Deutsch-polnische Migrationsgeschichten

Wie Athanasius Raczyński nach Berlin und Bamberger*innen nach Poznań kamen

Ablaufplan

  1. Stunde 1: Das Phänomen der Migration ist so alt wie die Welt

    1. Lernziele

      • Die Schüler*innen (S*S) entwickeln ein Gefühl dafür, dass Migration etwas Normales in Geschichte und Gegenwart ist.
      • Sie beleuchten Migration aus der Sicht der Migrant*innen und der Aufnahmegesell­schaften.
    2. Vorbereitung

      • Die Lehrkraft entscheidet sich, ob sie diese Stunde unterrichten oder überspringen möchte. Es geht vor allem darum, die S*S für ganz unterschiedliche Gründe für Migration und Voraussetzungen zu sensibilisieren.
      • Die technischen Voraussetzungen zur Präsentation des Videos in Material 1 sowie Arbeitsplätze mit Internetzugang sind sichergestellt.
      • Die Lehrkraft überlegt sich, ob die Ergebnisse der Partner*innenarbeit zunächst einzeln erfasst und mit Hilfe von Moderationskarten zusammengetragen werden sollen oder virtuell mit Hilfe eines Mentimeters (https://www.mentimeter.com/de-DE).
      • Ggf. liegen Moderationskarten, Stifte und Befestigungsmaterialien (zum Aufhängen der Karten) bereit.
    3. 1 . Einführung

      Dauer 7 min
      • Die Lehrkraft fragt die S*S nach ihren Er­fah­rungen mit Migration und fordert sie auf, Beispiele (aus ihrem eigenen Leben oder aus dem Leben anderer) für einen Wohn­ort­wechsel zu nennen.
      • Hinweis: Die Lehrkraft achtet darauf, dass die S*S solche Informationen freiwillig weitergeben. Sie ermutigt dazu, Beispiele zu nennen, und sorgt gleichzeitig dafür, dass sich die S*S sicher fühlen und niemand gezielt aufgefor­dert wird, über eigene Erfahrungen zu spre­chen.
      • Die Lehrkraft stellt den Begriff der Migra­tion vor. Sie erklärt, dass das Phänomen der Migration und der Bewegung von Menschen (Mobilität) sehr alt ist und die Menschheit schon seit langer Zeit beglei­tet.
      • Die Lehrkraft stellt nun eine Frage nach den Gründen für Migration und schreibt die Vorschläge der S*S an die Tafel oder das Whiteboard, vorerst ohne sie zu organisie­ren.
    4. 2 . Erste Arbeitsphase

      Dauer 15 min
      • Wenn die Vorschläge ausgeschöpft sind, leitet die Lehrkraft zur Präsentation des Videos (Material 1) über. Sie bittet die S*S darum, sich das Video aufmerksam anzu­schauen und die bereits genannten Grün­de für Migra­tion durch weitere zu ergän­zen.
      • Hinweis:
        Das Video ist auf Englisch, Untertitel kön­nen eingestellt werden.
      • Im Anschluss ergänzen die S*S gemein­sam die Gründe für Migration an der Tafel oder dem Whiteboard. Mögliche neue Infor­mationen darüber, warum Menschen migrieren, werden diskutiert.
      • Die Lehrkraft achtet in der Diskussion darauf, ob Flucht als Migrationsform von anderen abgegrenzt wird.
      • Erwartungshorizont:
        Durch die Auseinandersetzung mit den viel­fäl­ti­gen Gründen, aus denen Menschen ihr Her­kunfts­land verlassen, entwickeln die S*S ein differenziertes Verständnis für Migration als ein vielschichtiges Phäno­men. Das Wissen über komplexe Ursa­chen von Migration er­mög­licht es ihnen, die globalen und lokalen Zusammenhänge nachzuvollziehen. Gleich­zeitig werden sie befähigt, gesellschaftliche Diskurse über Migration kritisch zu reflektieren und einzuordnen.
    5. 3 . Zweite Arbeitsphase

