Bedeutung und Wirkung von NS-Gedenkstätten

Vor- und Nachbereitung einer Exkursion

Von: Jenni Farber, Kathrin Herold

Sachinformation

Worum geht es?

NS-Gedenkstätten sind „verunsichernde Orte“. Gedenkstättenpädagogik setzt nicht auf die reine Vermittlung von Fakten und Zahlen oder gar die moralische Belehrung der Besucher*innen. Ein Besuch an Orten der Verbrechen macht die Erinnerung für Schüler*innen (S*S) auf eine besondere Art und Weise erfahrbar. Er sollte Jugendliche aber weder schockieren oder in Bezug auf eigene Gewalterfahrungen (re-)traumatisieren, noch sollte er dazu führen sich in einer „Betroffenheit“ einzurichten. Die Beschäftigung mit dem National­sozialismus ist ein Prozess und das Wissen dazu kann nur nach und nach erworben werden. In diesem Sinne darf und soll der Besuch Verunsicherung produzieren. Aufgabe der Begleiter*innen des Besuches ist es dabei zu unterstützen, diese in Fragen zu kanalisieren. Gedenkstättenpädagogik beabsichtigt, die Geschichte(n) der Orte multiperspekti­visch erfahr­bar bzw. erfragbar zu machen, ausgehend von sichtbaren Spuren, Dokumenten und Medien. Die Zeit der Nachgeschichte, also der Geschichte, die einem Vorfall oder Ereignis folgt und davon beeinflusst ist, in ihren unterschiedlichen Phasen bis zur heutigen vergleichs­weise jungen staatlich integrierten Erinnerungskultur spielt dabei eine immer größere Rolle und hat längst Eingang in die Ausstellungen und Dokumentationen insbesondere an den großen KZ-Gedenkstätten gefunden. Im Umgang mit den historischen Tatorten lässt sich der Verfasstheit der lokalen Gesellschaften nachspüren.

Gedenkstätten wurden in einem sich verändernden gesellschaftlichen Umfeld erkämpft und ihre Wahrnehmung in Gegenwart und Zukunft hängt von gesellschaftspolitischen Faktoren ab. Gedenkstätten wurden und werden angegriffen, d. h. an ihnen manifestieren sich kontinuierlich Auseinandersetzungen um den Stellenwert von Erinnerung und Gedenken.

Die Frage nach der Gewordenheit von Gedenkkultur und Gedenkstätten bildet den Impuls, sich gemeinsam mit dem Sammeln von Fragen auf den Besuch vorzubereiten. Die S*S werden dazu ermutigt, sich selbst als handelnde/fragende Akteure zu begreifen und auf diese Weise die Exkursion aktiv mitzugestalten. Sie sind eingeladen, sich vor, während und nach der Exkursion selbst ihr Urteil zu bilden.

Nach der Exkursion liegt der Fokus auf den Fragen:

  • Können Gedenkstättenbesuche etwas bewirken?
  • Bleiben NS-Gedenkstätten relevant?
  • Was sind aktuelle Konflikte darum?
  • Welche Rolle spielt die Gegenwart in Bezug auf diese Vergangenheit bzw. welche Rolle spielt die Vergangenheit für die Gegenwart?

In der Nachbereitung wird exemplarisch ein rechtsradikaler Angriff auf eine Gedenkstätte (Bremen, Denkort Bunker Valentin) bearbeitet. Die S*S können sich dazu positionieren und eigenständig Handlungsoptionen entwickeln.

Da nicht nur Orte (Denkmäler, Gedenkstätten, Synagogen...) von Rechtsradikalen angegriffen werden, sondern Menschen aus rassistischer und antisemitischer Motivation verletzt und getötet werden wie am 19. Februar 2020 in Hanau und am 9. Oktober 2019 in Halle, ist eine klare Haltung keine Frage von „linker Jugendkultur“. Antifaschismus meint die Vertei­digung und den (Selbst-)Schutz all derjenigen, die von Rechtsradikalen aufgrund zuge­wie­sener Kategorien und darauf aufbauendem Hass – in den meisten Fällen zufällig – als Opfer ausgewählt werden. Dies gilt es auch im Zusammenhang mit einem Gedenkstätten­besuch zu verhandeln.

 

Welche Materialien werden verwendet?

Der Einstieg in das dreiteilige Modul erfolgt mit einer für die Gedenkstättenpädagogik typi­schen Bilder-Assoziierungsmethode. Die Bilder tauchen im Laufe des Geschehens nach und nach auf und werden mit Bedeutung gefüllt. Zum Abschluss dienen sie als Unterstützung um einen Rück- und Ausblick zu geben. Außerdem basteln sich die S*S als Einstieg mithilfe einer Anleitung ein kleines Recherchetagebuch.

