Postkolonial Erinnern

Die rassismuskritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialherrschaft

Von: Josephine Apraku, Dr. Jule Bönkost

Thema

Dieses Modul wurde im Rahmen des Projektes „Geschichten in Bewegung: Erinnerungspraktiken, Geschichtskulturen und Historisches Lernen in der deutschen Migrationsgesellschaft“ entwickelt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.


Das Modul beschäftigt sich mit der Erinnerung an den deutschen Kolonialismus: Es gibt Einblicke in die deutsche Kolonialherrschaft und thematisiert anhand von Denkmälern, Schul­büchern, Straßenbenennungen und Afrikabildern Formen der Erinnerung. Ziel der beiden Autorinnen, Josephine Apraku und Dr. Jule Bönkost ist es, die Schüler*innen (S*S) zu einer machtkritischen Auseinandersetzung mit Kolonialismus anzuregen. Sie lernen verschiedene Standpunkte im Diskurs um Erinnerung und Gedenken an die deutsche Kolonialzeit kennen und lernen, dass Erinnerungsdiskurse nicht neutral sind, sondern kontrovers verhandelt werden.

Lehrplanbezug

Kolonialismus, Diskriminierung, Rassismus, Krieg, Völkermord, Stereotype, Vorurteile, Gewalt und Ausgrenzung, Verantwortung, Solidarität, Medienkompetenz, Bildanalyse, kolon­ia­le Kontinuitäten, Erinnerungskultur, Globalisierung, europäische Identität, Völkermord

Klassen 7/8: Imperialismus und Erster Weltkrieg- europäische Machtstreben und Epochen­wende: Fenster zur Welt: den Imperialismus am Beispiel Afrikas charakterisieren und bewerten (Imperialismus, Kolonialreich, Rassismus), Wende zur Neuzeit – Vernetzung: Kolonialisierung

Klassen 11/12: Wege in die westliche Moderne; Wege in die Moderne; Diktaturen im 20. Jahr­hun­dert als Gegenentwürfe zur parlamentarischen Demokratie; Herrschaftsmodelle im 20. Jahrhundert: Bedrohung von Demokratie und Freiheit; West- und Osteuropa nach 1945: Streben nach Wohlstand und Partizipation; West- und Osteuropa nach 1945: Wege in die postindustrielle Zivilgesellschaft; Aktuelle Probleme postkolonialer Räume in historischer Perspektive

Erwartete Kompetenzen

Die S*S…

  • können den Erinnerungsdiskurs zur deutschen Kolonialzeit reflektieren.
  • können die Subjektivität von Erinnerungen erkennen und sind für die Einschreibung von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen in das kollektive Erinnern sensibilisiert.
  • wissen um wesentliche Ereignisse der deutschen Kolonialzeit.
  • kennen koloniale Spuren im öffentlichen Raum in der Gegenwart und können diese hinterfragen.
  • können eine postkoloniale Perspektive einnehmen.
  • wissen, dass geschichtliche Ereignisse und vergangene Verbrechen keine abge­schlos­senen historischen Geschehnisse darstellen, sondern bis heute vielfältige und tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft haben.
  • sind für den gegenwärtigen kolonialen Blick sensibilisiert und können erkennen, dass z. B. entwicklungspolitische Spendenplakate kolonial geprägte Vorstellungen zu „Afrika“ und Schwarzen Menschen[1] reproduzieren.
  • wissen um die Vielfalt auf dem afrikanischen Kontinent und dem Mangel einer adä­qua­ten Darstellung dessen in ihrer Lebenswelt.
  • können sich mit kolonialrassistischen Denkmustern kritisch auseinandersetzen.
  • können eine rassismuskritische Perspektive einnehmen und erkennen Diskriminie­rungs­mecha­nismen.
  • können in der Auseinandersetzung mit politischen Problemen eigene Urteile und Posi­tio­nen entwickeln und begründen.
  • können Materialien kritisch untersuchen und beherrschen einen kritischen Umgang mit Medien (Schulbücher).
  • können mediale Inhalte wiedergeben und aufgabengemäß bearbeiten.

