuchen; dispensiert = erlassen; Jargon = allg. ungepflegte Aus-drucksweise, hier abwertende Bezeichnung für die jiddische Sprache

Arbeitsauftrag

1. Schreibe einen Zeitungsartikel, der über die Veränderungen in der Erziehung jüdischer Kinder berichtet. 2. Erläutere, welche Bedeutung der Sprache in der Schule zukommt. Welche Sprache wird besonders hervorgehoben? Warum?

Quelle

Peter Haberkorn, Der lange Weg zur Gleichberechtigung. Die Emanzipation der Juden im Herzogtum Nassau 1806-1866. Wiesbaden 2004. (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 20), S. 18f. <link typo3 peter der lange weg zur gleichberechtigung. die emanzipation juden im herzogtum nassau wiesbaden kommission für geschichte in hessen s. http: www.kgj-hessen.de files publikationen texte>
www.kgj-hessen.de/files/publikationen/texte/9_Haberkorn.pdf