Textquelle: Bundespressekonferenz

Bundespressekonferenz, Freitag, 10. Juli 2015

(Kontext: Im Format der Bundespressekonferenz stellen sich die Vertreter*innen der verschiedenen Ministerien regelmäßig Fragen von Journalist*innen. Am 10. Juli 2015 wurde im Zuge der damaligen Debatten nach dem Deutsch-Herero-Krieg gefragt. Dr. Martin Schäfer ist der Vertreter des Außenministeriums; Steffen Seibert ist Pressesprecher der Bundeskanzlerin.)
 

„Frage: […] Es gibt im Moment neue Initiativen und neuen Druck auf die Bundesregierung, die Massaker an den Herero und Nama tatsächlich auch als Völkermord zu bezeichnen. Wie groß ist die Chance, dass die Bundesregierung ihre Haltung dazu ändert?

Dr. Schäfer […] Wir haben […] die Debatte der letzten Tage […] sehr aufmerksam verfolgt. […] Erst einmal ist die Grundlage für alles Tun und für unser politisches Handeln der Leitsatz, dass sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund des grausamen Kolonialkriegs des Deutschen Reiches in Südwestafrika ausdrücklich zu einer besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia und seinen Bürgern und ganz besonders der Herero, der Nama, der San und der Damara bekennt. […]

Herr Steinmeier hat gleich zu Anfang seiner zweiten Amtszeit als Außenminister das Thema der Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte in Deutsch-Südwestafrika und der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft mit Namibia aufgenommen. Schon vor mittlerweile mehr als einem Jahr hat er seine namibische Amtskollegin hier in Berlin begrüßt, mit ihr ein langes Gespräch geführt und insbesondere vereinbart, einen politischen Dialogprozess in Gang zu setzen […]. Damit wollen die beiden Minister zusammen einen Beitrag dazu leisten, auch die jetzt noch spürbaren Folgen der Kolonialzeit in Namibia zu überwinden. Das Ziel dieses deutschnamibischen Dialogs ist es, gemeinsam eine würdige Form des Gedenkens und des Erinnerns an die damaligen Gräuel zu finden – ich wiederhole ausdrücklich: gemeinsam zu finden – und die bilateralen Beziehungen zwischen Deutsch­land und Namibia auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses über die Ver­gangenheit in die Zukunft zu führen.

[…] Es geht darum, gemeinsam die Zukunft zu gestalten, ohne dabei die Vergangenheit auszublenden. Das heißt aber natürlich nicht, dass eine historische und politische Einord­nung der Geschehnisse vor etwas mehr als 110 Jahren nicht als Grundlage für unseren zukunftsgerichteten Dialog von großer Bedeutung wäre. Deshalb ist ein wichtiger Teil der derzeit laufenden Gespräche zwischen dem Auswärtigen Amt, dem deutschen Außen­minister und den Counterparts innerhalb der namibischen Regierung selbstverständlich die Suche nach einer gemeinsamen Bewertung der schrecklichen Geschehnisse der Vergan­gen­heit. Diese Gespräche finden nicht im luftleeren Raum statt. Sie erfolgen natürlich in voller Kenntnis und auf der Grundlage einer seit Langem laufenden politischen und histori­schen Auseinandersetzung mit den damaligen schrecklichen Geschehnissen […]. Das ist seither die politische Leitlinie der damaligen Bundesregierung gewesen, auch die des jetzt amtierenden Außenministers. Das gilt natürlich auch als Grundlage für die laufenden Ge­sprä­che mit unseren Partnern innerhalb der Regierung in Namibia, mit denen wir unter anderem beabsichtigen, nach Abschluss der Gespräche eine gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen, die dann natürlich auch den Teil der Vergangenheit und der Sprache für eine gemeinsame Bewertung der Vergangenheit enthalten wird.

[…] Die Gespräche [des Afrikabeauftragten des AA, G. Schmidt] verlaufen sehr konstruktiv und sind auch gut vorangekommen, aber sie sind eben noch nicht abgeschlossen.