      Dauer 10 min
      • Die Lehrkraft erklärt, dass das Phänomen der Migration von Sorgen, Hoffnungen, Ängsten und anderen Emotionen begleitet wird, die von den Migrant*innen und den Aufnahmegesell­schaften geteilt werden.
      • Die S*S finden sich in Paaren zusammen. Die Hälfte der Gruppen macht sich Gedan­ken über die Hoffnungen und Sorgen der Migrant*innen. Die andere Hälfte notiert die Hoffnungen und Sorgen der Aufnahme­gesell­schaften.
      • Die Lehrkraft bittet die S*S entweder, ihre Überlegungen dazu auf Moderationskarten aufzuschreiben oder leitet sie an, sich in die Mentimeter Website/App (https://www.mentimeter.com/de-DE) einzuloggen, um dort die Ergebnisse schon während der Gruppenarbeit gemeinsam zusammenzutragen. In letzterem Fall kann die Arbeitsphase um etwa 3 Minuten verlängert und die Ergebnispräsentation verkürzt werden, da sich die S*S ja schon während der Parter*innenarbeit mit den Ergebnissen der anderen Paare auseinan­der­setzen.
    6. 4 . Ergebnispräsentation

      Dauer 8 min
      • Die Ergebnisse werden im Plenum bespro­chen.
      • Sofern die Paare ihre Ergebnisse auf Mo­de­ra­tionskarten erfasst haben, bittet die Lehrkraft zunächst ein Paar, ihre Ergebnis­se zur Perspektive der Migrant*innen auf­zu­hängen und die anderen Paare, die dazu gearbeitet haben, können diese ergänzen. Anschließend erfolgt die Präsentation der Perspektive der Aufnahmegesellschaft im gleichen Stil.
      • Wenn die Ergebnisse im Mentimeter erfasst wurden, geht die Lehrkraft diese gemeinsam mit der Klasse durch und stellt Rückfragen zu unklaren Punkt bzw. gibt den S*S die Gelegenheit, sich zu einzelnen Aspekten zu äußern.
    7. 5 . Ergebnispräsentation

      Dauer 8 min
      • Die Ergebnisse werden im Plenum bespro­chen.
      • Sofern die Paare ihre Ergebnisse auf Mo­de­ra­tionskarten erfasst haben, bittet die Lehrkraft zunächst ein Paar, ihre Ergebnis­se zur Perspektive der Migrant*innen auf­zu­hängen und die anderen Paare, die dazu gearbeitet haben, können diese ergänzen. Anschließend erfolgt die Präsentation der Perspektive der Aufnahmegesellschaft im gleichen Stil.
      • Wenn die Ergebnisse im Mentimeter erfasst wurden, geht die Lehrkraft diese gemeinsam mit der Klasse durch und stellt Rückfragen zu unklaren Punkt bzw. gibt den S*S die Gelegenheit, sich zu einzelnen Aspekten zu äußern.
    8. 6 . Zusammenfassung

      Dauer 5 min
      • In der letzten Phase erinnert die Lehrkraft noch einmal an die Erfahrungen mit Migra­tion, die zu Beginn der Stunde geäußert wurden.
      • Sofern es in dem Gespräch auch um Ängs­te und Unsicherheit ging, regt die Lehrkraft an, über die Ursachen zu reflektieren. Da­rüber hinaus bittet sie die S*S, Beispiele berühmter Persönlichkeiten zu nennen, die Migrationserfahrungen haben: z.B. Sport­ler*innen – Robert Lewandowski, İlkay Gündoğan, Wissenschaftler*innen – Albert Einstein, Marie Curie-Skłodowska.
      • Hinweis:
        Die Lehrkraft achtet darauf, dass bezüglich der Diskussion der Ängste und Unsicher­heiten die einzelnen Beiträge ernst genom­men werden und die S*S ausreden können.
      • Erwartungshorizont:
        Bei der Auseinandersetzung mit Migration sol­len die S*S vor allem ein Gefühl für die indivi­du­elle Ebene bekommen, sich in die Situation hineinversetzen und verstehen, dass Beweg­gründe und auch die mit Migration verbunde­nen Sorgen menschlich sind.
        Die Frage nach berühmten Persönlich­keiten soll dazu beitragen, die negative Konnotation, die Migration häufig zuge­schrieben wird, zu beseitigen und aufzu­zeigen, dass Migration beispielsweise in einigen Bereichen des Spit­zen­sports mittlerweile vollkommen normal ist.
      • Die Lehrkraft erinnert daran, dass sie zu Beginn nicht nur nach Migration, sondern nach einem Wohnortwechsel gefragt hat und bittet die S*S laut zu überlegen, warum.
      • Erwartungshorizont: Der Begriff Migration wird gedanklich häufig auf externe Migration enggeführt. Um ein Gefühl für die Normalität von Migration zu bekommen, fördert das Nachdenken über Wohnortswechsel als Erfahrung, die nahezu jeder Mensch an irgendeinem Punkt im eigenen Leben macht, den Ansatz bei interner Migration und geht dann zu externer über.
  2. Stunde 2: Die Deutschen migrierten nach Osten

