Dschihad made in Germany

Der „Heilige Krieg“ im Dienst für den deutschen Sieg im Ersten Weltkrieg

Von: Dr. Behrang Samsami, Thomas Felsenstein
Didaktisierung: Thomas Felsenstein

Sachinformation

Worum geht es?

Der Erste Weltkrieg ist ein Standardthema im Geschichtsunterricht in deutschen Schulen. Doch ob­wohl in dem Begriff das Wort „Welt“ steckt, war und ist der Blick im Unterricht stark auf den europä­ischen Kriegsschauplatz fokussiert, wie ein Blick in die deutschen Geschichtsschulbücher verdeutlicht. Von den militärischen Auseinandersetzungen etwa in Afrika oder im Atlantik erfahren Schüler*innen (S*S) hierzulande in den Schulen wenig. Und auch andere Schauplätze wie Iran und Afghanistan werden selten berücksichtigt, wenn es darum geht, die globale Dimension dieses Krieges, die eine Zäsur in der modernen Geschichte der Menschheit darstellt, zu erfassen und zu begreifen.

Wie global dieser Krieg war, zeigt auch ein Blick auf Zahlen: So waren beispielsweise rund 1,3 Milli­onen Menschen indi­scher Herkunft als Kolonialsoldaten oder Kriegsarbeiter in britischen Dien­sten, hauptsäch­lich auf Kriegsschauplätzen im Nahen Osten. Frankreich mobilisierte seine Kolonial­truppen vornehmlich auf dem afrikanischen Kontinent und setzte sie vor allem an der „Westfront“ ein.

In der damaligen deutschen Berichterstattung wurde dem Einsatz nichteuropäischer Soldaten an­fangs nicht viel Bedeutung beigemessen. Dann aber schlug der Ton um und der Einsatz wurde als moralisches Verbrechen an der europäischen Zivilisation bezeichnet und die Soldaten aus den alliierten Kolonien auch in Form von Unmenschen respektive Bestien dargestellt. Zugleich versuch­ten die Deutschen aber auch, muslimische Kriegsgefangene ab 1915 in zwei Sonder­lagern, dem „Weinberglager“ mit etwa 12.000 Männern aus Russland und dem „Halbmondlager“ für etwa 4.000 Soldaten aus den britischen und französischen Kolonien, durch kleine Privilegien sowie religiöse und politische Indoktrination für die Sachen der Osmanen und Deutschen zu gewinnen. Dafür wurde beispielsweise Anfang 1915 im Halbmondlager die erste Moschee auf deutschem Boden errichtet. Auch eigene Lagerzeitungen wie „El Dschihad“ wurden gedruckt. Es gab Lagerküchen und Werk­stätten, in denen die Kriegsgefangenen arbeiteten, sowie eine Bibliothek und Sportwettkämpfe, mit denen sie sich ablenken konnten – in einem ansonsten tristen Alltag hinter Stacheldrähten mit Heimweh, Hunger, Kälte und Krankheiten. Einige versuchten zu fliehen. 2.200 ließen sich für den Dschihad gewinnen – nur jeder Siebte der 16.000 Kriegs­gefangenen in beiden Lagern.

Das Deutsche Kaiserreich und das Osmanische Reich verfolgten mit der Strategie des Heiligen Krieges indes unterschiedliche Ziele. Während Berlin hoffte, dass die Aufstände von Muslim*innen in den britischen und französischen Kolonien sowie in Russland die Entente zwingen würden, Truppen von den europäischen Fronten abzuziehen und so ungewollt den Deutschen einen Vorteil zu verschaffen, wollte Istanbul die Muslim*innen weltweit unter osmanischer Führung zusammen­bringen – Stichwort Panislamismus – und seine Niederlagen im Italienisch-Türkischen Krieg 1911/12 und den Balkan-Kriegen 1912/13 durch Gebietsgewinne etwa im Kaukasus wieder wettmachen.

