Behindert sein oder behindert werden?

Die Bedeutung der Gesellschaft für Inklusion

Von: Dr. Carolin Bätge

Thema

Die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung in Regelschulen, aber auch in der Gesell­schaft im Allgemeinen, stellt ein Menschenrecht dar. Diese Unterrichtseinheit verfolgt das Ziel, Vielfalt mit dem Fokus auf Beeinträchtigung als „Normalfall“ der Gesellschaft zu zeigen. Die Schüler*innen (S*S) sollen mittels möglichst inklusiver und lebensweltnaher Materialien eigenständig Bilder von Menschen mit Beeinträchtigung im Laufe der Jahrhun­derte recher­chieren, sich mit verschiedenen Biografien auseinandersetzen und aktuelle mediale Darstel­lungen kritisch hinterfragen. Neben Bildern von und über Menschen mit Beeinträchtigung werden auch Perspektiven von Menschen mit eingebunden, die von Behin­derung betroffen sind.

***Dieses Gesamtmodul steht als PDF-Datei unter einer Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND zur Weitergabe bereit und wurde zuletzt am 28.03.2023 aktualisiert.***

Lehrplanbezug

Behinderung, Umgang mit behinderten Menschen, Behinderung durch Sinnesschädigung, Die Welt anders wahrnehmen, Identität und Rolle, Mensch und Gemeinschaft; Anderssein, Zusammenleben, Diskriminierung, Ausgrenzung und Toleranz; Leben in und mit Vielfalt in historischer Perspektive, Euthanasie; Chancen, Grenzen und Risiken von Medien

Erwartete Kompetenzen

Die S*S können sich in die Situation und Perspektive anderer versetzen (Mehrperspektivität); entwickeln die Kompetenz, in heterogenen Gruppen erfolg­reich und selbstständig zu handeln (Sozialkompetenz); verstehen Identität und Lebens­gestaltung im Wandel der modernen Gesellschaft: personale Identität und persönliche Lebensgestaltung im Spannungsfeld von Selbstverwirk­lichung und sozialen Erwartungen; können eigene Positionen entwickeln und begründen; können sprachliche Konstrukte kritisch analysieren; erkennen Diskriminierungsmecha­nismen und können diese auf andere Formen der Diskriminierung übertragen; entwickeln individuelle Werturteile mit Respekt gegenüber anderen; können moderne Medien (Internet) mit historischen Inhalten untersuchen und beherr­schen einen reflexiven und kritischen Umgang mit Medien (Medienkompetenz); Sie reflektieren Wertvorstellungen historischer Akteure, diskutieren Handlungsalternativen im histo­rischen Kontext, entwickeln Verständnis für das zeitlich Andere; ihre Urteils-, Orientierungs-, Handlungs- und Sozialkompetenzen werden gefördert.

Didaktische Perspektive

Zu Beginn dieser Einheit wird der zentrale Begriff der „Inklusion“ erläutert und von ande­ren für den Diskurs relevanten Begriffen abgegrenzt. „Inklusion“ meint die Einschlie­ßung [includere (lat.) = einschließen] und Einbeziehung aller Menschen. Allgemein steht soziale Inklusion für (das Recht auf) Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen Berei­chen, wobei Anerkennung, Wertschätzung und Partizipation(-smöglichkeiten) von Bedeu­tung sind.

Auf den schulischen Kontext übertragen bedeutet dies, dass alle S*S mit und ohne Beein­trächtigung (begriffliche Abgrenzung zu „Behinderung“ – siehe unten) zusammen unter­­richtet werden und der Fokus auf jede einzelne Persönlichkeit gelegt wird. Eine individuelle Förderung jedes Kindes, das mit all seinen Facetten wahrgenommen wird, ist ein wesent­licher Bestandteil. Ziel ist die Überwindung des Zwei-Klassen-Systems im Bildungs­wesen, dem ein eng gefasstes Inklusionsverständnis zugrunde liegt, das keine weiteren Diversi­tätsmerkmale miteinschließt.