    1. Lernziele

      • Die S*S lernen historische Beispiele der Migration von Deutschen in die polnischen Gebiete im Mittelalter kennen und bewerten historische Prozesse.
    2. Vorbereitung

      • Die technischen Voraussetzungen für die Projektion eines Videos (Material 3) sind gegeben.
      • Die Lehrkraft fertig eine ausreichende Anzahl von Kopien von Material 2 und 3 an und hält Flipchartpapier oder Poster zur Entwicklung der Mindmaps in der Gruppenarbeit bereit.
      • Sie sucht im Internet spannende Beispiele für Worte polnischen Ursprungs, die im Deutschen verwendet werden: z.B. über das deutsch-polnische Geschichtsschul­buch „Europa – Unsere Geschichte“, Band 1, Wiesbaden: Eduversum-Verlag 2016, S. 232 oder die Babbel-Website https://de.babbel.com/de/magazine/polnische-woerter-im-deutschen. Der Begriff „Grenze“ sollte auf jeden Fall dazu gehören.
    3. 7 . Einführung

      Dauer 10 min
      • Die Lehrkraft fragt die Jugendlichen nach Beispielen für Wörter, die im Deutschen verwendet werden, ursprünglich aber aus dem Polnischen kommen. Sie bittet S*S mit polnischen Sprachkenntnissen, sich zunächst zurückzuhalten. Sie können spä­ter als Expert*innen zu Rate gezogen wer­den – sofern sie dies möchten.
      • Die durch die S*S genannten Beispiele, können durch Beispiele ergänzt werden, die sich die Lehrkraft zuvor herausgesucht hat und durch den Begriff „Grenze“.
      • Die Lehrkraft regt eine Diskussion über Lehnworte an.
      • Impuls:
        > Welche Umstände begünstigen eurer Meinung nach sprachliche Entlehnungen?

        > Was passiert mit der Sprache, wenn Einzelpersonen oder Familien migrieren?

        > Was passiert mit den Gegenständen, die durch Lehnworte benannt werden, bevor die Begriffe in eine neue Sprache eingeführt werden?

      •  

        Erwartungshorizont:
        In der Diskussion sollte herausgearbeitet wer­den, dass Lehnworte auf kulturelle Ver­flech­tungen verweisen (können). Begriffe werden in der Regel dann übernommen, wenn in der Aus­gangs­sprache kein Wort für das Bezeich­nete besteht was auch be­deutet, dass das Gegenstand selbst vorher nicht so bekannt oder verbreitet war, dass man einen Begriff dafür benötigte. Häufig wandeln sich die Worte etwas, genau wie die Gegenstände, die sie bezeichnen.
        Anhand des Beispiels des sprachlichen Wan­dels können die S*S bereits ein Gefühl dafür entwickeln, dass Migration nicht einseitig ist, sondern ein Geben, Nehmen und Verschmel­zen.

         

    4. 8 . Arbeitsphase

      Dauer 20 min
      • Die Lehrkraft teilt die Klasse in Gruppen von 3 bis 4 S*S ein und verteilt die Quel­len­sammlung (Material 2) sowie das Arbeits­blatt (Material 3).
      • Die Gruppen machen sich mit den Mate­rialien vertraut, indem sie die Quellen zu­nächst in Stillarbeit ansehen und anschlie­ßend in der Gruppe die Arbeits­aufträge erledigen. Die Ergebnisse fügen die Grup­pen zu Mindmaps zusammen.
      • Erwartungshorizont: Im Laufe der Bearbeitung der Auseinan­der­setzung mit dem historischen Kontext und den Quellen (Material 2) mit Hilfe des Arbeitsblattes (Material 3) befas­sen sich die S*S mit 1) den Ursachen der Migration im Mittelalter, 2) den Bedingungen der An­sied­lung und 3) den Folgen.
    5. 9 . Zusammenfassung

      Dauer 15 min

      Die Gruppen stellen die Ergebnisse ihrer Arbeit anhand ihrer Mindmaps vor. Im An­schluss hebt die Lehrkraft die Folgen des Siedlungsphänomens hervor, die bis heute sichtbar sind (Einfüh­rung rechtlicher und organisatorischer Strukturen von Städten und Dörfern, neue land­wirt­schaftliche Methoden (und Werkzeuge), die zu höhe­ren Erträgen und gestiegenem Handel führten, Sprachverän­de­rungen und Aus­breitung der deutschen Sprache). Zudem kann die Lehrkraft noch einmal die sprach­li­chen Einflüsse in Erin­ne­rung rufen, die am Anfang der Stunde diskutiert wurden.

