Arbeitsmigrant*innen in der DDR

Aus dem Text „Arbeiten im Bruderland: Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammen­leben mit der deutschen Bevölkerung“ von Ann-Judith Rabenschlag:
 

„Offiziell waren die ‚ausländischen Werktätigen‘, die ab den 1960er Jahren in die DDR kamen, ‚Freunde‘, die eine Ausbildung erhielten, um anschließend beim Aufbau ihrer Heimat, den sozialistischen Bruderländern, zu helfen. Die Wirklichkeit sah jedoch oft anders aus.

‚Ausländische Werktätige‘: Die Einwanderer im Auswanderland

Die politische und gesellschaftliche Abgrenzung der frühen DDR gegenüber Westdeutsch­land und der westlich-kapitalistischen Welt wurde im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer buchstäblich zementiert und erfuhr erst im Laufe der 1980er Jahre eine gewisse Aufweichung. Bis zum Mauerbau verließen jeden Monat tausende junger Ostdeutscher die DDR in Richtung Westen.

Dennoch gab […] es auch in der DDR Zuwanderung. Die größte Gruppe unter den Einwan­derern stellten Arbeitsmigranten und -migrantinnen dar, die ab den frühen 1960er Jahren ins Land kamen und im offiziellen Sprachgebrauch als ausländische Werktätige bezeichnet wurden. […] Im Unterschied zur Bundesrepublik schloss die DDR ihre Anwerbeverträge jedoch ausschließlich mit anderen sozialistischen Staaten ab. Während die ersten Arbeitsmigranten aus Nachbarländern kamen, warb die DDR auf Grund des steigenden Bedarfs im Laufe der Jahre auch im außereuropäischen Ausland an. 1963 unterzeichnete die DDR ein erstes Abkommen mit der Volksrepublik Polen. 1967 folgte ein Vertragsabschluss mit Ungarn. Wenige Jahre später unterzeichnete die DDR bilaterale Verträge mit Algerien (1974), Kuba (1975), Mosambik (1979), Vietnam (1980) und Angola (1984). In geringem Umfang sandten die Mongolei (1982), China (1986) und Nordkorea (1986) Arbeitskräfte in die DDR.

Viele junge Männer und keine Wahlmöglichkeiten

In der Mehrheit handelte es sich bei den ausländischen Arbeitskräften um junge Männer. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen überwogen die Altersgruppen unter 35 Jah­ren. Im Vergleich zur Bundesrepublik und gemessen an der Gesamtbevölkerung war die Anzahl ausländischer Arbeitsmigranten in der DDR gering. Von den frühen 1960er Jahren bis hin zum Mauerfall im November 1989 lässt sich jedoch eine deutliche Zunahme verzeichnen, vor allem in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre kam es zu einem rasanten Anstieg der Anstellungszahlen. Für 1989 wird die Gesamtzahl ausländischer Vertrags­arbei­ter und Vertragsarbeiterinnen auf 91.000-94.000 geschätzt.

Die Anstellung der Arbeitskräfte erfolgte auf Grundlage bilateraler Verträge, in denen sich die DDR und das jeweilige Entsendeland über die Modalitäten des Arbeitseinsatzes verständig­ten. Der Arbeitseinsatz ausländischer Arbeitskräfte war also durchweg staatlich organisiert, die Anreise der Vertragsarbeiter erfolgte in Gruppen. Ebenso wie in den westlichen Industriestaaten übernahmen auch die ‚Gastarbeiter der DDR‘ vorrangig monotone, unge­lernte und in anderer Hinsicht unattraktive Arbeiten. Sie arbeiteten gehäuft im Schichtdienst, mit veralteter Ausrüstung, am Fließband, sowohl in der Leicht- und Schwerindustrie als auch im Kohleabbau. Ihren Wohnort durften die ausländischen Arbeitnehmer nicht eigenständig wählen. Ihre Unterbringung wurde stattdessen vom Einsatzbetrieb organisiert und erfolgte in Wohnheimen, in denen nur ausländische Arbeitskräfte wohnten. Auch die Belegung der Zimmer wurde von der Betriebsleitung organisiert, pro Zimmer wurden bis zu vier Bewohner untergebracht. Männer und Frauen wohnten voneinander getrennt. Eine Einlasskontrolle registrierte An- und Abwesenheit der Bewohner und eventueller Besucher.