[…] Wir wünschen uns, dass diese Gespräche – die Gespräche zwischen der Bundes­regierung und der Regierung Namibias – weiterhin in […] einem Klima gegenseitigen Vertrauens erfolgen können. […]

Zusatzfrage: […] Mein Eindruck war bisher immer gewesen, dass die Aussage von Frau Wieczorek-Zeul 2004[1] eine Art – ich sage es einmal in Anführungszeichen - Ausrutscher gewesen ist. Von der Bundesregierung – korrigieren Sie mich – habe ich seitdem nichtmehr gehört, dass man das als ‚Völkermord‘ bezeichnet hat. Noch einmal die Nachfrage: Ist für Herrn Steinmeier klar, dass es sich damals um einen Völkermord gehandelt hat?

Herr Seibert, sozusagen eine Frage an den anderen Teil dieser Bundesregierung, weil erwähnt wurde, dass Herr Steinmeier das damals in der Opposition gefordert hat, das damals aber keine Mehrheit fand: Wie ist die offizielle Linie der Bundesregierung? War das damals ein Völkermord?

Noch die Frage: Wird man sich dafür offiziell entschuldigen, wie es ja gefordert wird?

Dr. Schäfer: Was ich vielleicht tun kann, um Ihre Frage zu beantworten, ist das, was ich gerade schon etwas generisch erwähnt habe, nämlich den Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion der Grünen vom 20. März 2012 an seiner entscheidenden Stelle einmal vorzutragen. Dann, glaube ich, spricht manches für sich.

Zusatz: Der interessiert mich aber gar nicht so wie die Haltung am heutigen Tage.

Dr. Schäfer: Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass genau das die Haltung des Außen­ministers ist und er diesen Antrag mit unterzeichnet hat.

Zusatz: Okay, dann legen Sie los!

Dr. Schäfer: Darf ich?

Zusatzfrage: Dann gerne!

Dr. Schäfer: Das ist lieb von Ihnen.

‚Der Deutsche Bundestag erkennt die schwere Schuld an, die deutsche Kolonialtruppen mit den Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf sich geladen haben und betont, wie Historiker seit langem belegt haben, dass der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 – 1908 ein Kriegsverbrechen und Völkermord war. Der Deutsche Bundestag betont die fortdauernde (...) Verantwortung Deutschlands für die Zukunft Namibias.‘

Seibert: Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Das heißt, das ist die offizielle Linie der Bundesregierung?

Dr. Schäfer: Das heißt […], dass das die Haltung der Bundesregierung ist, mit der sie in Gespräche mit der Regierung Namibias vor etwa einem Jahr mit dem Ziel eingetreten ist, ein gemeinsames Verständnis über das, was geschehen ist, zu gewinnen, das auch in Sprache zu fassen und dann irgendwann, wenn es denn fertig ist, zu publizieren und auf dieser Grundlage eine Sammlung von Projekten zu entwickeln, mit denen den auch heute noch spürbaren Folgen dieser im deutschen Namen begangenen Taten zwischen 1904 und 1908 beantwortet und begegnet werden kann. Das ist das Ziel.

Ich hatte gesagt, dass wir da noch nicht sind. Diese Verhandlungen laufen gut und sehr konstruktiv. Wir sind aber noch nicht so weit, dass ich Ihnen jetzt ein konkretes Datum nennen könnte, an dem etwa die Bundesregierung gemeinsam mit der Regierung Namibias eine solche Erklärung veröffentlichen könnte.

Frage: Herr Schäfer, ich habe es noch nicht ganz verstanden. Die Haltung, die Meinung der Bundesregierung ist: Ja, das war Völkermord.

Dr. Schäfer: Ich habe es Ihnen doch gerade so vorgelesen; in der Tat.

Zusatzfrage: Die Bundesregierung sagt: Das war Völkermord. – Das wäre ja jetzt eine Meldung.

Dr. Schäfer: Dann melden Sie es.“
 


[1] Heidemarie Wiecorek-Zeul war von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hier geht es um folgende Aussage von ihr: „Wir Deutsche bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich gela­den haben. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde.“

Quelle

„Bundesregierung für Desinteressierte: BPK-Folge vom 10. Juli 2015“, in: Jung & naiv, http://www.jungundnaiv.de/2015/07/10/bundesregierung-fuer-desinteressierte-bpk-folge-vom-10-juli-2015/, zuletzt geprüft am 11. Mai 2021.