  3. Stunde 3: Deutsche, Polen, ... Auf der Suche nach Brot...

    1. Lernziele

      • Die S*S lernen Beispiele für Migration von Deutschen in Gebiete, die heute zu Polen zählen, sowie von polnischsprachiger Bevölkerung in das Ruhrgebiet im 19. Jahrhun­dert kennen und bewerten historische Prozesse.
      • Hierbei nehmen sie die Integrationsprozesse von Einwandererfamilien über mehrere Generationen wahr und reflektieren diese.
      • Sie erkennen die langfristigen Auswirkungen des Handelns von Menschen in der Vergangenheit.
    2. Vorbereitung

      • Die Lehrkraft sieht sich die in Material 4 angegebene Website an und überlegt, ob sie zusätzlich zu dem vorgeschlagenen Video noch ein weiteres für die Gruppen­arbeit bereitstellen möchte.
      • Es stehen ausreichende Geräte (und Kopfhörer) zur Verfügung, damit die S*S das Video (Material 4) und das Audio (Material 5) individuell oder zumindest in Klein­gruppen ansehen bzw. anhören können. Auf diese Weise können den S*S ihr eigenes Lerntempo wählen und ggf. einzelne Passagen noch einmal nachören. Sowohl Video als auch Audio sind mit Untertiteln versehen, sodass S*S mit beeinträchtigtem Hörvermögen die Inhalte lesen können.
      • Die Lehrkraft bereitet ausreichende Kopien von Materialien 4-6 für die Gruppen­arbeit und Material 7 für alle S*S vor.
      • Die Lehrkraft überlegt, wie die Ergebnisse der Gruppenarbeit präsentiert werden sollen und hält entsprechende Materialien dafür bereit.
    3. 10 . Einführung

      Dauer 3 min

      Die Lehrkraft fragt nach bekannten Bei­spie­len für die Migrationsbewegungen zwischen Deutschland und Polen im 19. Jahrhundert.

    4. 11 . Arbeitsphase I

      Dauer 30 min
      • Die Lehrkraft bittet die S*S, sich in Klein­gruppen zusammenzufinden. Die Gruppen können sich aussuchen, ob sie sich mit Migration nach Deutschland oder nach Polen befassen will. Bei einer sehr unglei­chen Verteilung versucht die Lehr­kraft einzelne Gruppen dazu zu moti­vieren, ggf. doch die andere Migra­tions­bewegung anzusehen. Die Sprache kann als Aus­wahl­kriterium dienen, denn das Video in Material 4 ist auf Polnisch (mit deutschen Untertiteln) während das Audio in Material 5 auf Deutsch ist. Bei großem Interesse an den polnischsprachigen Migrations­ge­schich­ten kann die Lehrkraft auch eine weitere Geschichte von der in Material 4 angegebenen Website vergeben.
      • Die Lehrkraft verteilt die Materialien 4 an die Gruppen, die sich mit Migration von Deutschland nach Polen befassen wollen. Die anderen Gruppen erhalten Materiali­en 5 und 6. Außerdem händigt die Lehr­kraft jede*r Schüler*in ein Exemplar des Arbeitsblattes (Material 7) aus.
      • Hinweis:
        In der in Material 6 dargestellten Geschich­te wird ersichtlich, dass es sich zu jener Zeit um Migration innerhalb von Preußen handelte (dort steht etwas von der west­preußischen Region Polen), also hier keine Ländergrenzen überquert wur­den. Sofern das den S*S, die das Material bearbeiten, auffällt, kann es zum Gegen­stand einer Diskussion werden – bei­spiels­weise zu der Frage, warum es trotzdem als deutsch-polnische Migration themati­siert wird. Wenn es keiner*m Schüler*in auffällt, dann weist die Lehrkraft zunächst auch nicht darauf hin, sondern geht erst im Zusam­men­hang mit der Geschichte von Athanasius Raczyński darauf ein.
    5. 12 . Ergebnissicherung

