Widerstand gegen das NS-Regime
Die Geschichte von Heschel Grynszpan und seiner polnisch-jüdischen Familie


Thema
Ausgehend von der Tatsache, dass Jüd*innen im Kontext des NS-Regimes und des Holocausts in Bildungsmaterialien oft als passive Akteur*innen dargestellt werden, thematisiert die Unterrichtseinheit exemplarisch den aktiven Widerstand von Herschel Grynszpan sowie andere Widerstandsformen und fragt auf einer übergeordneten Ebene nach „geeigneten“ Formen des Widerstands. Das von Grynszpan verübte Attentat auf den Sekretär der Deutschen Botschaft in Paris wurde von Hitler als Anlass für die Reichspogromnacht aufgegriffen und gilt damit als ein historisches Ereignis, das in Schulen wenig bekannt ist. Als Minderjähriger bietet Grynszpan für Schüler*innen (S*S) eine gute Möglichkeit zu versuchen, seine Geschichte und die von ihm getroffenen Entscheidungen nachzuvollziehen, Fragen nach Recht und Strafe zu stellen, seine Taten zu beurteilen und die eigene Haltung gegenüber moralischen Entscheidungen zu erörtern. Zwei Exkurse zu weiteren Beispielen und Formen von jüdischem Widerstand ergänzen die Themeneinheit.
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Lehrplanbezug
Geschichte: Widerstand gegen NS (Verfolgung und Diskriminierung von Jüd*innen im Nationalsozialismus, sog. „Ost-Juden“, „Polenaktion“, Novemberpogrome), deutsch-polnische Beziehungen, Zwischenkriegszeit in (Mittelost)Europa.
Politische Bildung: Demokratie(-bildung) (wie Demokratien scheitern);
Ethik: Individuum und Gesellschaft, Recht und Moral, Recht und Gerechtigkeit, (in)adäquate Formen des Widerstands, Schuldfähigkeit, Funktion von Strafe, Menschenrechte.
Erwartete Kompetenzen
Sachkompetenz (aktiver, jüdischer Widerstand gegen NS, „Polenaktion“, Novemberpogrome); Urteilskompetenz; Selbstreflexion; Mehrperspektivität; Auseinandersetzung mit kontroversen Themen/Entscheidungen; Entwicklung und Begründung eigener Position, Argumentations- und Diskussionsfähigkeit; Diversity-Kompetenzen.
Speziell für den polnischen Kontext: Kompetenz zum Verstehen und Erstellen von Informationen; persönliche, soziale und Lernkompetenz; staatsbürgerliche Kompetenz.
Didaktische Perspektive
Im ersten Schritt erarbeiten die S*S Grundlagen zu der als „Polenaktion“ bekannten Ausweisung polnischer Jüd*innen und der Situation von Jüd*innen in West- und Ostmitteleuropa. Anschließend lernen sie die Geschichte der Familie Grynszpan kennen, setzten sich mit den Hintergründen des Attentats von Herschel Grynszpan und mit seiner Situation intensiv auseinander und beurteilen diese. Im Vordergrund steht die aussichtslose Lage Herschels und seine Tat. An diesem Beispiel haben die S*S die Möglichkeit, ihre eigenen Positionen hinsichtlich der Wahl des Mittels durch Herschel zu entwickeln und zu begründen. Die Frage nach „den (in)adäquaten“ Formen des Widerstands wird dabei zur Diskussion gestellt.
Zwei Exkurse zu jüdischem Widerstand ergänzen die Unterrichtseinheit als Beispiele: Zum einen wird die Geschichte der 15-jährigen Anna Heilman erzählt und anhand ihrer Erinnerungen kontextualisiert. Anna war in Auschwitz inhaftiert und schmuggelte aus einer Fabrik Schwarzpulver, das für die Durchführung des Aufstands des Sonderkommandos am 7. Oktober 1944 genutzt wurde. Der zweite Exkurs befasst sich mit der polnisch-jüdischen Untergrundorganisation Żegota [ʒɛ‘gota], die der jüdischen Bevölkerung im besetzten Polen unter anderem mit medizinischer Hilfe und Dokumenten unterstützte. Beide Exkurse dienen der Perspektivenerweiterung zum Themenfeld des jüdischen Widerstands und können durch Informationen über weitere Akte des Widerstands durch die Lehrkraft erweitert werden, z. B. über Widerstandsreden im Ghetto Częstochowa (Juni 1943), Białystok und Będzin-Sosnowiec (August 1943), Aufstand im Vernichtungslager Treblinka (August 1943) und Sobibór (Oktober 1943) oder Gründung des Untergrundarchivs „Oneg Schabbat“ im Warschauer Ghetto durch den Historiker Emanuel Ringelblum und seine Mithäftlinge. Teilweise sind die Arbeitsaufträge in den Exkursen differenziert, sodass S*S mit unterschiedlichen Komplexitätsniveaus arbeiten können und dadurch unterschiedliche Stärken gefördert werden können.
Im letzten Schritt nähert sich der Unterrichtsentwurf dem Begriff des Widerstands in der NS-Zeit und seiner unterschiedlichen Bedeutungen und Ausdrucksformen. Weitere Beispiele des aktiven jüdischen Widerstands und des Widerstands in Mittelosteuropa werden erörtert. Während der Testung der Materialien in zwei polnischen Klassen haben die S*S das Thema mit Ereignissen an der polnisch-belarussischen Grenze verknüpft. Es können auch weitere Bezüge zu gegenwärtig diskutierten Themen und Problemlagen hergestellt werden.
Eine Besonderheit in diesem Unterrichtskonzept ist der ausführliche Erwartungshorizont, der sich hinter dem Ablaufplan für jede Stunde befindet und die Lehrkraft darüber informiert, was in der Stunde insgesamt und anhand von den verwendeten Materialien erlernt werden kann.
Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.