In der Fremde

Migration und Integration in Medien und Kultur der 1960er- bis 1980er-Jahre

Von: Dr. Behrang Samsami
Didaktisierung: Martin Schlutow

Ablaufplan

  1. Stunde 1: "Wegen des Geldes" I: "Gastarbeiter" in der Presse

    1. Lernziele

      • Die Schüler*innen (S*S) analysieren einen Auszug aus dem Pressebericht „Per Moneta“ (Spiegel, H. 41/1946) im Hinblick auf die Darstellung von Wanderungsmotiven und Eigenschaften der „Gastarbeiter“ und gelangen dabei zu dem Sach­urteil, dass diese vor allem als anonyme, schlecht ausgebildete Masse in Erscheinung treten, die ausschließlich aus ökonomischen Motiven migrieren (Schwerpunktlernziel).
      • Die S*S entwickeln mit Hilfe des „Spiegel“-Titelbildes die Leitfrage der Unterrichts­sequenz, indem sie nach Selbst- und Fremdwahrnehmungen der „Gastarbeiter“ in Medien und Kultur der Bundesrepublik Deutschland fragen (Teillernziel).
      • Die S*S formulieren am Ende der Stunde erste Hypothesen für die Gründe der gewähl­ten Darstellung im „Spiegel“ und benennen Bildquellen als weitere wichtige Elemente zur Interpretation der Presseberichterstattung (Teillernziel).
    2. Vorbereitung

      • Im Vorfeld der Unterrichtssequenz sollten bereits wesentliche Sachkompetenzen zur Geschichte der Migration der „Gastarbeiter“ bzw. „Vertragsarbeiter“ in der Bundes­republik sowie der Deutschen Demokratischen Republik erworben worden sein. Dies betrifft (vor allem für die Bundesrepublik) insbesondere die Wanderungs­ursachen und den Verlauf von den ersten Anwerbeabkommen, über die Einwan­de­rungs­situation in den 1970er-Jahren bis zu dem als Fremdenfeind­lichkeit bezeich­neten Rassismus Anfang der 1980er-Jahre. In der weiterführenden Literatur findet sich ein gut verständlicher Text der Bundeszentrale für politische Bildung zur Ar­beits­migration in der DDR, der bei Bedarf vorab gelesen werden kann.
      • Eine Tafel oder ein Whiteboard steht zur Verfügung.
      • Die Lehrkraft fertigt ausreichende Kopien von den Materialien 1 und 2 an.
    3. 1 . Einstieg

      Dauer 15 min
      • Die Lehrkraft präsentiert das Titelbild des „Spiegel“-Heftes 41/1964 (Material 1) im Plenum und erteilt folgenden Arbeitsauftrag:​​​​​​ „Formuliere zu dem Titelbild des ‚Spiegel‘ zwei alternative Bildunterschriften; eine aus der Perspektive der ‚Spiegel‘-Redak­tion und eine aus der Perspektive der ‚Gast­arbeiter‘.“
      • Nach einer fünfminütigen Stillarbeitsphase präsentieren die S*S ihre Ergebnisse und formulieren auf dieser Basis eine Leitfrage, die beispielsweise wie folgt lauten könnte:
        Welche Selbst- und Fremdwahrnehmun­gen über „Gastarbeiter“ werden in Medien und Kultur der Bundesrepublik transportiert?
      • Die Lehrkraft notiert die Frage an der Tafel oder dem Whiteboard.
    4. 2 . Erarbeitung

      Dauer 25 min
      • Die S*S formulieren erste Hypothesen zur Beantwortung der Leitfrage und benennen das mögliche weitere Vorgehen in der Unter­richtseinheit.
      • Die Lehrkraft erläutert das geplante Vor­gehen der Einheit und dieser Stunde: zunächst liegt der Fokus auf der Presse­bericht­erstattung.
      • Die S*S analysieren arbeitsteilig in Part­ner*innenarbeit einen Auszug aus dem „Spiegel“-Artikel „Per Moneta“ im Hinblick auf die Wanderungsmotive und Charakteri­sierungen der „Gastarbeiter“ sowie die Inte­res­sen der Aufnahmegesellschaft an den „Gastarbeitern“ (Material 2).
      • Die S*S stellen ihre Arbeitsergebnisse im Plenum vor. Die Lehrkraft sichert die Be­funde zu „Gastarbeitern“ und Aufnahme­gesellschaft in einer Tabelle.
    5. 3 . Sicherung

