In der Fremde

Migration und Integration in Medien und Kultur der 1960er- bis 1980er-Jahre

Von: Dr. Behrang Samsami
Didaktisierung: Martin Schlutow

Sachinformation

Worum geht es?

Die Begriffe „Migration“ und „Integration“ sind in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren immer stärker in den Fokus von Politik und Medien in der Bundesrepublik getreten.

Mit Blick auf die mitteleuropäische Geschichte im 20. Jahrhundert hat es Migration nach Deutsch­land allerdings immer wieder und auf sehr unterschiedliche Weise gegeben: Vor dem Ersten Weltkrieg sind Arbeiter*innen aus Italien und den polnischsprachigen Gebieten des damaligen Königreichs Preußen im kaiserlichen Deutschland beispielsweise in das Ruhrgebiet gezogen, um hier Geld zu verdienen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die NS-Kriegswirtschaft, Industrie und Landwirtschaft nur mit Hilfe von Millionen deportierter „Fremdarbeiter“ und Kriegsgefangener aufrecht­erhalten. Ihre Zahl stieg von 1,2 Millionen im Jahr 1941 auf 7,8 Millionen im Jahr 1944 – davon waren knapp fünf Millionen Russ*innen und Pol*innen.

Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg – mit besonderer finanzieller Unterstützung durch den Marshall-Plan der USA – und die folgende rasante Entwicklung erforderten mehr Arbeitskräfte als es damals in Westdeutschland gab. So warb die Bundesrepublik bereits seit Mitte der 1950er-Jahre Arbeiter*innen aus dem Ausland an. Deutschland unterzeichnete ab 1955 unterschiedliche Anwerbeabkommen. Dabei kamen im Zeitraum von 1955 bis 1973 etwa 14 Millionen Menschen zum Arbeiten in die Bundesrepublik. Etwa 11 Millionen von ihnen kehrten in ihre Herkunftsländer zurück. Unter anderem die anhaltende wirtschaftliche Krise in Folge der Energiekrise 1973 und der allmähliche Anstieg der Arbeitslosenzahlen seit Mitte der 1960er-Jahre in der Bundesrepublik führten zu einem Erstarken der NPD und zu rassistischen Übergriffen und Morden an nichtdeutschen Bürger*innen.

Einwanderung gab es auch in die DDR. Junge Menschen aus den sozialistischen „Bruder­ländern“ wie Kuba, Vietnam und Mosambik kamen in den „Arbeiter- und Bauernstaat“, wie sich die DDR nach ihrem Selbstverständnis bezeichnete, um hier zu arbeiten und Geld für zuhause zu sparen, eine Ausbildung zu machen und mit dem neu erlernten Wissen zurückzukehren. Heute geht die historische Forschung davon aus, dass insbesondere der zunehmende Arbeits­kräftemangel in der zentralistischen Planwirtschaft der entscheidende Grund für die Beschäf­tigung von Arbeiter*innen aus den „Bruderstaaten“ war.

Ebenso wie die Bundesrepublik gingen die Beteiligten auf Seiten der DDR und der Repräsen­tant*innen der jeweiligen Entsendeländer davon aus, dass es sich bei der Arbeitsmigration um eine zeitlich begrenzte Einwanderung handeln würde. In beide deutsche Staaten kamen nicht nur Arbeiter*innen und Auszubildende, sondern auch Student*innen aus vielen (auch nicht­europäischen) Ländern, die nach dem Uni-Abschluss entweder in ihre Herkunfts­länder zurück­kehrten oder sich entschlossen, in der BRD oder DDR zu bleiben.

Diese Unterrichtseinheit macht die Schüler*innen (S*S) mit der Wahrnehmung und Darstellung von Migration in deutschsprachigen Medien und kulturellen Werken in den 1960er- bis 1980er-Jahren bekannt und sensibilisiert sie für dieses Thema. Die Auseinandersetzung mit der Art und Weise der Darstellung von Arbeitsmigrant*innen ist ein wichtiger Teil deutscher Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus notwendig für ein Verständnis davon, wie heute in deutschsprachigen Medien und Kultur mit Migration und Integration, Vielfalt und Andersartigkeit umgegangen und was damit möglicherweise bewusst oder unbewusst beab­sichtigt wird.

 

Welche Materialien werden verwendet?

Als Grundlage dieser Unterrichtseinheit dient der Artikel „Per Moneta“ aus einer Spiegel­ausgabe von 1964, der in den ersten beiden Stunden u.a. in Hinblick auf die vermittelten Bilder und Narrative der dargestellten „Gastarbeiter“ und deutschen Arbeiter*innen analysiert wird. Der Text wird um eine Fotografie aus derselben Ausgabe des Magazins ergänzt, wodurch ein breiterer Kontext in die Analyse miteinbezogen werden kann (Materialien 1-4).

In der dritten Stunde wird ein Perspektivwechsel vollzogen, indem sich die S*S in Gruppen mit je einem anderen Selbstzeugnis beschäftigen (Materialien 5-7). Hierdurch wird der Blick auf die gemachten Erfahrungen der Arbeitsmigrant*innen in beiden deutschen Staaten gelenkt. Zur Verfügung stehen mit einem Lied, einem Gedicht und einer Karikatur unterschiedliche Genres und Produkte, die sich entweder auf die Situation in der Bundesrepublik oder der Deutschen Demokratischen Republik beziehen.