      Dauer 12 min
      • Die Lehrkraft bittet jeweils eine Gruppe pro Migrationsbewe­gung die Ergebnisse zu präsentieren. Die Gruppen, die das gleiche Material bearbeitet haben, ergänzen.
      • Im Anschluss vergleicht die Klasse die bei­den Migrationsprozesse, die die S*S ken­nen­gelernt haben, und sieht sich Unter­schiede und Gemeinsamkeiten an.
      • Wenn noch Zeit ist, kann die Lehrkraft fra­gen, ob den S*S, die das Audio (Mate­rial 5) angehört haben, aufgefallen ist, dass dort am Ende der Begriff „assimiliert“ ver­wen­det wird und fragt die S*S, ob sie wissen, was das bedeutet.
      • Erwartungshorizont:
        In beiden Migrationsbewegungen geht es den Menschen vor allem um die Hoffnung auf bessere Arbeitsmöglichkeit und damit auf ein besseres Leben. Auch werden ver­schie­dene Aspekte beleuchtet, die im Inte­gra­tionsprozess eine Rolle spielen, bei denen es auch viel um die Bewusstsein für die eigene Herkunft oder die Herkunft der Vorfahren geht sowie Zugehörigkeits­gefühle.
        Die Diskussion des Begriffes „Assimilie­rung“ kann sich auf unterschiedliche Erwar­tun­gen an Integration zuspitzen. Während vor allem in Aufnahmegesellschaften oft die Überzeugung verbreitet ist, Migrant*in­nen müssten sich voll und ganz anpassen und seien vorrangig selbst dafür zuständig, ver­weist die Migrationsforschung auf Wand­lungsprozesse hin, sowohl in den Aufnah­me­gesellschaften wie auch bei den Migrant*in­nen selbst, die für beide Seite bereichernd sein und im Idealfall dazu füh­ren können, dass Migrant*innen in die Ge­sell­schaft inkludiert werden und sich so als Teil dieser fühlen können, ohne dass sie ihre Migrationsgeschichte als etwas stö­rendes empfinden
  4. Stunde 4: "Bamber" - Das klingt stolz! Teil 1

    1. Lernziele

      • Die S*S kennen den Einfluss der Bamberger*innen auf die Entwicklung der Agrar­kultur in Großpolen.
      • Sie sind in der Lage, die Gründe für die Integration der zugewanderten Personen­gruppe in das neue soziale Umfeld zu nennen.
      • Sie können die Tracht der Bamberger beschreiben.
      • Die S*S sind sich bewusst, dass es sowohl in Deutschland als auch in Polen (nega­tive) Stereotype über Migrant*innen aus dem Nachbarland gibt und lernen diese zu hinterfragen.
    2. Vorbereitung

      • Die Lehrkraft hält eine Karte von Polen und Deutschland bereit, auf der die Lern­gruppe gemeinsam Orte suchen soll.
      • Die technischen Voraussetzungen zur Projektion des Fotos in Material 8 sind sichergestellt.

      Die Lehrkraft fertig eine ausreichende Anzahl von Kopien der Materialien 9-13 an.

    3. 13 . Einführung

      Dauer 7 min
      • Die Lehrkraft projiziert die Abbildung (Ma­te­rial 8), bittet die S*S zu beschreiben, was sie sehen und anschließend zu überlegen, was die Abbildung bedeutet.
      • Hinweis:
        Auf der Abbildung ist ein Monument zu se­hen, das einen Brunnen vor einem Restau­rant in der polnischen Stadt Poznań ziert. „Bamberka“ (weibliche Bezeichnung) geht auf das Wort „Bamber“ zurück. Im Plural bezeichnet „Bambrzy“[1] (oder „Bambry“) deutsche Siedler*innen, die im 18. Jahr­hundert nach Poznań kamen. Heutzutage wird das Wort in Großpolen (und Schle­sien) als Bezeich­nung für einen wohlha­ben­den Bauern verwendet und hat oft eine abwertende Bedeutung.
      • Die Lehrkraft nimmt Bezug auf die voran­gegangenen Stunden und bittet die S*S, sich daran zu erinnern, zu welchem Zweck deutsche Siedler*innen im 18. und 19. Jahr­hundert nach Polen kamen.
      • Erwartungshorizont:
        Im 18. und 19. Jahrhundert kamen Beam­te, Handwerker, Lehrer, Polizisten und Mili­tärs nach Großpolen, um im preußischen Staat zu arbeiten.
      • Die Lehrkraft gibt das Thema der Stunde bekannt und bittet die S*S, Poznań und Bamberg auf der Karte zu finden.
       