In der Doppelstunde zur Exkursionsvorbereitung werden anhand eines Briefes der Überle­benden und Antifaschistin Esther Bejarano Schlüsselbegriffe der Phasen von Erinnerungs­kultur erarbeitet, um eine grobe zeitliche Einordnung und Kontextualisierung zu ermöglichen. Der Brief kann als eine von ihr persönlich eingelesene Audioaufnahme angehört statt nur gelesen werden. Welche Forderungen ergeben sich aufgrund dessen für die Gegenwart?

Jahreszahlen und Stichwörter zu den im Brief genannten Ereignissen liegen als Vorlagen zur Visualisierung der Textanalyse in Gruppen vor. Ein Hintergrundtext für die Lehrkraft dient zur Unterstützung der Moderation. Mit einem freien Mindmapping spüren die S*S den Begriffen Erinnerungs- und Gedenkkultur nach. Dann gibt es eine Präsentation mit Leitfragen, Bildern und einem kurzen Audiobeitrag, sowie einem praktischen „Drehbuch“ für die Lehrkraft, um möglichst dialogisch in die Thematik „Wie und warum sind Gedenkstätten überhaupt entstanden“ als Lehrkraft-Input einzuführen.

Onlinequellen dienen schließlich der vorbereitenden Recherche zur jeweiligen Institution, die besucht werden soll. Hier werden die S*S wieder komplett selbst aktiv.

Bei der Nachbereitung werden zwei Einstiegsmethoden vorgeschlagen. Entweder kann ein Meinungsbarometer durchgeführt werden, für das fünf Aussagen vorbereitet sind, zu denen die S*S Stellung nehmen, indem sie sich entlang einer Skala von „ja“ über „vielleicht“ zu „nein“ positionieren (Variante A). Alternativ kann mit Zitaten aus einer qualitativen Befragung von pädagogischen Mitarbeiter*innen an Gedenkstätten gearbeitet werden (Variante B). Das bietet sich besonders dann an, wenn während der Exkursion eine gute Möglichkeit gegeben war, mit der oder dem Guide über Fragen von eigener Motivation und Bedeutung der Gedenkstätte zu diskutieren.

In der Nachbereitung liegt ein besonderer Fokus auf der Medienkompetenz: Eine Auswahl an Fotos und Beobachtungsaufgaben für drei Gruppen bildet schließlich die Grundlage, auf der sich die S*S anhand eines kurzen Videobeitrags mit einem Vorfall eines rechtsradikalen Angriffs auf den Denkort Bunker Valentin in Bremen auseinandersetzen. Das reale Geschehen wird analysiert, aber auch dazu genutzt, um eigene Ideen und Handlungsoptionen zu entwickeln.

 

Materialien:

Material 1:       Impuls – Meine spontanen Gedanken, Fragen und Assoziationen

Material 2:       Hintergrundinformation – Assoziierungsbilder

Material 3:       Audiodatei – Offener Brief von Esther Bejarano

Material 4:      Textquelle – Offener Brief von Esther Bejarano

Material 5:       Hintergrundinformation – Ergebnisse der Gruppenarbeit

Material 6:       Hintergrundinformation – Erinnerungskulturen

Material 7:       Präsentation – Geschichte von Gedenkstätten

Material 8:       Skript – Drehbuch zur Präsentation

Material 9:       Arbeitsblatt – Leitfragen zur Außendarstellung

Material 10:     Zitate – Aussagen von Gedenkstättenmitarbeiter*innen

Material 11:     Arbeitsblatt – Gruppe 1

Material 12:     Arbeitsblatt – Gruppe 2

Material 13:     Arbeitsblatt – Gruppe 3

Material 14:     Hintergrundinformation – „Schuldkult“-Schmiererei am Gedenkort Bunker Valentin in Bremen

Material 15:     Video – Rechter Vandalismus in Bremen-Nord

Material 16:     Definition – „Schuldkult“

Material 17:     Textquelle – Debatte über rechte Parolen bei Bunker Valentin

Material 18:     Hintergrundinformation – Was geschah mit der „Schuldkult“-Schmiererei

Material 19:     Hintergrundinformation – Freie Gedenkstättenpädagog*innen zur „Schuldkult“-Schmiererei

 

Weiterführende Literatur

Bejarano, Esther und Birgit Gärtner. Wir leben trotzdem: Esther Bejarano – Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden, 3., korr. und erw. Aufl., Bonn: Pahl-Rugenstein, 2007.

Gießelmann, Bente, Benjamin Kerst, Robin Richterich, Lenard Suermann und Fabian Virchow (Hg.). Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe, Frankfurt a. M.: Wochenschau, 2020.

Gryglewski, Elke, Verena Haug, Gottfried Kößler, Thomas Lutz und Christa Schikorra (Hg.) im Auftrag der AG Gedenkstättenpädagogik. Gedenkstättenpädagogik: Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin: Metropol, 2015.

Romeo, Antonella (Hg.). Erinnerungen: Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen Rechts, Hamburg: Laika-Verlag, 2013.

Thimm, Barbara, Gottfried Kößler und Susanne Ulrich (Hg.). Verunsichernde Orte: Selbstverständnis und Weiterbildung in der Gedenkstättenpädagogik, Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2010.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.