[1] Die Bezeichnung bezieht sich auf eine durch rassismuskritische Forschung etablierte Bennenungspraxis, derzu­folge das Adjektiv schwarz mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben darauf verweist, dass es sich hier um eine selbst gewählte Eigenbezeichnung für Menschen handelt, die aufgrund ihrer Hautfarbe von Rassismus betroffen sind.

Didaktische Perspektive

Das Unterrichtsmodul geht der Frage nach, wie es um die Aufarbeitung der deutschen Kolonialherrschaft steht und welche Rolle die Vergangenheit in der Gegenwart spielt. Ziel ist es, eine postkoloniale Perspektive auf die heutige Gesellschaft und Erinnerungsdiskurse einzunehmen.

Die S*S sollen für den Einfluss von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen auf Geschichts­diskurse und das kollektive multiperspektivische Erinnern sensibilisiert werden. Multiperspek­ti­visch wird das Erinnern durch das Aufzeigen postkolonialer Perspektiven neben den tradierten Erzählungen in Schulbüchern und anderen Medien. Um nicht ausschließlich eine darin vorzufindende vorrangig weiße[1] deutsche Perspektive auf den deutschen Kolonialis­mus innerhalb des Moduls zu bearbeiten, beinhaltet das Modul entsprechend z. B. Materia­lien von Schwarzen Aktivist*innen.

Die ersten beiden Stunden sind sowohl für den Einsatz in der 7.-8. Klasse in Verbindung mit dem Thema „Imperialismus“ oder „Europäische Expansion und Kolonialismus“ geeignet als auch für die 11.-12. Klasse. Die vierte und fünfte Stunde sind Erweiterungen, die sich ausschließlich für die Oberstufe eignen.

Die erste Stunde des Moduls bietet einen Einstieg in das Thema Erinnerungskultur zum deut­schen Kolonialismus. Es beginnt mit einer Reflexion von Indikatoren, Formen und Anlässen des Erinnerns. Darauf folgt eine Kartenübung, die sich mit ausgewählten Aspekten der deut­schen Kolonialzeit befasst – sie regt die S*S dazu an, das Erinnern an die deutsche Kolonial­zeit kritisch zu hinterfragen. In einem weiteren Schritt analysieren die S*S anhand der Ergeb­nisse der Gruppendiskussion ihre Schulbücher im Hinblick auf die dort eingenom­mene Perspektive auf das deutsche koloniale Unterfangen.

Mit dem Material der zweiten Stunde, dem Dokumentarfilm „Deutsch-Südwas? Erinnerung an einen deutschen Völkermord“ (Filmgruppe E, 2013), wird die kritische Reflexion gängiger Erinnerungsdiskurse um die Perspektive Schwarzer Menschen ergänzt. Die S*S erhalten einen Einblick in die vielfältigen Kämpfe der Nachfahr*innen ehemals Kolonisierter im Hinblick auf eine kritische Kultur des Erinnerns zur Förderung einer solidarischen Haltung und solida­rischen Handelns.

Der dritte Teil des Moduls widmet sich der kritischen Beschäftigung mit Bildmaterial. Aus­gehend von unterschiedlichen Bildern des afrikanischen Kontinents werden die S*S dazu angeregt, die Bilder, die ihnen alltäglich in ihrer Lebenswelt begegnen, kritisch zu hinter­fragen. Die S*S werden dafür sensibilisiert, dass beispielsweise Spendenplakate oftmals einen kolonialen Blick reproduzieren.

Die vierte Stunde des Moduls behandelt einen weiteren Aspekt, an dem sich die verschie­denen Formen der Erinnerung materialisieren: Straßenumbenennungen. Mit dem abschlie­ßenden Rollenspiel lernen die S*S die Vielfältigkeit der Perspektiven auf das Thema deutscher Kolonialismus und den Umgang mit seinen Kontinuitäten kennen. Sie werden dazu angeregt, eine eigene kritische Position zu beziehen und im Sinne dieser zu argumentieren.
 


[1] Auch hier handelt es sich um ein durch die Critical Whiteness Studies entwickeltes Konzept, das darauf aufmerk­sam macht, dass es sich hier um Menschen handeln, die in vielen Gesellschaften eine privilegierte Stellung einnehmen, ohne diese durch ihr eigenes Handeln verdient zu haben und die aufgrund ihrer Hautfarbe nicht von Rassismus betroffen sind.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.