      [1] Singular: männlich [ˈbambɛr], weiblich [bamˈbɛrka], Plural: [ˈbambʒɨ]

    4. 14 . Arbeitsphase

      Dauer 35 min
      • Die Lehrkraft teilt die Klasse in 5 Gruppen ein, gibt jeder Gruppe eine Kopie eines der Materialien 9-13 und erklärt ihnen die Arbeit mit der Jigsaw-Methode (Gruppen­puzzle).
      • Hinweis:
        Bei der Jigsaw-Methode, auch Gruppen­puzzle genannt, werden Stammgruppen gebildet, die jeweils eine Informations­quelle (in diesem Fall eines der Materialien 9-13) gemeinsam erarbeiten. In der zwei­ten Arbeitsphase bilden sich neue Grup­pen, die sogenannten Expert*innen­grup­pen, in denen jeweils ein*e Teilneh­mer*in von jeder Stammgruppe ist. Sie tauschen sich über die Ergebnisse ihrer Arbeit aus und gehen im Anschluss wieder in ihre Stammgruppen zurück, um die Ergebnisse des Austauschs mit den Stammgruppen­mitgliedern zu teilen.
      • Die Arbeitszeit in den Stammgruppen beträgt insgesamt 35 Minuten. Somit ste­hen etwa 15 Minuten für die Erarbeitung und jeweils 10 Minuten für den Austausch zur Verfügung.
    5. 15 . Zusammenfassung

      Dauer 3 min
      • Die Lehrkraft stellt während der Zusammenfassung sicher, dass die S*S vor allem die Rolle der „Bambrzy“, ihren Einfluss auf die land­wirtschaftliche Kultur und Arbeitsweise in der Region um Poznań und das Phänomen der friedlichen Koexis­tenz verstehen und nachvollziehen kön­nen. Wenn nicht bereits in den vorange­gangenen Diskussionen hervorgehoben, dann weist die Lehrkraft darauf hin, wie dieses Beispiel für Integration die Stereo­type der Pol*innen über Deutsche und der Deutschen über Pol*innen aufbricht. In die­sem Zusammenhang ist auch ein kurzer Austausch über die Stereotype möglich, es ist aber auf jeden Fall sicherzustellen, dass diese dadurch nicht verfestigt und dieses Beispiel als Ausnahme wahrgenommen wird.
      •  

      Hausaufgabe (optional):

      Die Lehrkraft gibt den S*S die Hausauf­gabe, eine Einladung zu formulieren, die die Posener Stadtverwaltung an die Einwoh­ner*in­nen von Bamberg und Umgebung hätte richten können, um sie zum Kommen zu bewegen.

  5. Stunde 5: "Bamber" - Das klingt stolz! Teil 2

    1. Lernziele

      • Die S*S sind in der Lage, die Gründe für das friedliche Zusammenleben einer zuge­wanderten Bevölkerungsgruppe mit ihrer neuen Umgebung zu nennen.
      • Sie sind in der Lage, Informationen aus verschiedenen Quellen miteinander zu verbinden.
      • Die S*S beobachten den Prozess der gesellschaftlichen Integration am Beispiel von Einzelschicksalen.
      • Sie bewerten das Leben und Funktionieren einer Bamberger Familie im Kontext von sozialem Aufstieg und Migration.
      • Die S*S reflektieren Migration im Kontext ihrer Umgebung.
    2. Vorbereitung

      • Die technischen Voraussetzungen für die Projektion von Bildern (Material 14) und Landkarten sind sichergestellt.
      • Die Lehrkraft bereitet ausreichende Anzahl von Kopien der Materialien 15 vor.

      Sie bereitet eine Europakarte des 19. und 20. Jahrhunderts bzw. für die S*S, die sich mit Bolesław Leitgeber befassen, eine Weltkarte aus jener Zeit und eine Karte, die Deutschland und Polen zeigt, vor und fertigt ausreichende Kopien davon an. Zudem bereitet die Lehrkraft die Projektion der Karten vor, damit die Klasse sie bei der Diskussion der Ergebnisse ihrer Partner*innearbeit gemeinsam ansehen kann.

