Textquelle: Die Revolutionierung der islamischen Gebiete

Max von Oppenheim

Infos zum Autor: Max Freiherr von Oppenheim (1860-1946) war ein deutscher Diplomat, Orientalist und Archäologe. Während des Ersten Weltkrieges war er im Auswärtigen Amt in Berlin, wo er die „Nachrichtenstelle für den Orient“ gründete, sowie in Istanbul tätig. Sein Einsatz für einen Glaubenskrieg der Muslime gegen ihre Kolonialherren trug ihm unter den Arabern den Beinamen Abu Dschihad (= Vater des Heiligen Krieges) ein.
 

Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde

„[…] In dem uns aufgedrängten Kampfe gegen England, den dieses bis aufs Messer führen will, wird der Islam eine unserer wichtigsten Waffen werden. Egypten[1] und Indien sind die Achilles-Ferse des seegewaltigen britischen Kolosses. Darum hat auch England schon seit langem alles getan, uns davon abzubringen Fühlung mit den ihm so gefährlichen panislamischen[2] und nationalistischen Bewegungen des Orients zu halten.

[…] Aber der Boden für eine Erhebung des Islam gemeinsam mit uns war schon genügend vorbereitet. Seine Majestät der Kaiser und König hat vom ersten Augenblicke an die Wichtigkeit dieses Momentes erkannt und in weiser Fürsorge die Möglichkeit einer Benutzung der muhammedanischen Völker durch die dem Islam stets bezeugte Achtung und die seinen Anhängern erwiesenen Freundlichkeiten und Hilfen dauernd gefördert. Wie ich mich aus meinem 20 jährigen Aufenthalt im Orient überzeugen konnte, genießt unser gnädigster Kaiser und Herr in allen Teilen der islamischen Welt ein ungeheures Ansehen und allgemeinste, tiefgehende, aus dem Herzen kommende Verehrung. Immer wieder wurde ich in Egypten, im Innern Mesopotamiens, an der Peripherie des türkischen Reiches, in Tunesien und Algerien auf die Worte Seiner Majestät angesprochen, in welchen die 300 Millionen Muhammedaner der Kaiserlichen Freundschaft versichert werden. Bei dem patriarchalischen Sinn der orientalischen Völker ist es gerade diesem Umstande in erster Linie zu danken, daß bei Beginn des jetzigen Krieges vom ersten Augenblick an die Türkei, Persien, Egypten und die anderen islamischen Länder bis in die breitesten Schichten für Deutschland Partei genommen haben. Nicht nur in der Türkei und in Egypten, sondern selbst in Persien und sicherlich auch anderweitig ist für den Kaiser und den Sieg der deutschen Waffen in den Moscheen gebetet worden.

[…] So ist die Stimmung, zunächst des türkischen Volkes, dann aber auch unzwei­felhaft der ganzen Welt des Islam in dem gegenwärtigen weltgeschichtlichen Augen­blicke, in dem der größte Krieg der Erde entbrannt ist, und auch zum ersten Male wieder seit Jahrhunderten der Gesamtislam zum Kampfe gegen den Feind aufgerufen wird, diejenige aufrichtigster Freundschaft für Deutschland, freudigster Waffenbrüder­schaft mit uns. Der heilige Krieg ist jetzt vom Sultan Chalifa gegen die Feinde Deut­schlands erklärt. Die Welt des Islam und die europäischen Zentralmächte kämpfen gemeinsam, Schulter an Schulter, um ihre Existenz.

[…] Wir dürfen nicht vergessen, daß unsere Feinde jetzt alles daran setzen werden, sich im Orient zu wehren und die Türken niederzukämpfen. Bis jetzt hatte unsere auf die möglichste Hebung des Kriegswertes der Türkei hinzielende Arbeit mit dauernden Intrigen unserer Gegner und gewissen in der orientalischen Psyche begründeten Widerständen zu kämpfen. Mit der Psyche des Orients haben wir auch in der Folge zu rechnen. Es gilt, vor allem in Konstantinopel, die gegenwärtige Situation auszunutzen und auf der ganzen Linie für ein Einsetzen unserer Unterstützungen Ellenbogenfreiheit zu gewinnen, vor allem aber die Türken selber dazu zu bringen, unsere Hilfe in der von uns gewollten Weise anzunehmen und unsere Ratschläge zu befolgen.

Organisationen sind stets die schwache Seite der Türken gewesen. Das hat sich zu ihrem Verderben in ihren sämtlichen letzten Kriegen gezeigt. Zielbewußte Organisierung der Vorbereitung zur kriegerischen Aktion, die Propaganda durch die ganze islamische Welt usw. ist aber gerade jetzt vonnöten, zumal da es gilt, in kurzer Zeit alles Mögliche nachzuholen. […]

[…] Vor allem aber hoffe ich, daß der Endausgang des Krieges nach allen Richtungen hin für uns ein glücklicher sein wird. Ich wage es auszusprechen, daß eine der Vorbedingungen hierfür sein wird, daß wir jetzt dem Orient die erforderlichen Hilfsmittel rasch und genügend zuteil werden lassen.

[…] Auch die wirtschaftlichen Konsequenzen werden alsdann immense sein. Alle ausgelegten Mittel, soweit sie nicht vom Feind als Kriegsentschädigung den Türken (zur Rückzahlung an uns) erstattet werden, würden gering erscheinen. Der Orient wird uns Absatzgebiete eröffnen, die wir in anderen Ländern verloren haben, und uns die enormen, zum Teil noch unberührten, Hilfsquellen seiner Bodenschätze zur Verfügung stellen. Es wird dann wirklich möglich sein, ohne die Eifersucht und die Nörgeleien der Gegner und das Mißtrauen der Orientalen selber, die Entwicklung der Türkei und anderen Länder, in deren und in unserem Interesse, zu fördern.

Zukünftige Entwicklung. […]

In erster Linie haben wir gegenwärtig an unsere Selbstverteidigung zu denken, den Islam für uns auszunutzen und diesen jetzt nach Kräften zu stärken. Die Perfidie unserer Gegner gibt uns zudem das Recht, zu jedem Mittel zu greifen, das zu einer Revolutionierung der feindlichen Länder führen kann. Ich glaube nicht, daß wir später das Gefühl der Enttäuschung bei unseren jetzigen Freunden zu befürchten haben. Die islamischen Völker würden doch alles verlieren, wenn wir unterliegen, sie können durch unseren Sieg nur gewinnen. […]

Das Eingreifen des Islam in den gegenwärtigen Krieg ist besonders für England ein furchtbarer Schlag. Tun wir alles, arbeiten wir vereint mit allen Mitteln, damit derselbe ein tödlicher werde!“
 


[1] Hier handelt es sich um eine alte Schreibweise von Ägypten, die bis 1901 gültig war.

[2] Fußnote aus dem Originaltext: „panislamisch: die Einheit aller islamischen Völker erstrebend.

Arbeitsauftrag

Erarbeitet aus der Quelle Antworten auf die Frage „Warum bemühten sich die Deutschen um die Muslime?“.

Quelle

Kopetzky, Steffen (Hg.). Max Freiherr von Oppenheim: Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde, Berlin: Verlag Das kulturelle Gedächtnis, 2018, 87–94.