Dieses Unterrichtsmodul ist als Ergänzung zu einer konventionellen Unterrichtseinheit zum Ersten Weltkrieg zu verstehen. Es beabsichtigt, die S*S für die große Reichweite des Ersten Weltkrieges zu sensibilisieren, indem sie anhand eines Fallbeispiels einen neuen Blick auf die Geschehnisse erhal­ten. Im Fokus stehen die Bemühungen der deutschen Regierung, muslimische Kriegs­gefangene für die Strategie des Heiligen Krieges gegen die Alliierten zu gewinnen. Das Modul thematisiert die Hintergründe der damaligen deutschen Politik, den Islam für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, die Vorgehensweise der deutschen Regierung bezüglich der Behandlung und Indoktrination der muslimischen Gefangenen und untersucht, ob und mit welchem Erfolg die Muslime letztlich für die Mittelmächte und für den Heiligen Krieg gewonnen werden konnten.

 

Welche Materialien werden verwendet?

Zur Einführung in das Thema des Unterrichtsmoduls sehen sich die S*S das Video „Allahs verges­sene Krieger“ (Material 1) über die Lager in Deutschland, in denen muslimische Kriegsgefangene untergebracht wurden, an. Sie lernen unterschiedliche Bedeutungen des Begriffes „Dschihad“ ken­nen (Material 3 und 4), der in der Zeit des Ersten Weltkriegs geprägt, heute aber sehr verschie­den­artig verstanden wird. Im Rahmen einer Lernaufgabe (Material 6) erarbeiten die S*S mit Hilfe von Textquellen (Material 7-9), Bildmaterialien (Material 11 und 12), einen Lexikoneintrag (Material 10) und eine Tonaufnahme (Material 14) verschiedene Perspektiven auf das Thema. Ein Sachtext, der in einer optionalen fünften Unterrichtsstunde bearbeitet kann, regt die S*S gemeinsam mit einer dazugehörigen Aufgabenstellung (Material 15) zu einer geschichtskulturellen Reflexion an.

 

Materialien

Material 1:       Video – Allahs vergessene Krieger

Material 2:       Arbeitsblatt – Fragen zum Film

Material 3:       Quellen – Was bedeutet Dschihad?

Material 4:       Arbeitsblatt – Eine Definition von „Dschihad“

Material 5:       Arbeitsblatt – Der Kaiser und die Muslime

Material 6:       Arbeitsplan – Der Kaiser und die Muslime

Material 7:       Textquelle – Die Revolutionierung der islamischen Gebiete

Material 8:       Textquelle – Revolutionspropaganda

Material 9:       Textquelle – Die Gefangenen

Material 10:     Lexikoneintrag – Das Osmanische Reich

Material 11:     Landkarte – Das Osmanische Reich

Material 12:     Arbeitsblatt – Die Einstellung des Kaisers gegenüber den Muslimen

Material 13:     Arbeitsblatt – Wie ging es den Gefangenen im Halbmondlager?

Material 14:     Audiodatei – Mein Blut floss in Strömen

Material 15:     Arbeitsblatt – Kein “Dschihad made in Germany“ in unseren Schulbüchern

 

Weiterführende Literatur

Bernhard, Philipp, Susanne Popp und Jutta Schuman. Der Erste Weltkrieg – globalgeschichtlich betrachtet: Perspektiven für den Geschichtsunterricht (Historica et Didactica, Fortbildung Geschichte), St. Ingbert: Röhrig, 2019.

Fenn, Monika und Christiane Kuller (Hg.). Auf dem Weg zu einer transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014, (Formu Historisches Lernen), Schwalbach am Taunus: Wochenschau, 2016.

Höpp, Gerhard: Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wünsdorf und Zossen (Studien 6 / Zentrum Moderner Orient Berlin, Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V.), Berlin: Das Arabische Buch, 1997. https://archiv.zmo.de/publikationen/studien_6.pdf

Kaiser Wilhelm II. „Tischrede in Damaskus (8. November 1898)“, in: Ernst Johann (Hg.), Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II., München: dtv, 1977 (EA 1966) [dtv dokumente 2906).

Kreutzer, Stefan M. Dschihad für den deutschen Kaiser: Max von Oppenheim und die Neuordnung des Orients (1914-1918), Graz: Ares, 2012.

Roy, Franziska, Heike Liebau und Ravi Ahuja (Hg.): Soldat Ram Singh und der Kaiser: Indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern 1914-1918, Heidelberg: Draupadi, 2014.

Samsami, Behrang. „Die Seele massiert“, in: der Freitag, 22 (2014), https://www.freitag.de/autoren/behrang-samsami/die-seele-massiert, zuletzt geprüft am 29. September 2020.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.