    3. 16 . Einführung

      Dauer 5 min
      • Die Lehrkraft projiziert die Abbildungen aus Material 14 an das Whiteboard oder eine weiße Wand. Sie erzählt über die materi­ellen Spuren der Bamberger*innen in Poznań.
      • Hinweis:
        Die Villa Bajerlein ist im Stil des Historis­mus ge­baut. Ihre Fassade ist üppiger ausgestat­tet, als die anderer Häuser. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bam­ber­ger*in­nen wohlhabender waren, als andere bäuerli­che Familien. In der Abbil­dung ist kein spe­zi­fisch „bambergisches“ Muster zu erkennen, aber im Vergleich zu den umste­hen­den Häuser ist die aufwän­diger gesta­ltete Fassade erkennbar.
         Fest verbaut ist auch eine kleine Kapelle, für die Verehrung des Erzengels Michael, des Schutzpatronen des Stifters. Die Stif­tung von Kapellen war nicht nur unter Bam­berger*innen, sondern auch anderen Bürger*innen aus Poznańs Dörfern verbrei­tet. Die Häuser der Bamberger*innen zei­gen dieses Element häufig auf, entweder fest verbaut oder (meistens) alleinstehend vor dem Haus. Der bamberger Bauernhof ist noch aus damaliger Zeit erhalten, mit der gleichen Anordnung der Häuser. Fachwerkhäuser an sich sind nicht typisch fränkisch, der Baustil scheint aber unter den Bamber­ger*in­nen in Poznań verbreitet gewesen zu sein, wie es die Fassade des Bauern­hau­ses im Bamberger-Museum in Poznań (https://www.poznan.pl/mim/wortals/turystyka/-,p,4791,4833.html) zeigt.
      • Die Zeugnisse der Bamberger*innen, die in der Architektur von Poznań sichtbar sind, können in eine Diskussion über Zeugnisse kulturellen Erbes in unserer Umgebung übergehen. Die Lehrkraft kann die S*S nach Beispielen für Spuren in ihrer Stadt oder Region fragen, die von Migration in der Vergangenheit zeugen. Dabei kann es sich um Denkmäler, Friedhöfe, Häuser, Straßennamen usw. handeln.
    4. 17 . Arbeitsphase

      Dauer 20 min
      • Die S*S arbeiten in Zweiergruppen. Ziel ist es, Material über die Bamberger Familie Leitgeber aufzubereiten und Beispiele für deren Migration und Engagement zu fin­den. Auf einer Europa- bzw. Weltkarte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie einer Kar­te, die Deutsch­land und Polen fokussiert, markie­ren die Jugendlichen die Orte, an denen die Leitgebers studiert und gearbei­tet haben. Um die Arbeit zu erleichtern, können die Zweiergruppen sich jeweils auf eine*n Vertreter*in der Familie konzentrie­ren.
      • Hinweis: Wenn den S*S an irgendeiner Stelle der Bearbeitung auffällt, dass hier nur die Geschichten von männlichen Familienmit­glie­dern erzählt werden, kann die Lehrkraft dies in einer Diskussion aufgreifen und mit den S*S über die Rolle und Stellung von Frauen in der Geschichte sprechen und warum sie tendenziell wenig in der Geschichtsschreibung vorkommen.
    5. 18 . Präsentation und Diskussion

      Dauer 10 min
      • Die Lehrkraft spricht mit den S*S über das Wirken der Familie Leitgeber in der Pose­ner und polnischen Gesellschaft sowie über die Migrationsgeschichten innerhalb der Familie.
      • Erwartungshorizont: In der Diskussion wird herausgearbeitet, dass einige Familienmitglieder aufgrund von historischen Ereignissen auswan­der­ten und andere aus persönlichen bzw. beruflichen Gründen. Sie engagierten sich u.a. als Unternehmer und Diplomaten und waren darüber hinaus auch sozial und ehrenamtlich aktiv. Während der preußi­schen Herrschaft setzten sie sich sowohl für die wirtschaftliche und soziale Entwick­lung und Stärkung der Region, als auch für die Unabhängigkeit Polens, was ihre Iden­ti­fikation als Pol*innen deutlich macht. Als solche unterlagen sie – wie viele andere Pol*in­nen – im Zweiten Weltkrieg Repres­sionen.
    6. 19 . Zusammenfassung

      Dauer 10 min

      Die Lehrkraft stellt sicher, dass die S*S die Ergebnisse der Partner*innenarbeit in Be­zug auf die inhaltlichen Aspekte, die Bei­spie­le für Aufstieg, Integration, Aktivismus und Rückschläge der Bamberger*innen, z. B. Verlust von Eigentum usw., als zentrale Inhalte aus der Stunde mitnehmen.