      Dauer 5 min
      • Im Plenum diskutieren die S*S folgende Fragen:
        • Welche weiteren Aspekte sollten bei der Interpretation von Presseberichten im Geschichtsunterricht berücksichtigt werden?
        •  
        •  
        • Warum stellt der „Spiegel“ die „Gast­arbeiter“ vor allem als anonyme Masse dar, die „Per Moneta“ in die Bundes­republik kommt?
      • Erwartungshorizont:
        ​​​​​​​
        Hier sollten die S*S erstens herausstellen, dass auch die Bebilderung solcher Presse­berichte Aufschluss über Selbst- und Fremd­wahrnehmung der „Gastarbeiter“ geben kann. Zweitens sollten sie dafür sensibilisiert werden, dass der „Spiegel“ sich hier an eine bestimmte Leser*innen­schaft richtet, die für die Interpretation ebenfalls zu berücksichtigen ist.
  2. Stunde 2: "Wegen des Geldes" II: Bilder von "Gastarbeitern"

    1. Lernziele

      • Die S*S erarbeiten eine Bildinterpretation zu einer ausgewählte Fotografie zum „Spiegel“-Artikel „Per Moneta“ und gelangen dabei zu dem Sachurteil, dass die Bild­quelle einerseits die Darstellung der „Gastarbeiter“ als anonyme Masse unter­stützt und andererseits darauf schließen lässt, dass sich der „Spiegel“ mit diesem Artikel offenbar an eine überwiegend gebildete, und nichtmigrantische Leser*innen­schaft richtete (Schwerpunktlernziel).
      • Die S*S aktivieren ihr Vorwissen zur Darstellung von „Gastarbeitern“ und Aufnahme­gesellschaft im „Spiegel“-Artikel „Per Moneta“ und planen auf inhaltlicher und metho­di­scher Ebene den weiteren Arbeitsprozess (Teillernziel).
      • Die S*S reflektieren ihren Lernprozess auf inhaltlicher und methodischer Ebene und gelangen dabei u.a. zu dem Sachurteil, dass im untersuchten Pressebericht in erster Linie ökonomische Aspekte der „Gastarbeiter“-Migration relevant erscheinen. Die migrie­renden Menschen mit ihren individuellen Hoffnungen und Ängsten verschwin­den angesichts dieser Darstellung in der anonymen Masse (Teillernziel).
    2. Vorbereitung

      • Die Möglichkeit zum Projizieren von Bildern (Material 1 und 3) ist sichergestellt.
      • Die Lehrkraft fertigt ausreichende Kopien von Material 3 an und bereitet sich auf die Stunde vor, indem sie sich die wichtigen Punkte der Bildinterpretation im Ge­schichts­unterricht vor Augen führt.
    3. 4 . Einstieg

      Dauer 5 min
      • Die S*S rekapitulieren die Erkenntnisse und überlegen, wie sie weiter vorgehen könnten. Die Lehrkraft richtet den Fokus auf das Titelbild des „Spiegel“ H. 41/1964.
      • Gemeinsam formulieren sie eine Leitfrage für die Stunde, wie beispielsweise: Welche Rückschlüsse lässt die Bebilderung des „Spiegel“-Artikels auf die Darstellung der „Gastarbeiter“ und die Leser*innenschaft des „Spiegel“ zu?
    4. 5 . Erarbeitung

      Dauer 25 min
      • Die S*S rekapitulieren die grundlegenden Arbeitsschritte einer Bildinterpretation im Geschichtsunterricht.
      • Die S*S interpretieren in Gruppenarbeit die ausgewählte Fotografie des Artikels „Per Moneta“ (Material 3).
      • Die S*S präsentieren ihre Ergebnisse im Plenum. Die interpretierten Bildquellen sollten dabei dem gesamten Plenum präsentiert werden.
    5. 6 . Sicherung

      Dauer 15 min
      • Die S*S reflektieren den methodischen Nutzen einer kombinierten Text- und Bild­quelleninterpretation bei der Untersuchung historischer Presseberichterstattung.
      • Die S*S reflektieren ihren Erkenntnis­gewinn auf inhaltlicher Ebene.
      • Impulse:
        • Welcher Eindruck von „Gastarbeitern“ wird erweckt?
        • Werden sie in ihrer Individualität dargestellt?
        • Was erfahren die Betrachter*innen über „Gastarbeiter“, welches Bild wird gezeichnet?
      • Erwartungshorizont:
        In der Diskussion können die S*S zu dem Sachurteil gelangen, dass die Bildquelle einerseits die Darstellung der „Gastarbei­ter“ als anonyme Masse unterstützt und andererseits darauf schließen lässt, dass sich der „Spiegel“ mit diesem Artikel offen­bar an eine überwiegend gebildete und nichtmigrantische Leser*innenschaft rich­tete.
  3. Stunde 3: "Es kamen Menschen an": Migrantische Selbstzeugnisse in Musik, Kunst und Poesie