Unterricht ist inklusiv, wenn alle Lernausgangslagen und Lernstile der S*S Berücksichtigung finden und das mit- und voneinander Lernen in der Gruppe durch die Lehr­kräfte gefördert wird. Ferner müssen alle Beteiligten sich mit der Vielfalt im Klassen­zimmer auseinander­setzen, diese anerkennen und die Teilhabe aller fokussieren. Die Lehr­kraft sollte darauf achten, dass einzelne von Beeinträchtigungen bzw. Behinderung betrof­fene S*S nicht zu Expertinnen und Experten gemacht und vorgeführt werden. Äuße­rungen hinsichtlich eigener Erfahrungen sollten immer auf Freiwilligkeit beruhen und nicht auto­matisch auf alle Betroffenen übertragen werden.

Für die Umsetzung von inklusivem Unterricht sind ein angemessener Personal­schlüssel, eine ausreichende Finanzierung und Ausstattung mit Sachmitteln, die Bereitschaft aller Mitarbeitenden zur inklusiven Arbeit, Teamarbeit der Lehrkräfte einschließlich guter Kommu­nikation und die Binnendifferenzierung als Ergänzung zum zieldifferenten Lernen notwendig. Hinzu kommen das Entwickeln einer Lernkultur zur Schaffung von Rahmenbedingungen für ein motiviertes, erfolgreiches Lernen, die Förderung sozialer Kontakte in der Klasse, das Lernen von- und miteinander durch heterogene Lerngruppen, das Beobachten der Lernpro­zesse der S*S durch das Abwenden von einer bloßen Ergebnisfokussierung, das Ermög­lichen indivi­dueller Lernwege, die Verwendung verschiedener Aufgabenformate und Differen­zierungen bspw. im Rahmen von Operatoren, Multimedialität und Sozialformen sowie ein gemeinsames Festlegen individueller Lernziele und Förderpläne.

Davon ausgehend werden in dieser Einheit verschiedene Sozialformen umgesetzt, die auch die Zusammenstellung heterogener Arbeitsgruppen ermöglichen, wobei die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Vordergrund stehen. Durch selbstständig durchzuführende Recherchen der S*S und die frei wählbaren Präsentationsmethoden kön­nen individuelle Stärken und Schwächen berücksichtigt werden. Bei der Auswahl der erklärenden Videos wurde auf eine sinnvolle Untertitelung Wert gelegt, die hörbeein­trächtigten S*S entgegen­kommt. Bei Youtube-Videos, die über keine Untertitel verfügen, können diese ggf. zusätzlich eingestellt werden. Zudem sind insbe­sondere die ersten beiden Videos leicht verständlich.

Die zwei Varian­ten der dritten und vierten Stunde fördern den binnen­differenzierten Unter­richt. Version A ist leichter zugänglich und orientiert sich stark an der Lebenswelt der S*S, während Version B einen höherschwelligeren Zugang ermöglicht und Medienkritik fokussiert. Die Lehrkraft kann hier entscheiden, welche Variante für ihre Lern­gruppe geeigneter erscheint. Da sich beide Versionen ähneln, ist mit kleineren Abänderungen auch eine Kombination beider möglich.

Ein Lernziel dieser Unterrichtseinheit ist die Sensibilisierung für die Thematik Inklusion und Beein­trächtigung/Behinderung. Es soll ein möglichst realitätsnahes, buntes, vielseitiges und nicht auf Leid reduziertes Bild gezeigt werden, wie es in vielen Schulbüchern und anderen Medien­formaten vorkommt. Daher werden zumeist (aber nicht ausschließlich) positive Beispiele angeführt. Dieser Aspekt ist für alle S*S sinnvoll, um den bisherigen, häufig nega­tiv konnotierten Darstellungen entgegenzuwirken. Darüber hinaus mangelt es betroffenen S*S oft an positiven Beispielen und Identifi­kations­möglichkeiten. Beeinträchtigung ist ein Teil von Vielfalt und analog zur Migration ein „Normalfall“ gesellschaftlicher Diversität.

Hinweis: Die gewählte Stundenstruktur muss nicht zwangsläufig eingehalten werden. Es kann förderlich sein, den S*S mehr Zeit und Freiraum zu geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Diese Einheit kann fächerverbindend unterrichtet werden und weist eine Anschlussfähigkeit zu den Fächern Geschichte, Sozialkunde und Ethik/Religion auf.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.