  6. Stunde 6: Anhanasius Raczyński

    1. Lernziele

      • Die S*S lernen Athanasius Raczyński (auf Polnisch Atanazy Raczyński) kennen, können die Lebensentscheidungen, die er getroffen hat, reflektieren.
      • Sie lernen verschiedene Formen des Urteilens über eine (kontroverse) Person im Kontext des sozialen und politischen Wandels kennen.
      • Sie werden dafür sensibilisiert, dass Migration immer im Kontext ihrer Geschichte interpretiert und beurteilt werden muss.
    2. Vorbereitung

      • Die technischen Voraussetzungen für die Projektion von Bildern (Material 18) und für das individuelle Anhören des Audios durch die S*S (Material 17) sind sicher­gestellt.
      • Die Lehrkraft bereitet eine ausreichende Anzahl von Kopien der Materialien 16-21 für die Gruppenarbeit vor.
      • Poster, Stifte und Materialien, die zur Präsentation der Ergebnisse der Gruppen­arbeit benötigt werden, liegen bereit.
    3. 20 . Einführung

      Dauer 2 min
      • Die Lehrkraft projiziert die erste Abbildung aus Material 18 auf das Whiteboard oder eine weiße Wand.
      • Sie fragt die S*S, ob sie die Stadt erken­nen, die im Hintergrund abgebildet ist, ob ihnen das Gebäude bekannt ist und wel­ches Gebäude sich heute an dieser Stelle befindet. Zur Klärung kann die Lehrkraft die zweite Abbildung neben der ersten plat­zieren, damit die S*S beide vergleichen können. Anschließend bereitet die Lehr­kraft die S*S darauf vor, sich in dieser Stunde mit einer neuen Migrations­geschichte auseinanderzusetzen.
      • Wenn notwendig, erläutert die Lehrkraft kurz den historischen Hintergrund des 19. Jahrhunderts, insbesondere die drei Tei­lun­gen Polens. In Folge der zweiten Tei­lung im Jahr 1793 geriet die Region um Poznań unter die Herrschaft des preu­ßischen Königreichs.
    4. 21 . Arbeitsphase

      Dauer 23 min
      • Die S*S bilden Kleingruppen.
      • Die Lehrkraft verteilt die Materialien 16-21 und die Kleingruppen bearbeiten das Ar­beits­blatt auf der Grundlage der verschie­denen Informationsquellen.
      • Bei Bedarf teilen die S*S die Materialien in den Kleingruppen zunächst untereinander auf und machen sich mit dem Inhalt ver­traut. Danach bearbeiten sie gemein­sam das Arbeitsblatt und tauschen sich mit Informationen aus den einzelnen Materia­lien aus.
    5. 22 . Ergebnispräsentation und Diskussion

      Dauer 15 min
      • Die Kleingruppen präsentieren ihre Ergeb­nisse mit Hilfe der Poster und diskutieren sie mit den Mitschüler*innen.
      • Die Lehrkraft achtet während der Diskus­sion darauf, dass die S*S die Ansichten und Handlungen von Athanasius Raczyń­ski aus verschiedenen Perspek­tiven betrachten: Aus der Sicht des preußi­schen Königs, der polnischen National­bewe­gun­gen seiner Zeit sowie aus seiner persön­lichen Perspektive und konserva­tivem Denken.
    6. 23 . Abschluss

      Dauer 5 min
      • Abschließend bittet die Lehrkraft die S*S, die beiden Migrationsgeschichten (der Bamberger*innen und von Athanasius Raczyński) miteinander zu vergleichen.
      • Nun bittet sie die S*S das Geburtsjahr von Athanasius zu betrachten und dann das Jahr, in dem er nach Berlin zog. Im An­schluss bittet sie sie, die Migration noch einmal zu beurteilen.
      • Erwartungshorizont: Die Neubewertung der Migration kann zunächst in die Richtung führen, dass er somit nicht migriert ist (weil keine Länder­grenzen überschritten wurden). Bei intensi­verem Nachdenken wird aber deutlich dass auch eine Binnenmigration Migration bedeutet. Gleiches könnte auch auf die Familien einiger Schüler*innen zutreffen, die im Zuge von Kriegen und Grenzver­schie­bungen aus Gebieten geflohen sind, die heute zu anderen Ländern gehören. Insgesamt sollte die Irritation dazu führen, dass die S*S verinnerlichen, Migration einerseits als etwas in Geschichte und Gegenwart ganz Normales zu begreifen, das jede*n betreffen und ganz unterschied­liche Gründe haben kann. Außerdem sollten sie dafür sensibilisiert worden sein, in ihren Urteilen immer die historischen Kontexte im Blick zu haben.

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