Den Abschluss bilden die vierte und fünfte Stunde, in denen die S*S mittels exemplarischer Leserbriefe und biografischer Aussagen von Arbeitsmigrant*innen aus den 1960er bis 1980er-Jahren der gegen­seitigen Wahrnehmung der Menschen genauer nachgehen können (Material 8). Auch hier werden beide deutschen Staaten berücksichtigt. Die Unterrichtseinheit schließt mit dem Genre des Zeitungskommentars, dessen Merkmale herausgearbeitet we­rden, sodass ein eigener Kommentar verfasst werden kann (Materialien 9 und 10).

 

Materialien

Material 1:       Bild – Titelbild des „Spiegel“ Heft 41, Jahrgang 1964

Material 2:       Arbeitsblatt – Pressebericht: „Gastarbeiter. Per Moneta“

Material 3:       Arbeitsblatt – Foto zum Pressebericht „Per Monetra“

Material 4:       Bild – Zwei ‚„Gastarbeiter‘“ im VW-Werk Salzgitter beim Motorenbau

Material 5:       Arbeitsblatt – Musikanalyse „Es kamen Menschen an“ (1984) von Cem Karaca

Material 6:       Arbeitsblatt – Gedicht „Mein Name ist Ausländer“ (1981) von Semra Ertan

Material 7:       Arbeitsblatt – Karikatur „Unser Ausländischster“ (1981) von Nabil El-Solami

Material 8:       Textquelle – Leben und Arbeiten in BRD und DDR

Material 9:       Arbeitsblatt – Einen Zeitungskommentar schreiben

Material 10:     Arbeitsblatt – Zeitungskommentare lesen, diskutieren und überarbeiten

 

Weiterführende Literatur

Berger, John und Jean Mohr. Der siebte Mensch. Eine Geschichte über Migration und Arbeit in Europa, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2016 [Erstausgabe 1975].

Frisch, Max. „Überfremdung I“, in: Hans Mayer und Walter Schmitz (Hg.), Gesammelte Werke in zeitlicher Folge: Fünfter Band: Mein Name sei Gantenbein: Kleine Prosaschriften: Zürich – Transit: Biografie: Ein Spiel, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976, 374–376.

Frisch, Max. „Überfremdung II“, in: Hans Mayer und Walter Schmitz (Hg.), Gesammelte Werke in zeitlicher Folge: Fünfter Band: Mein Name sei Gantenbein: Kleine Prosaschriften: Zürich – Transit: Biografie: Ein Spiel, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976, 377–399.

Pröstler, Katharina. Konstruktionen „fremder Männlichkeit“: Diskursive migrationspolitische und mediale Verschränkungen zur Zeit der „Gastarbeiter*innen-Bewegung“ am Beispiel des SPIEGEL-Magazins. Masterarbeit, Universität Wien, 2018, http://othes.univie.ac.
at/52789/1/55644.pdf
, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Pürckhauer, Andrea, Lorenz Paulina. „Welche Migration gab es in der DDR?“, in: Mediendienst Integration, 08. November 2019, https://mediendienst-integration.de/artikel/welche-migration-gab-es-in-der-ddr.html, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Rabenschlag, Ann-Judith. „Arbeiten im Bruderland: Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung“, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 15. September 2016, https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/233678/arbeiten-im-bruderland/, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Samsami, Behrang. „Die Ehe der Marianne Eschbach“, in: Jádu, 2017, http://www.goethe.de/
ins/cz/prj/jug/kul/de16526114.htm
, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Samsami, Behrang. „Kein schöner Land“, in: Jádu, 2017, http://www.goethe.de/ins/cz/prj/jug/
kul/de16493981.htm
, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Samsami, Behrang. „Erinnerung und Fragment: Interview mit Cana Bilir-Meier über ihre künstlerische Auseinandersetzung mit unsichtbaren und widerständigen Geschichten“, in: Politik & Kultur – Zeitung des Deutschen Kulturrates, 11 (2019), 12, https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2019/10/puk11-19.pdf, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Scharenberg, Albert (Hg.). Der lange Marsch der Migration: Die Anfänge migrantischer Selbstorganisation im Nachkriegsdeutschland, Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/US-IH-Marsch_Migration-web.pdf, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Schiffer, Sabine. „Mindestens 50 Jahre Migrationsdiskurs und kein Ende in Sicht: Von den Anfängen der 1960er Jahre bis heute – wie hat sich die mediale Berichterstattung und der Diskurs über Migration und Migranten in den vergangenen 50 Jahren gewandelt? Eine dreiteilige Zeitreise“, in: MiGAZIN, 07. September 2011, https://www.migazin.de/
2011/09/07/mindestens-50-jahre-migrationsdiskurs-und-kein-ende-in-sicht-teil-13/
, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Zentrum Antisemitismusforschung TU Berlin, out of focus medienprojekte. „Bruderland“, https://bruderland.de/, zuletzt geprüft am 14. September 2022.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.