    1. Lernziele

      • Die S*S analysieren arbeitsteilig ausgewählte Selbstzeugnisse im Hinblick auf die Wahrnehmung der Einwanderungssituation zu Beginn der 1980er-Jahre aus der Perspektive migrantischer Stimmen. Dabei gelangen sie zu dem Sachurteil, dass die Werke bestehende Integrationsprobleme vor allem auf die rein ökono­mischen Motive der Anwerbung von Arbeitsmigrant*innen zurückführen und die fehlende Berücksichtigung sozialer Aspekte des Einwanderungsprozesses kriti­sie­ren (Schwerpunktlernziel).
      • Die S*S entwickeln eine Leitfrage nach migrantischen Stimmen zur Wahrneh­mung der „Gastarbeiter“-Migration in der Bundesrepublik (Teillernziel).
      • Die S*S erarbeiten mit Hilfe einer Rekapitulation des Erkenntnisprozesses in den vergangenen Stunden Urteilskategorien für die mediale Berichterstattung über „Gastarbeiter“-Migration zwischen den 1960er- und den frühen 1980er-Jahren (Teillernziel).
      • Die S*S erkennen, dass Arbeitsmigration auch weiblich war (Teillernziel).
    2. Vorbereitung

      • Es ist eine Tafel oder ein Whiteboard vorhanden.
      • Die Möglichkeit zum Projizieren eines Bildes (Material 4) ist vorhanden.
      • Die Lehrkraft fertigt ausreichende Kopien von den Materialien 5 bis 7 an.
    3. 7 . Einstieg

      Dauer 5 min
      • Die Lehrkraft präsentiert den S*S ein Foto zweiter „Gastarbeiter“ aus dem VW-Werk Salzgitter (Material 4). Die S*S erläutern, wie das Bild auf sie wirkt und benennen die ausgeführten –  vor allem aber die nicht ausgeführten – Tätigkeiten der abgebilde­ten Personen.
      • Impulse:
        • Wie wirkt das Bild auf euch?
        • Welche Tätigkeiten üben die gezeigten Personen aus?
        • Fällt euch auf, was sie nicht tun?
      • Erwartungshorizont:
        In der Diskussion wird deutlich, dass die beiden „Gast­arbeiter“ ihre Tätigkeit offen­bar schwei­gend ausführen. Um ihre Pers­pek­tive auf die „Gast­arbeiter“-Migration ausdrücken zu können, sind sie jedoch auf ihre Stimme angewiesen.
      • Das führt die S*S beispielsweise zu folgender Leitfrage: Wie nahmen die „Gastarbeiter“ selbst ihre Situation in der Bundesrepublik wahr?
    4. 8 . Erarbeitung

      Dauer 25 min
      • Die Lehrkraft erklärt, dass ein Blick auf kulturelle Werke aus migrantischer Pers­pek­tive zur Beantwortung der Frage erhellend ist. Sie weist darauf hin, dass die vorliegenden Materialien – anders als der zuvor untersuchte Pressebericht – nicht aus den 1960er-Jahren, sondern den frühen 1980er-Jahren stammen.
      • Die S*S untersuchen in Gruppen die Selbst­zeugnisse (Materialien 5-7) im Hinblick auf die darin be­nann­ten Integra­tions­hemmnisse. Material 6 liegt sowohl im türkischen Original als auch in deut­scher Übersetzung vor.
      • Die S*S reaktivieren ihr Vorwissen über Verlauf und Herausforderungen der Arbeits­migration und kontextualisieren auf diesem Wege ihre Analyseergebnisse.
    5. 9 . Präsentation

      Dauer 10 min
      • Die S*S stellen ihre Arbeitsergebnisse im Plenum kurz vor. Die Lehrkraft hält zentra­le Analyseergebnisse an der Tafel o.ä. fest.
    6. 10 . Sicherung