Ein langfristiger Aufenthalt der ausländischen Vertragsarbeiter war nicht vorgesehen. Statt­dessen basierten die bilateralen Verträge auf dem sogenannten Rotationsprinzip, nach dem Arbeitsmigranten in der Regel nach maximal fünf Jahren wieder in ihr Heimatland zurück­geschickt und durch Neuankömmlinge ersetzt wurden. Vertragsverlängerungen waren theo­re­tisch möglich, bedurften jedoch der Zustimmung beider Staaten. Das Aufenthaltsrecht der ausländischen Arbeitskräfte war stets an ein bestehendes Arbeitsverhältnis geknüpft. Endete der Arbeitsvertrag, erlosch damit auch das Aufenthaltsrecht. Darüber hinaus konnten auslän­di­sche Vertragsarbeiter jederzeit vorzeitig entlassen und in ihre Heimatländer zurück­geschickt werden, wenn ihnen ein Verstoß gegen die ‚sozialistische Arbeitsdisziplin‘ zur Last gelegt wurde. Inwiefern ein solcher Verstoß stattgefunden hatte, lag im Ermessen des jewei­ligen Einsatzbetriebes.

‚Freunde aus dem Ausland‘

Nach Darstellung der DDR-Printmedien waren die ausländischen Vertragsarbeiter gut in die DDR-Gesellschaft integriert. Die Zugereisten, so der Tenor, hätten in der DDR eine ‚zweite Heimat‘ gefunden. Enge Bande zur einheimischen Bevölkerung seien geknüpft worden. In vielen Beiträgen werden Arbeitsmigranten schlicht als ‚Freunde‘ bezeichnet. Diese Darstel­lung entsprach dem Selbstverständnis der DDR als antifaschistischem Staat, der die braune deutsche Vergangenheit erfolgreich hinter sich gelassen hatte.

Ein näherer Blick auf die sprachliche Artikulierung dieses Wunschbildes zeigt jedoch, dass es hier nicht allein bei der Umsetzung in die Realität haperte. Eine Diskriminierung ausländi­scher Arbeitskräfte fand nicht nur im sozialpolitischen Umgang mit ihnen statt, sondern manifestierte sich bereits in den propagandistischen Thesen von Völkerfreundschaft und erfolgreicher Integration. Gleich auf mehreren Ebenen wird in der Berichterstattung der DDR-Presse über ausländische Arbeitskräfte ein Machtgefälle aufgebaut, das die Bürger der DDR als überlegen, die Zugewanderten als unterlegen darstellt. So werden DDR-Bürger in der Rolle des Helfenden, des Lehrers und Erwachsenen präsentiert, die Zugewanderten in der Rolle des Bedürftigen, des Schülers oder gar des Kindes.

Fast unüberwindbare Hürden für Liebe und Freundschaft

Nichtsdestotrotz gab es viele Arbeitsmigranten, die den nahen Anschluss an die DDR-Gesell­schaft suchten, und auf der anderen Seite DDR-Bürger, die versuchten, diesen Integrationswünschen zu entsprechen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Vielzahl bina­tio­naler Liebesbeziehungen. Eine rigide Gesetzgebung erschwerte diese Partnerschaften je­doch erheblich. So bedurften Eheschließungen zwischen DDR-Bürgern und Ausländern der Genehmigung beider Staaten. Und selbst in den seltenen Fällen, in denen eine Ehe­schlie­ßung genehmigt wurde, bedeutete dies für den ausländischen Partner kein Bleiberecht – auch dann nicht, wenn das Paar bereits gemeinsame Kinder hatte. Im Falle einer Schwan­ger­schaft wurden Vertragsarbeiterinnen in der Regel vor die Wahl zwischen Ausreise oder Abtreibung gestellt. Diese Regelungen wurden erst Ende der 1980er Jahre gelockert.“
 

Arbeitsauftrag

1. Definiere den Begriff „Arbeitsmigrant“.

2. Nenne die afrikanischen Länder, aus denen die Arbeitsmigrant*innen in die DDR kamen.

3. Beschreibe die Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigrant*innen in der DDR.

4. Beschreibe die Lebensbedingungen der Arbeitsmigrant*innen in der DDR.

5. Nenne Gründe, die eine Integration erschwerten.

Quelle

Gekürzte Version von Ann-Judith Rabenschlag, „Arbeiten im Bruderland: Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung“, in: Deutschland Archiv, 15. September 2016, https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/233678/arbeitsmigranten-in-der-ddr, zuletzt geprüft am 04.06.2021.