      Dauer 5 min
      • Die S*S rekapitulieren ihren Erkenntnis­prozess aus den vergangenen drei Stun­den und entwickeln auf diesem Weg Kate­gorien für den Schritt der Werturteils­bildung in der kommenden Stunde.
      • Impuls:
        • Wenn ihr auf die letzten Stunden zu­rück­schaut: Welche Kriterien müsste aus eurer Sicht ein gelungener Pres­se­bericht über die Arbeitsmigration zwi­schen den 1960er- und frühen 1980er-Jahren erfüllen?
      • Hinweis:
        Hilfreich erscheinen vor allem die Katego­rien Multiperspektivität, Multidimensiona­li­tät (mit einer Berücksichtigung politischer und ökonomischer, aber auch sozialer und emotionaler Aspekte) und Adressat*innen­bezug.
  4. Stunde 4: und 5: Geld oder Menschen? Urteile zur medialen Berichterstattung über die "Gastarbeiter"-Migration

    1. Lernziele

      • Die S*S verfassen einen Kommentar für eine heutige Ausgabe des „Spiegel“ zur Frage, wie über die Arbeitsmigration in der Presse berichtet werden sollte. Sie formulieren dabei ein eigenständiges Werturteil unter Berücksichtigung der Kategorien Multiperspektivität, Multidimensionalität und Adressat*innenbezug (Schwer­punkt­lernziel).
      • Die S*S formulieren auf Basis der Lektüre zweier Leserbriefe aus dem Heft 43/1964 des „Spiegel“ die Leitfrage nach einer Beurteilung der Pressebericht­erstat­tung über die „Gastarbeiter“-Migration im „Spiegel“ aus der heutigen Perspektive (Teillernziel).
      •  Die S*S prüfen und diskutieren in Kleingruppen die Zeitungskommentare ihrer Mitschüler*innen im Hinblick auf die argumentative Kohärenz, die Berücksichti­gung der Gattungskonventionen und die zuvor erarbeiteten Urteilskategorien (Teil­lernziel).
    2. Vorbereitung

      • Es ist eine Tafel oder ein Whiteboard vorhanden.
      •  Die Lehrkraft fertigt ausreichende Kopien von den Materialien 8 bis 10 an.
      • Eine Dokumentenkamera o.ä. steht zur Verfügung.
    3. 11 . Einstieg

      Dauer 10 min
      • Die Lehrkraft präsentiert den S*S konträre Aussagen zum Leben und Arbeiten in bei­den deutschen Staaten (Material 8).
      • Die S*S benennen die Unterschiede in den Urteilen.
      • Die S*S formulieren ein erstes Spontan­urteil über die Angemessenheit der Bericht­erstattung über die Arbeitsmigration in den Medien.
      • Die Lehrkraft unterstützt die S*S dabei, gemeinsam eine Leit­frage für die beiden kommenden Stunden zu entwickeln, die in etwa wie folgt lauten könnte: Wie sollte heute über die damalige Arbeits­migra­tion in der Presse berichtet werden?
    4. 12 . Erarbeitung I

      Dauer 35 min
      • Die S*S reaktivieren mögliche Urteils­krite­rien zur Beantwortung der Frage aus der vergangenen Stunde.
      • Die Lehrkraft weist darauf hin, dass sich für die im Mittelpunkt der nächsten beiden Stun­den stehende beurteilende Perspek­tive auf das Thema der Unterrichtseinheit innerhalb des Pressewesens das Format des Kom­mentars etabliert hat.
      • Die S*S tragen Gattungsmerkmale eines Zeitungskommentars zusammen. Die Lehr­kraft hält Merkmale des Kommentars auf Text-, Satz- und Wortebene an der Tafel o.ä. fest.
      • Die S*S verfassen in Einzelarbeit einen Zeitungskommentar über die angemes­se­ne Darstellung der „Gastarbeiter“-Migration in der Presse aus heutiger Pers­pektive mithilfe des Arbeitsblattes (Materi­al 9).
      • Hinweis:
        Der Kommentar kann ggf. als Hausarbeit fertiggestellt werden.
    5. 13 . Erarbeitung II

      Dauer 25 min
      • In Kleingruppen lesen und diskutieren die S*S die Textprodukte ihrer Mitschü­ler*in­nen im Hinblick auf die argumentative Kohä­renz, die Berücksichtigung der Gattungs­konventionen und die zuvor erarbeiteten Urteilskategorien auf Grund­lage eines weiteren Arbeitsblattes (Materi­al 10).
    6. 14 . Sicherung

      Dauer 20 min
      • Die S*S präsentieren ausgewählte Zeitungs­kommentare sowie ihre Diskussionsergebnisse im Plenum.
      • Die S*S diskutieren, inwiefern sich durch die Analyse historischer Quellen aus den Bereichen Medien und Kultur ihr Blick auf die gegenwärtige Berichterstattung über Migration und Integration verändert hat. Sie formulieren Hypothesen über Kontinu­ität oder Wandel der Berichterstat­tung in der Gegenwart.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.